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Du kannst froh sein!

„Du kannst froh sein, dass du nicht transsexuell bist! Du tarnst dich hinter deiner männlichen Fassade, während ich mich jeden Tag der Welt als Frau stellen muss.“

So oder so ähnlich habe ich schon mehrfach die Argumentation von Transsexuellen erlebt, die mir oder anderen Crossdressern erklären wollten, wie schwer sie es haben und wie einfach dagegen mein Leben ist.

Bemerkungen wie diese führen immer wieder zu Streit innerhalb der Gemeinschaft der transidenten Menschen.

Begriffpaare wie
ernsthaft – spaßorientiert
Leid – Genuss
Zwang – Laune
Frau – Mann
Asexuell – fetischistisch
Alltag – Party
oder ähnliche prägen die Diskussion.

Und in all den gegenseitigen Vorwürfen und Abgrenzungen fällt mir auf, dass ich eben nicht froh bin, dass mir der steinige Weg der Transsexuellen erspart bleibt.

Und ich traue mich erstmalig hier, es laut zu sagen: Transsexuelle, ich beneide euch!

Manchmal wäre ich gerne transsexuell und nicht bloß der Mann, der nur ab und zu in die Frauenrolle wechselt um „seinen Spaß zu haben“!

Aufschrei!

„Du hast ja keine Ahnung! Deine Karriere, deine Familie, deine körperliche Gesundheit u.a.m. All das riskierst du, wenn du den Weg gehst, dein Leben komplett als Frau weiter zu leben! Es ist unglaublich hart, vom Schicksal damit geschlagen zu sein, dass man transsexuell ist!“

Grass is always greener on the other side

Wahrscheinlich ist es so. Wir wünschen uns immer, das zu haben, was wir nicht haben. Wir denken, immer das ist besser, was wir nicht sind. Trotzdem möchte ich versuchen, aus Sicht einer „Pendlerin“ die Situation darzustellen. Und ich sehe durchaus gravierende Nachteile bei meiner Art zu leben.

Spagat

Ich bin inkonsequent, weil ich mich nicht für ein Geschlecht entscheide. Das hat den Vorteil der Flexibilität, doch ist es wirklich leichter inkonsequent zu sein? Ich meine: nein! Denn die Inkonsequenz zwingt mich dauernd zu Kompromissen. Ich kann im Alltag nur sehr eingeschränkt die Kleidung tragen, die ich mag und ich muss an vielen Stellen zwischen dem Erwünschten und dem Möglichen auswählen.

Mein Leben ist gekennzeichnet von einem andauernden Spagat zwischen männlich und weiblich. Mal gebe ich den „Normalmann“ und ein paar Tage später versuche ich eine unauffällige Frau zu sein. Der Versuch, beiden Rollen gerecht zu werden ist anstrengend. Und letztendlich ist er zum Scheitern verurteilt. Was mir für die eine Rolle nutzt, schadet mir für die andere.

Perfektion

Ich beneide Transsexuelle um den Grad der Perfektion, den sie als Frau erreichen können. Dabei geht es mir nicht primär um die geschlechtsanpassende Operation, sondern um eher die Möglichkeiten der optischen Feminisierung.

Okay, die Laserepilation der Gesichtsbehaarung habe ich mir gegönnt, um nicht dauernd wegen meines Bartschattens verunsichert zu sein. Aber Weitergehendes bleibt mir versagt. Selbst meine aktuelle Kurzhaarfrisur hat mir schon Hinweise eingebracht, dass ich den Schnitt unter Karriereaspekten doch mal überdenken solle.

Weder die verweiblichenden Folgen einer Hormonbehandlung noch eine Korrektur meiner Stimmlage oder gar eine feminisierende Gesichts-OP kommen für mich jemals in Frage.

Ich werde immer die sehr männlich-herbe Ausstrahlung, die ich meinen Genen verdanke, behalten. Ich werde nie so feminin sein, dass alle Menschen denken, es handele sich bei mir um eine geborene Frau.

Das werden zwar auch nicht alle Transsexuellen schaffen, doch durch ihren Entschluss, nicht mehr als Mann aufzutreten, gewinnen sie in einem Maße Freiheiten, ihre Weiblichkeit auf diverse Art und Weise zu fördern, die mich neidisch macht.

Damit ist nicht gesagt, dass sie unbedingt alles machen müssen, was geht oder bezahlbar ist. Das ist, wie bei vielen Schönheits-OPs, eher eine Frage des Selbstbewusstseins. Aber wenn sie es für sich brauchen, dann können sie es auch tun. Mir dagegen stehen viele dieser Optionen wegen meiner Unentschlossenheit und der daraus entstehenden Notwendigkeit, in beiden Mannschaften zu spielen, gar nicht erst offen.

Deep stealth

Dieser englische Begriff vermittelt schon durch die Betonung des Begriffes Verborgenheit wie wichtig dieses Ziel ist. Totale Verborgenheit! Niemand weiß, das die Frau früher einmal ein Mann war und es würde bei ihrem Anblick auch niemand vermuten. Das ist der Zustand, den viele Transsexuelle anstreben. Im Gegensatz zu mir haben sie eine realistische Chance, das zu schaffen. Mir wird es auf jeden Fall verwehrt bleiben.

Ankommen

Mehr als die optische Unauffälligkeit als Frau ist es dieser Aspekt, der mich neidisch macht.

Einige transsexuelle Freundinnen von mir sind angekommen. Sie sind nun Frauen und leben ihr Leben. Sie leben nicht unbedingt „deep stealth“, aber sie sind mit sich und ihrem Leben zufrieden. Der Weg dort hin, wo sie jetzt sind war steinig und brachte viel Verzicht und viel Risiko mit sich. Sie mussten Schmerzen ertragen – körperliche und psychische – und Verluste.

Doch nun sind sie dort angekommen wo sie hin wollten. Es ist bestimmt nicht so, dass sie jeden Morgen aufwachen und mit dem Gedanken euphorisch in den Tag gehen „Juhu, ich bin eine Frau!“ Frausein ist für sie mit der Zeit selbstverständlich geworden. So selbstverständlich, dass sie auch nicht mehr an das Gefühl denken, dass früher jeden ihrer Tage belastet hatte: „Ich muss ein Mann sein!“

Sie haben ihr Ziel erreicht. 

Am Ziel anzukommen heißt vor allem, dass man ein Thema abschließen kann. Während der Wanderung gibt es nichts wichtigeres als diese Wanderung und ihr Ziel. Doch wenn man am Ziel ist, dann ist der Weg gegangen und man kann sich neuen Zielen zuwenden.

Für eine Transsexuelle, die im weiblichen Alltag angekommen ist, ist entfällt das ständige Ringen mit dem Bedürfnis, weiblich sein zu wollen. Sie sind es. 

Und das ist etwas, was mir nicht passieren wird. Ich bin dazu verurteilt, niemals anzukommen. Für mich wird das Thema „Mann oder Frau“ mein Leben lang bestimmend bleiben. Ich werde nie damit aufhören können, mir darüber Gedanken zu machen, was genau ich denn nun überhaupt oder im aktuellen Moment bin.

Warum wechsele ich nicht?

„Wenn wir Transsexuellen es so leicht und so toll haben wie du schreibst, warum gehst du dann nicht unseren Weg? Warum quälst du dich mit deiner Unentschlossenheit, wenn es doch angeblich so viel besser ist, eine transsexuelle Frau zu sein?“

Tja, das klingt nach einem guten Argument. Doch bloß weil es mir attraktiver erscheint, diesen Weg zu gehen, heißt das noch lange nicht, dass er für mich der richtige ist. So wie ich genetische Frauen um ihren Körper beneide, so beneide ich auch Transsexuelle um ihre Chance, am Ziel anzukommen.

Und so wenig, wie ich eine genetische Frau bin, so wenig bin ich auch transsexuell. Es wäre eventuell leichter (meine ich zumindest), aber es ist nun mal nicht mein Weg. Jede von uns muss den Pfaden folgen, die für sie richtig sind. Und ich bin mir sicher, dass das Ziel einer Transsexuellen „ich bin zufrieden, wenn ich eine Frau bin“ für mich nicht existiert. Momentan weiß ich nicht einmal, wohin mein Weg führt, ob er überhaupt ein Ziel hat. Vielleicht ist es meine Bestimmung, immer zu wandern ohne anzukommen.

Bunter Mann

Das ist ein beliebtes Schimpfwort, dass Transsexuelle gegenüber Transgender/CD/TV verwenden, um sich von ihnen abzugrenzen. Während Transsexuelle nach eigenem Verständnis „eigentlich“ Frauen sind – wahlweise am Ende des Transformationsprozesses oder schon immer gewesen – sehen sie im Unterschied dazu andere Transgender bloß um „bunte Männer“, die mit viel Schminke und häufig wenig Geschick und Geschmack (so jedenfalls die Vorurteile) versuchen etwas zu mimen, was sie nicht sind.

Das mag sogar stimmen. Wir haben die Sehnsucht nach dem Weiblichen abbekommen, jedoch nicht die Fähigkeit uns konsequent von unserer Männlichkeit zu lösen. Insofern werden wir nie die Kluft überwinden, sondern immer dazwischen bleiben. Ohne Chance, ein unauffälliger, rollenkonformer Mann zu sein und erst recht chancenlos in dem Bemühen, glaubwürdige Frauen zu sein.

Das ist für Transsexuelle teils sogar ein Ärgernis. Denn sie haben Angst durch unsere Präsenz in der Öffentlichkeit diskreditiert zu werden. Aufgrund unserer Defizite an Fähigkeit und Konsequenz werden wir immer ein wenig peinlich zumindest aber auffällig sein. Wir lenken damit das Auge der Öffentlichkeit auf das Phänomen selbst. Und wenn die Leute erst mal misstrauisch sind, dann entdecken sie vielleicht auch an der unbemerkt lebenden Transsexuellen bemerkenswertes.

Weder die Transsexuelle noch ich hat sich ausgesucht, so und nicht anders zu sein. Wir beide müssen mit unserem Schicksal zurechtkommen und unseren Weg gehen, wo immer er uns hinführt. Die Transsexuelle – so wünsche ich ihr – in ein normales Leben als Frau.

Vielleicht nennt sie mich „bunter Mann“, weil sie neidisch darauf ist, dass ich es schaffe, mein männliches Leben zu behalten.
Vielleicht hat sie aber auch bloß Mitleid mit mir.

© Jula 2007

Ein Gedanke zu „Du kannst froh sein!“

  1. Ich habe keine Vorurteile gegenüber Crossdressern…. Und ja, wie du erraten kannst bin ich auch trans. Ich hatte schon viel Kontakt zu….nagut eher Männern mit einem Fetisch für solche Dinge. Aber ich kenne eh viele Fetischisten also ist das nichts ungewöhnliches.
    Ich finde es nur traurig wenn sich jene die selbst schon unterdrückt werden so verhalten 😟

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