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HEKATE – „Senior“ plus „Seniorita”

  • von

Interview mit einem eigenwilligen Alt-Crossdresser

Unter dieser Überschrift ist ein Interview mit meiner lieben, klugen Freundin Hekate in dem Buch „Geliebtes alter Ego“ von Daggi Binder erschienen, zu dem Hekate ein lesenswertes Vorwort geschrieben hat.

„Welche Freude, wenn es heißt:
Alter, du bist alt an Haaren,
blühend aber ist dein Geist!“

Lessing, Die 37. Ode Anakreons

FRAGE: „HEKATE” – das klingt sehr altertümlich ?

HEKATE: Durchaus mit Absicht! Denn da gab es bei Robert Graves – das war auch der mit „Ich, Claudius, Kaiser und Gott” – eine faszinierende These zu den griechischen Mythen: Einst, In der übergangszeit vom Matriarchat zum Gottkönigtum, durfte der Prinzgemahl der herrschenden Mondpriesterin sie bei bestimmten Riten vertreten – aber nur, wenn er ihre geweihten Roben anlegte! Und die „Hekate” der Griechen war eine direkte Nachfolgerin der uralten Mondgöttin.

F.: Also eine Art Schutzpatronin Deines Crossdressing?

H.: Ja – es passt alles so schön: geboren bin ich im Zeichen des Krebses, das traditionell der (als weiblich geltende) Mond beherrscht – doch der stand da genau in Opposition zur (männlichen) Sonne. Die griechische Hekate konnte „zwischen den Welten reisen” – gerade so wie ich! – und wurde dreigestaltig dargestellt: als zarte Maid, reife Frau und alte Vettel – und ich hab mich meiner Mutter zum ersten Mal, allerdings schon als „femme fatale”, mit 12 Jahren präsentiert, die meisten meiner Damenbilder zeigen mich mit 40 bis 45 Jahren, doch heute bin ich 77…

F.: Noch immer „aktiv”?

H.: Dazu nachher mehr – der Name soll zudem aber andeuten, dass ich eben keine „KISS-ME-KATE” bin, sondern eine „HE-KATE”! Ich frag mich oft, warum andere Crossdresser kaum analog „doppelbödige” Namen wählen – o.k., eine „Schöne HE-LENA” wär vielleicht etwas happig: aber, um mal bloß bei A zu bleiben, warum keine „ERANITA”, „ERANNY” oder „ERANNETTE”?

Doppelte Hekate auf dem Titelbild des wundervollen Animagie-Dialoges, der hier als Download zu finden ist

F.: Also „Gleichberechtigung” des Männlichen schon im Namen? H.: Warum nicht? Ich verstünde zwar voll , wenn unsere „verwunschenen Prinzessinnen”, die Transsexuellen, nach ihrer „Erlösung” jede Erinnerung an den einstigen „Mann” auslöschen wollten. Aber warum sollten Crossdresser, die stolz darauf sind, sich ihres „weiblichen alter ego” nicht mehr zu schämen, nun andererseits ihr „männliches alter ego” wie etwas beinahe Ehrenrühriges verstecken? Ich z.B. hab als Manager und Freiberufler, Gatte und Vater traditionell „männliche Rollen” ebenso freudig ausgefüllt, wie ich dazwischen gern „Hekate gespielt” habe! Mir hat an dem Projekt hier von Anfang an imponiert, dass alle Teilnehmer ihre in beiden „Versionen” gleich offen präsentieren – in der Tat gehören ja auch beide zu unserer Persönlichkeit! F.: Deshalb „präsentierst” Du Dich sogar gern auf dem gleichen Bild als Frau und als Mann – wie nebenan als „Diskussions-Partner”?

H.: Dort sollte das zwar zwei ganz bestimmte Typen „portraitieren” (wobei der weibliche davon nicht unbedingt mein „Ideal” war!). Aber ich gebe gern zu, meine beiden „alter egos” mögen einander – besonders nachdem ich vor vielen Jahren Witwer wurde – sehr gern: wofür die einige Psychologen eine neue grässliche Perversion erfunden haben, die „Autogynephilie”! Das Seltsame dabei ist nur: wenn die beiden „egos” einander im Gegenteil partout nicht ausstehen könnten, wäre das zwar keine Perversion, aber dafür eine Psychose – kurz verliert und lang bezahlt!

F.: Bei Dir weiß man oft nicht, wo der Ernst aufhört und der Spaß anfängt?!

H.: Oder umgekehrt – beides wie im Leben auch! Das gilt z.B.: von dem, was ich „den Mut zum schiefen Maul” nennen möchte: wie oft wollen wir doch bitterernst auf Fotos so „schön” oder „sexy” wie möglich wirken – aber wenn auch Regisseure fest zu glauben scheinen, in komische Situationen gerieten prinzipiell nur dicke oder schinakelige Frauen – das Leben lehrt, dass auch hübsche Mädchen oder schöne Damen mal ausrutschen und hinfliegen oder sonst was Groteskem zum Opfer fallen können: und ich habe es immer für den wahren Test meiner eigenen Fähigkeiten gehalten, selbst dabei noch immer möglichst „weiblich“ zu wirken und nicht wie ein „verkleideter Mann“. Warum trauen sich nicht mehr Crossdresser, öfter auch mal solchen Ulk auszuprobieren? Da könnte vielleicht vieles netter, lustiger und natürlicher wirken als in der 137. „Model“-Pose …

F.: Aber Du wolltest noch verraten, ob Du auch heute noch „crossdresserisch” aktiv bist?

H.: Von einem berühmten japanischen Kabuki-Schauspieler wurde erzählt, er habe sich erst im hohen Alter reif genug gefühlt, graziöse junge Mädchen ideal darzustellen. So talentiert fühle ich mich nicht: wenn ein Jubelgreis sich als alte Schachtel oder gar als Spätlese-Teenager herrichten wollte, muss nicht mehr unbedingt ein Kunstwerk herauskommen – auch wenn er das noch immer möchte! Als ich 70 wurde, hab ich das Problem mit meinem „geliebten Alter Ego” durchgesprochen – und es sagte mir: Schau – in der Lebensmitte hatten wir zwar zusammen eine schöne Zeit – aber eine schöne Jugend hab ich, in Drittem Reich, Krieg und Nachkriegszeit, nie gehabt ! Doch jetzt gibt’s Computer, Bildbearbeitung und wunderschöne Programme zum Testen von Make-up und Frisuren – warum „creierst” Du mir damit nicht, aus Deinen Jugendfotos, nachträglich das „ideale Jungmädchen-Leben”, das wir versäumt haben?!

F.: Also „virtuelles Crossdressing” am Bildschirm?

H.: Ich weiß, dass „ge-fake-te” Bilder bei den meisten Crossdressern nicht hoch im Kurs stehen (verständlich, falls einer Pfunde wegschwindeln will, indem er seinen Damenkopf auf den Körper der „Miss Universum” setzt!) -aber hier ist das doch etwas anders: da wird ein Stück Lebensgeschichte „rekonstruiert”, die möglich gewesen wäre – ähnlich,. wie wenn z.B. ein Autor eigene „Jugend-Möglichkeiten” in einem Roman durchspielt: das würde man kaum ein „fake” nennen – sondern eher „creative Umsetzung”!

F.: Wäre das auch Deine Empfehlung für andere Crossdresser im Alter?

H.: Götter, wer bin ich, anderen was zu „empfehlen”?! Immer älter werden wir zwar alle – aber fertigwerden muss damit jede(r) auf seine eigene Art!

Für mich jedenfalls war meine durchaus erfolgreich: etwa konnte ich so bei einer sehr lieben Verwandten (einer keineswegs verklemmten, aber von Natur eher keuschen Jungfrau-Geborenen – das gibt’s) nach vielen Jahrzehnten endlich mein weibliches Alter Ego „outen” – als „virtuelles Schwesterchen” nahm sie es sofort in die Familie auf: ja als ich ihr jüngst zum 91. Geburtstag eine Karte ausdruckte, auf der gleich vier unterschiedliche solche Schwesterchen ihr im Reigen gratulierten, ging diese im Kreis der eingeladenen alten Damen von Hand zu Hand – und alle fanden den Einfall und seine Ausführung „entzückend”: auch ein kleiner Sieg auf dem Weg zu Akzeptanz des Crossdressing!

F.: Hekate – vielen Dank für Deine Anregungen und dies Gespräch!

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