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Hekates Animagie

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Animagie

Den Originaltext von Hekate stelle ich hier als PDF bereit.

Hekates Einleitung:

Zur Vorgeschichte:

Über „Rational-konstruktive Magie-Kritik“ kann man -was ich auch mal getan habe – lange Abhandlungen in Jahrbüchern seriöser Akademien schreiben; knapper den Kern der Sache traf aber schon vor über 200 Jahren die Bemerkung des scharfsichtigen Göttinger Physikers Lichtenberg:
Noch glauben, daß der Mond auf die Pflanzen wirke, verrät Dummheit und Aberglaube, aber es wieder glauben zeugt von Philosophie und Nachdenken.

Denn in dem, was man landläufig „Magie“ zu nennen pflegt, steckt zu viel Wichtiges und Wahres, um es schlechthin als „Aberglaube“ abzutun – bloß wird man gerade das nicht einfach auf der nächsten „Esoterik-Messe“ finden: sondern erst, wenn man mit dem ganzen Rüstzeug heutigen (oder gar morgigen) exakter Wissens danach gräbt.

Im Zug solcher Forschungen hatte ich vor 20 Jahren – 1984 – für eine Computer-Zeitschrift auch einen Artikel geschrieben, der den verblüffenden Analogien zwischen „Computer und Magie“ nachging: vom altchinesischen Orakelbuch „I Ging“, dessen Gruppen von „Yin“- und „Yang-Linien“ genau dem modernen „0/1“-Code entsprechen, bis zur damals fast neurotischen Angst mancher Sekretärinnen vor dem „unheimlichen Kasten“.

Zwei Jahre später bat ein Redakteur von „ANUBIS – ZEITSCHRIFT FÜR PRAKTISCHE MAGIE UND PSYCHONAUTIK“ darum, diesen Artikel für seine Leser nachdrucken zu dürfen und sandte mir dazu ein Musterheft. Ich hatte selten etwas so Erstaunliches gesehen: statt dunkel herumzuorakeln, beschrieben die Artikel dort etwa das Herstellen eines Athame (Hexendolch) oder das Ausführen des „Kleinen bannenden Pentagramm-Rituals“ so cool und praktisch, wie es heute etwa die Make-up-Tips von Transgender-Internetseiten mit ihren Themen tun!

Aber auch von meinen Artikeln konnte die ANUBIS-Redaktion scheint’s gar nicht genug bekommen: nachdem sie als nächstes einen noch älteren über „Magie und Werbung“ nachgedruckt hatte, fragte sie nach noch mehr – und das, fand ich, war mal eine Gelegenheit, auch meine Gedanken über „magische Aspekte von Anima und Animus“ loszulassen.

So erschien dort 1987 – in zwei Fortsetzungen – die „Animagie“. Details mögen daher zwar nicht mehr so aktuell wirken (z.B. der Hinweis auf die damalige Schach-Weltmeisterschaft); aber die Hauptthemen scheinen, wie ihre Internetseiten zeigen, auch heute noch viele Transgender-Personen zu bewegen – und vielleicht können gewisse meiner Ideen dort für manche von ihnen neues Licht auf alte Probleme werfen.

Zum „Titelbild“:

Das habe ich erst viele Jahre später – mit den inzwischen zur Verfügung stehenden Bildbearbeitungs-Programmen – aus den verschiedenen symbolischen Elementen komponiert:
als Hintergrund eine alchymistische Darstellung des doppelgeschlechtlich Weib und Mann vereinenden „Hermetischen Androgyns“ aus dem 15. Jahrhundert;
davor links als „ER“ mein „idealisiertes Selbstbild“ 😉
– mit den Symbolen des Hongkong-Seidenanzugs (für: „weitgereister Weltmann“), der Pfeife (für: „sympathischer Wissenschaftler“) und der Katze (für: „mysterienkundiger Meister“);
zur Abschwächung muß ich aber sagen, daß nicht ich selbst mich so gestylt hatte – sondern ein Fotograf für eine Interview-Illustration!

und rechts als „SIE“ eine meiner cooleren „Animanifestationen“
– diesmal als selbstsichere Karrierefrau, intellektuell-feministisch, okkult interessiert (aber in alldem manchmal leicht vernagelt) – nicht ohne Humor, aber leider bar jeglichen Charmes: kaum mein idealer Frauentyp – aber gerade darum hatte ich mir extra Mühe gegeben, ihr in Diktion und Darstellung möglichst gerecht zu werden: am Schluß bringt sie sogar den weisen Meister noch auf eine Idee, die er zuvor nicht hatte!

Die Animagie

S(ie): „‚Animagie‘ – das klingt zwar irgendwie vielversprechend: aber was soll ich mir darunter eigentlich vorstellen?“

E(r): „Mal ganz allgemein – und zugegebenerweise ziemlich trocken – gesagt: Die magischen Aspekte jener Komponente in unserer Seele, die jeweils dem entgegengesetzten Geschlecht entspricht – also der ‚Anima‘ beim Mann oder des ‚Animus‘ bei der Frau.“

S: „Au weh – damit werden Sie es bei mir aber schwer haben: denn erstens mal bin ich überhaupt nicht geneigt, allgemein an solche ‚Seelenkomponenten‘ zu glauben – also daran, dass etwa jeder Mann ein Stück Frau in sich herumtragen soll und ich zum Beispiel ein Stück Mann; aber auch falls das – was ich ja gern zugeben will – in abnormen Fällen manchmal vorkommen mag: dann gehört das ja wohl in die Sexualwissenschaft – hat aber doch nichts mit ‚Magie‘ zu tun!“

E: „Wahrhaftig – au weh: aber weniger, weil ich es bei Ihnen nun ’schwer zu haben‘ fürchte – sondern weil wir jetzt erst mal ganz ‚von unten‘, nämlich biologisch, anfangen müssen: und weil ich Ihnen da einige Fakten mitteilen muss, die Sie – was ich schon eher fürchte – leicht erschüttern könnten: wenn Sie nämlich als Frau eben gerade kein ‚abnormer Fall‘ sind, sondern völlig normal – dann tragen Sie in der Tat dauernd ‚ein Stück Mann‘ in sich herum: nämlich das an sich ‚männliche‘ Geschlechtshormon Androgen – ohne dessen Mitwirkung Ihr ganzer Hormonhaushalt aus den Fugen käme; und alle – auch die stinknormalsten – Männer haben z.B. nicht nur Brustwarzen (die sie ja eigentlich wirklich nicht brauchten, weil sie nie Kinder säugen) – sondern in ihren Samenzellen auch die ‚weibliche‘ Erbanlage, das X-Chromosom: sonst könnten sie nämlich nie Töchter zeugen!“

S: „Also Moment mal: die weibliche Erbanlage bekommen die Töchter doch nun wohl von der Mutter!“ E: „Sicher – von der bekommen sie das e i n e X-Chromosom (aber das bekommen von ihr auch die Söhne) – das a n d e r e aber, das zu ‚XX‘ gleich ‚weiblich‘ nötig ist, muss vom Vater kommen: könnte der nur Y-Chromosomen liefern, gäbe es jedesmal ‚XY‘ gleich ‚männliche‘ Nachkommen (und in der nächsten Generation müsste die Menschheit dann mangels Frauen aussterben!)“

S: „Aber dieses zweite ‚X‘, das der Mann zuschießt, hatte er sich doch gewissermaßen bloß von seiner Mutter ausgeliehen: Sie haben ja gesagt, dass die Frau auch den Söhnen ein ‚X‘ mitgibt!“

E: „Allerdings – ein ausgeliehenes ‚Stück Frau‘ in der Erbmasse, das nun eben auch jeder Mann in sich herumträgt … was Sie aber eben doch gar nicht zu glauben geneigt waren?“

S: „Zugegeben – da haben Sie mich ganz schön darangekriegt; aber bloß wegen dieses komischen Erbgangs beim Geschlecht, der überhaupt nicht so funktioniert wie bei anderen Erbeigenschaften!“

E: „Der anders funktionieren m u s s, könnte man sagen, damit immer etwa gleichviel männliche und weibliche Wesen entstehen: sonst bekämen wir nämlich immer drei Viertel von einer (der „dominanten“) Sorte – oder, noch schlimmer, jedesmal die Hälfte Zwitter…“

S: „Na ja – aber beweist all das nicht eben gerade, dass Sie diese Chromosomen – oder auch Brustwarzen oder Hormone – eigentlich gar nicht ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ nennen dürften, wenn sie doch bei beiden Geschlechtern vorkommen – sondern höchstens allgemein ‚menschlich‘? Und damit bräche doch Ihr ganzes Argument vom ‚Stück Frau im Mann‘ – oder umgekehrt – wieder zusammen!“

E: „Verzeihen Sie – aber jetzt haben Sie sich doch gerade um 180 Grad gedreht: vorhin waren Frau und Mann so himmelweit verschieden, das kein Stückchen ‚Mann‘ in der ’normalen Frau‘ sein durfte und umgekehrt – jetzt sind sie auf einmal allesamt ‚Menschen‘, die alle möglichen Eigenschaften, auch die des anderen, kreuz und quer haben dürfen?! Was – überdies – wiederum nicht stimmt: Nach wie vor haben z.B. Sie einen Busen und ich nicht – ich kann keine Kinder gebären und Sie können keine zeugen – “

S: „Aber wenn ich Ihnen die richtigen – oder sollte ich sagen: die verkehrten? – Hormone einspritzen würde, könnten Ihnen zum Beispiel unter Ihren Brustwarzen, die sie ja – wie Sie betonen – schon haben, auch Brüste wie bei mir wachsen!“

E: „Nun, wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen in der Richtung sogar noch viel mehr bieten: da gibt es zum Beispiel den berühmten Sternwurm (Bonellia viridis), bei dem die winzigen, nur 1-2 mm großen Männchen fast wie Parasiten an den mehrere Zentimeter großen Weibchen festgesaugt leben – “

S: „Wie idyllisch!“

E: “ – aber die eigentliche Pointe kommt erst noch: offenbar muß so ein junges Sternwürmchen dazu aber erst mal ein Weibchen finden; klappt das, saugt es sich an ihm fest und lebt als Männchen – findet es aber keins, sagt es gleichsam ‚ick bin doch nich uff Euch anjewiesen‘ – und wächst selber zu einem vollwertigen Weibchen aus…“

S: „Was nun was beweisen soll?“

E: „Dass also die grundsätzliche Möglichkeit – sozusagen das ‚Potential‘ – für beide Geschlechter durchaus im gleichen Wesen liegen kann – “

S: „- wenn es ein Sternwurm ist!“

E: „Aber auch das menschliche Embryo ist in den ersten Monaten – zumindest äußerlich – geschlechtlich noch völlig undifferenziert: und Rudimente der gegengeschlechtlichen Organe finden sich selbst noch im erwachsenen menschlichen Körper. Erscheint es danach nun so völlig ausgeschlossen, dass ganz analog auch in der ‚Psyche‘ des Menschen, die ja sicher nicht total unabhängig vom Körper existiert, auch gegengeschlechtliche ‚Potentiale‘, Möglichkeiten oder Komponenten existieren könnten – und zwar bei jedem Mann und bei jeder Frau?“

S: „Hm – ‚wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen – steht aber immer schief darum‘: denn woran soll man nun eigentlich merken, ob so ein ‚Potential‘ oder so eine ‚Komponente‘ in der Tat ‚gegengeschlechtlich‘ sei? Angenommen, ich spiele gern (und sogar recht gut) Schach: soll ich dann sagen ‚huch – das ist aber eigentlich ganz unweiblich: das muss wohl eine gegengeschlechtliche Komponente in mir sein?‘ Oder ich treffe einen Mann, der mit Begeisterung – und zudem besser als ich – kocht: sage ich dann ‚ach, da kocht gar nicht der Franz – sondern in Wirklichkeit sein weiblicher Seelenteil, seine Anima!‘? Das hieße doch bloß, vorgefasste gesellschaftliche Rollen-Vorstellungen und -Stereotype – tiefenpsychologisch aufgeputzt – zu perpetuieren: und – um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen – mit ‚Magie‘ hätte es schon erst recht nichts zu tun!“

E: „Völlig einverstanden – aber gerade deshalb möchte ich ja, dass wir die Frage eben genau herumdrehen: angenommen, wir fänden nun aber gerade typisch ‚magische‘ Aspekte, Phänomene oder Verhaltensweisen, die ‚Weibliches im Mann‘ oder ‚Männliches in der Frau‘ beträfen – dann könnten wir doch eher annehmen, dass wir es dort nicht bloß mit oberflächlichen Vorurteilen zu tun hätten, sondern dem Kern der Sache näherkämen?“

S: „Also ich muss schon sagen: Sie haben eine unglaublich raffinierte Art, mich – mit meinen eigenen Argumenten – immer genau in die Ecke zu zwingen, in die ich eigentlich gar nicht will!“

E: „Aber – wenn’s doch ‚Ihre eigenen‘ Argumente sind: ‚zwinge‘ denn dann eigentlich i c h Sie dahin – oder zwingen Sie sich damit nicht im Grunde, obwohl Sie es eigentlich ‚gar nicht wollen‘, unbewusst selbst? Aber w a s ist denn nun eigentlich diese ‚Ecke‘, in die Sie ’nicht wollen‘ – und w a r u m ‚wollen‘ Sie eigentlich partout nicht in sie?“

S: „Oh Gott, jetzt kommen Sie mir auch noch als psychoanalytischer Sherlock Holmes: ‚Sie haben mir ja selbst die Indizien geliefert – also gestehen Sie jetzt auch!‘. Aber warum sollte ich es eigentlich nicht zugeben: Ich bin eben eine Frau und will auch eine sein – nicht eine Mischpackung aus weiblichen und männlichen ‚Komponenten‘; genau wie ich etwa in Ihnen einen Mann sehen möchte und nicht da ein Stück Mann und dort ein Stückchen Frau. Und wenn ich mein ureigenstes Wesen weiter entfalten möchte – zum Beispiel und gerade auch durch ‚Magie‘ – dann will ich das erst recht als Frau tun und dabei nicht auf einmal ‚männliche Komponenten‘ beschwören!“

E: „Warum nicht? Wären Ihnen die etwa ‚unheimlich‘?“

S: „Also den Köder nehme ich diesmal nicht – damit Sie sagen könnten ‚unheimlich ist auch magisch – und damit hätte ich Sie schon bei einem magischen Aspekt einer solchen Komponente erwischt!'“

E: „Aber – Anwesende mal ausdrücklich ausgenommen – vielen Menschen könnte doch die Vorstellung, dass sie auch (vielleicht ohne es überhaupt zu wissen) eine gegengeschlechtliche Komponente in sich herumtragen könnten, in der Tat ausgesprochen ‚unheimlich‘ sein? Und wäre das nicht ein verständlicher Grund dafür, dass sie sich sträuben, solch eine Vorstellung überhaupt zu akzeptieren?“

S: „Oh, jetzt wollen Sie mich aber seitwärts von hinten erwischen! Aber das ganze ‚unheimlich‘ haben ja Sie und nicht ich eingeschmuggelt – ich frage viel simpler: wozu sollte denn eine gegengeschlechtliche Seelenkomponente in mir eigentlich nütze sein? Bei Ihren X-Chromosomen im Mann – oder beim Androgen in meinem Körper – haben Sie mir biologische Gründe genannt, die ich akzeptieren konnte: aber in meinem ganz persönlichen – und dann doch eben durchweg ‚weiblichen‘ – Seelenleben?“

E: „Nun ja – wenn Sie der einzige Mensch auf der Welt wären und deshalb Ihr Seelenleben auch ausschließlich ‚intern‘ für sich selbst abwickeln müssten, wäre es in der Tat schwer einzusehen, wozu Sie eine solche Komponente brauchen könnten. Nur ist das eben nicht so: Sie sind ständig – und jedesmal auch irgendwie ’seelisch‘! – mit anderen Menschen involviert, und nicht immer nur mit anderen Frauen, sondern genau so oft auch mit Männern. Wenn Sie nun in Ihrer Psyche überhaupt nichts weiter als ‚Weibliches‘ hätten – dann könnten Sie sich zwar auch in andere Frauen ‚einfühlen‘: aber bei Männern könnten Sie das nicht – sondern wären gegenüber denen ausschließlich auf das angewiesen, was Sie ‚von außen‘ erfassen könnten: also gerade bloß die – von Ihnen zu Recht kritisierten – auf gesellschaftlichen Erfahrungen beruhenden Rollen-Vorstellungen und Stereotype…“

S: „Klingt wieder sehr einleuchtend – bloß widerlegt die Praxis es gleich: ich kann mich zum Beispiel jetzt gerade doch mit Ihnen sehr gut unterhalten, ohne dass ich dazu etwa mein ‚gegengeschlechtliches Seelenteil‘ mobilisieren müsste – einfach auf der Basis allgemein-menschlicher Wesenszüge, die wir gemeinsam haben!“

E: „Also ich habe zwar – wenn Sie mir mal eine persönliche Randbemerkung verzeihen – ganz im Gegenteil den Eindruck, die meiste Zeit mit Ihrem ausgesprochen kratzbürstigen ‚Animus‘ zu debattieren, der mir freiwillig keinen Fußbreit Boden zugestehen will, den ich ihm nicht mit strikt ’sachlich-männlicher‘ Logik abringen kann – “

S: “ – was aber Ihre weiblich-einfühlende ‚Anima‘ großmütig über sich ergehen lässt?“

E: „Den Teufel täte sie das – die hätte längst schon eine Szene gemacht, mit einem schluchzenden „Sie geben sich ja überhaupt keine Mühe, mich zu verstehen!“ – wenn ich sie nicht bewusst ständig an der Kandare hielte! Aber davon mal abgesehen, haben Sie natürlich im Prinzip durchaus recht: allein um sich mit jemand anderen Geschlechts über irgendwas zu unterhalten, brauchte man im allgemeinen noch nicht unbedingt das innere gegengeschlechtliche ‚Seelenbild‘ (da reichten vielfach Ihre ‚allgemein-menschlichen Gemeinsamkeiten‘ völlig); aber je mehr die Partner einander nun wirklich ‚als Frau‘ und ‚als Mann‘ verstehen müssen – desto unentbehrlicher wird es, dass jeder nun in der Tat auch etwas vom anderen ‚in sich hat‘, auf das er – bzw. sie – zurückgreifen kann – „

S: „Also – jetzt will ich mir, eingedenk Ihrer frustrierten Anima, einmal echt Mühe geben, Sie zu verstehen: damit ich als Frau einem Mann wirklich ‚Partner sein‘ könnte, müsste ich auch das berüchtigte ‚Stückchen Mann‘ in mir haben – und er umgekehrt ein Stück Frau? Das ist aber wirklich schwer zu verdauen …“

E: „Vielleicht kann ich es Ihnen an einem Vergleich einleuchtender machen – obwohl ich sonst wenig davon halte, von ’seelischen Schwingungen‘ usw. zu reden – aber hier passt es, glaube ich, mal wirklich: stellen Sie sich vor, der allgemeine Kontakt zwischen Menschen erfolge so auf einer Art ‚öffentlicher Frequenz‘, die jeder benutzen kann – “

S: „Sozusagen ‚Citizen Band‘?“

E: Genau – das wären also Ihre ‚allgemein-menschlichen Gemeinsamkeiten‘. Aber nun wollen Sie in einem Bereich kommunizieren, dessen Sender und Empfänger eine andere, ganz spezifische Frequenz haben – zum Beispiel eine ‚männliche‘. Das können Sie doch offenbar nur, wenn Sie nun auch Ihren Sender und Empfänger auf diese Frequenz einstellen können – und das wieder geht ja nur, wenn auch in Ihrem ‚Apparat‘ ein Schwingkreis ist, der zumindest überhaupt in dieser Frequenz schwingen k ö n n t e – auch wenn Sie normalerweise und für Ihre eigenen Zwecke meist eine andere – ‚weibliche‘ – benutzen?“

S: „Hm – so herum habe ich’s allerdings noch nicht gesehen: jeder von uns muss also gewissermaßen – außer seinem ‚eigenen Schwingkreis‘ – auch noch eine Art ‚Resonanz-Kreis‘ fürs andere Geschlecht haben?“

E: „‚Resonanz-Kreis‘ ist ganz ausgezeichnet! Denn damit könnten Sie nun sogar verstehen, dass solch ein Resonanz-Kreis auch ganz ohne Ihr eigenes Zutun zu schwingen anfangen kann, sobald er von entsprechenden Signalen getroffen wird – “

S: „Also zum Beispiel mein, wie Sie so nett sagten, ‚kratzbürstiger Animus‘, sobald Sie von ‚gegengeschlechtlichen Komponenten‘ zu sprechen anfingen?“

E: „Ja – aber nehmen wir ein noch viel allgemeineres Beispiel: da begegnet ein Mann plötzlich einer Frau, die ganz ohne Absicht ‚Signale‘ gibt, die zufällig haargenau auf der speziellen ‚Frequenz‘ seines ‚Anima-Resonanzkreises‘ liegen. Was passiert? Er – “

S: „Oh, lassen Sie mich mal – das reizt mich: Wie das berühmte Glas, das zufällig vom passenden Ton getroffen wird, fängt er an zu vibrieren: er ist ‚fasziniert‘ – und da diese ‚Resonanz‘ ja auch an sich ganz schwache Impulse, wenn sie nur seiner ‚Eigenfrequenz“ entsprechen, immer weiter verstärkt, findet er alles, was sie tut, bezaubernd – auch wenn’s der größte Blödsinn ist; kein Mensch um ihn herum kann verstehen, wieso er ihr eigentlich so ‚verfallen‘ ist – klar, die anderen haben ja gar nicht diese spezifische ‚Resonanzfrequenz‘ und werden gar nicht angesprochen – aber bei ihm schaukelt sich das immer weiter auf: entweder, bis das Glas regelrecht zerspringt: er ruiniert sich für sie – oder bringt sich um wie der junge Werther – oder bringt sie um wie Don Jose die Carmen; oder aber – fast genau so schlimm – er ‚kriegt‘ sie: und entdeckt auf einmal, dass sie ja auch ihre eigene Frequenz hat und nicht nur seine – und jammert dann fassungslos : ‚das ist doch gar nicht mehr die Frau, in die ich mich verliebt hatte – was war da bloß über mich gekommen?!‘ – „

E: „Hm – und vor nicht allzulanger Zeit hätte man dann gesagt ’sie hat ihn behext‘, einen ‚Liebeszauber‘ praktiziert: ‚philocaptio‘ nannten es Kraemer und Sprenger im ‚Hexenhammer‘, ‚cast a glamour‘ die Angelsachsen – was heute noch im Ausdruck „glamour girl“ für den faszinierenden Filmstar fortlebt – “

S: „Ach herrje – da habe jetzt sogar i c h Ihnen die ‚magischen Aspekte‘ der ganzen Geschichte vorbuchstabiert!“

E: „Wobei – das müssen wir ja auch festhalten – die fragliche Dame meist ganz unschuldig an dieser ‚Bezauberung‘ war: denn genau besehen hat sich so ein Mann gar nicht in s i e verliebt – sondern in seinen eigenen ‚Resonanzkreis‘ für sie, seine ‚Anima‘, die er – wie die Psychologen sagen – nur auf sie ‚projiziert‘ hatte – “

S: „Ich fürchte, jetzt werden Sie gleich wieder sagen, es ist mein aufmüpfiger ‚Animus‘ – aber ist das nun eigentlich nicht gerade das glatte Gegenteil von dem, was Sie als Sinn unserer ‚Resonanzkreise‘ für das andere Geschlecht nannten? Die sollten uns doch eigentlich helfen, uns wirklich in den Partner ‚einzufühlen‘ – und sich nicht selbständig machen und den wahren Partner durch das eigene ‚Seelenbild‘ von ihm (oder ihr) glatt übersteuern?!“

E: „Nein, nein – da stimme ich Ihnen völlig bei: nur ist das doch gar kein Widerspruch. Denken Sie doch mal an Ihr geliebtes Schachspiel: da ist doch z.B. die Dame auch eine der Figuren, die dem Spieler am meisten helfen könnte – nur fasziniert eben gerade diese ihre Macht den Anfänger oft so, dass sie sein ganzes Spiel ‚übersteuert‘ – und er durch exzessive Damenzüge von einem Unheil ins andere gerät – “

S: „Also bei Ihren Vergleichen kann einem schon etwas schwindlig werden: eben war die Anima ein Resonanz-Kreis – jetzt ist sie eine Schachfigur?!“

E: „Und falls ich sie demnächst mit einem Erkennungs-Muster vergleichen sollte, das in einem Computer ganz bestimmte Funktionen aufruft – oder mit einer Elementarkraft, die man nur mit bestimmten Ritualen zähmen kann: dann lassen Sie sich nicht verwirren – sondern sehen immer den gemeinsamen Kern: etwas, das uns zwar helfen kann – aber zunächst einmal keineswegs immer tut, was wir wollen, sondern durchaus eigenen Gesetzen folgt!“

S: „Nein – bleiben Sie ruhig mal bei der Dame im Schach: ist die vielleicht in der Tat – als einzige und dazu noch so mächtige ‚Frau‘ unter lauter Königen und Rittern und Bauern – eine Art ‚Anima-Figur‘ in der sonst durchwegs ‚männlichen‘ Streitmacht des Spielers?“

E: „Im arabischen Schach war das ja noch – wie Sie sicher wissen – ein durchaus männlicher ‚Wesir‘, der allerdings nur in kleinen Schritten um den König herumtrippelte: ‚mächtig‘ weithin übers Brett zu schweifen begann sie aber wirklich erst, als sie im Abendland eine ‚Dame‘ wurde – im Schach ‚a la dama‘, das so Mitte des 15. Jahrhunderts aufkam – interessanterweise gerade nachdem ein paar Jahrzehnte zuvor wirklich eine Frau auf einem männlichen Schlachtfeld mit seltsamer Macht den Sieg heraufbeschworen hatte: Jean d’Arc – die Jungfrau von Orleans – “

S: “ – die man daraufhin denn ja auch prompt als Hexe verbrannte!“

E: „Vielen Dank – Sie geben mir immer so nett selbst die Stichworte zum Thema ‚Magie‘ dabei, mit dem ich mich sonst beim Schach vielleicht etwas schwerer getan hätte – aber immerhin spielte bei Johannas Prozess ja gerade das ‚Unweibliche‘ ihres Verhaltens (ein ‚Animus-Aspekt‘?) eine große Rolle – “

S: „Bitte – inzwischen haben Sie mich von Ihrer ‚Animagie‘ in der Tat schon halb überzeugt! Aber wenn die Schach-Dame wirklich eine ‚Anima-Figur‘ wäre – hieße das dann, dass Schachmeister, die sie virtuos zu führen wissen, auch eine entsprechende Kontrolle über ihre eigene ‚Anima‘ hätten?“

E: „Ich fürchte – ganz im Gegenteil: gerade bei den letzten Schachweltmeisterschaften hatte man ja genug Gelegenheit, an solchen Meistern genau das zu beobachten, worin sich bei Männern eben gerade eine ‚unkontrollierte Anima‘ manifestiert – nämlich, wie man gemeinhin sagt, ‚Primadonnen-Allüren‘! Das meine ich gar nicht unbedingt negativ: je stärker gerade der bewusste Stress wird, unter dem ein Mensch steht, desto tiefer muss er in die Reserven seines Unbewussten greifen – und da findet sich eben bei den meisten Männern eine gar nicht bewusst akzeptierte und entsprechend ‚un-kultivierte‘ Anima, die sich dann (statt als schlachtenrettende Jean d’Arc) eher wie ein hysterisches Frauenzimmer gebärdet…“

S: „Wenn ich jetzt lachen musste – dann nicht über Sie; mir kam bloß eben der Gedanke: wenn wir nun auch gerade in der Magie-Szene immer wieder Sachen erleben, die verzweifelt an Kulissen-Intrigen zwischen Operetten-Soubretten gemahnen – sind da etwa auch mangelhaft beherrschte Animas hehrer Meister im Spiel?! Und meinen Sie etwa auch deshalb, dass wir uns mehr mit ‚Animagie‘ befassen sollten?“

E: „Sicher wohl auch – aber bis jetzt haben wir ja eigentlich nur von den unkontrollierten, gewissermaßen den ‚Poltergeist-Aspekten‘ von Anima und Animus gesprochen: und das kratzt ja nun allenfalls nur die Oberfläche des ganzen Komplexes an – “

S: „Allerdings liegt mir nun auch schon die ganze Zeit die Frage auf der Zunge, ob Sie meinen, dass man Animus oder Anima auch gezielt ‚beschwören‘, evozieren und magisch nutzen könnte?“

E: „Genau da wird’s ja eigentlich interessant – aber das müssen wir auf das nächste Mal vertagen: für heute nur die freundschaftliche Warnung – machen Sie sich vorsichtshalber noch auf ein paar neue Schocks dabei gefasst…!“

S: „Also – so richtig verdaut habe ich Ihre Sache mit ‚Animus‘ und ‚Anima‘, fürchte ich, immer noch nicht: Eingeleuchtet hat mir zwar: wenn ich als Frau einen Mann wirklich so verstehen, mich so ‚in ihn einfühlen‘ möchte, wie das für eine echte Partnerschaft unerlässlich ist – dann geht das ja wohl nur, wenn ich in der Tat auch in meiner eigenen Psyche einen Zugang zum ‚Männlichen‘ habe; und wenn ich mir umgekehrt von meinem männlichen Partner wünsche, dass er sich genau so in mich einfühlt – dann kann ich ja schlecht zugleich von ihm verlangen, dass er eben nur strikt „100 % Mann“ sein müsse … “

E: „Das wäre ja auch im Grund nur ein Gegenstück zu der alten magischen Doktrin von jedem Menschen als ‚Mikrokosmos‘, der eben stets den ganzen ‚Makrokosmos‘ – mit all seinen Planeten, Elementen und Kräften – in sich begreìft: warum dann also nicht erst recht auch etwas so Lebenswichtiges wie das andere Geschlecht?!“

S: „Sehen Sie, jetzt wird’s mir schon wieder unklar: meinen Sie nun, das sei wirklich eine neue – oder vielleicht sogar altehrwürdige – echte Art von ‚Magie‘: bei der ich nun zum Beispiel meinen männlichen Seelenteil, meinen ‚Animus‘ – oder Sie Ihre weibliche ‚Anima‘ – ähnlich mit speziellen Ritualen ‚aufrufen‘ könnte wie etwa die Kräfte eines Planeten oder Elements – oder ein Beschwörer einen Dämon? Oder reden Sie nur von psychischen Phänomenen, die bloß in gewissem Sinn ‚Gegenstücke‘ – mit bestimmten Analogien oder Ähnlichkeiten – zu magischen Konzepten oder Praktiken wären?“

E: „Da könnte ich mich zwar schon elegant mit C. G. JUNGs These ‚magisch ist bloß ein anderes Wort für psychisch!‘ aus der Affaire ziehen – aber ich möchte das Problem ruhig etwas präziser fassen: wenn wir bei zunächst ganz ‚un-magisch‘ erscheinenden Dingen anfangen – dann bemerken, dass im Zusammenhang mit ihnen immer wieder Vorstellungen oder Verhaltensweisen auftauchen, die solchen in der ‚Magie‘ verblüffend ähneln – und schließlich sogar entdecken, dass genau diese oft auch ganz eindeutig als echte Magie angesehen wurden oder werden – was sollen wir dann sagen?!“

S: „Bloß wird’s eben schon bei Ihren ‚Übereinstimmungen` für mich kritisch, weil ich doch einen grundsätzlichen Unterschied sehe: in der – ich möchte mal sagen – ’normalen‘ Magie könnte ich doch, eben weil ich als Mikrokosmos eben auch den ganzen Makrokosmos in mir habe, dessen Kräfte aufrufen, unbeschadet, ob ich nun eine Frau bin oder ein Mann. Aber wenn wir in Ihrer ‚Animagie‘ nun gezielt die psychischen Energien des gerade entgegengesetzten Geschlechts aufrufen wollten: hieße das nicht, dass wir danach – drastisch gesagt – überhaupt ’nicht mehr wissen, ob wir eigentlich Männchen oder Weibchen sind‘?!“

E: „Sie meinen: das eine entspräche allemal durchaus noch unserer eigenen Natur – während das andere nun geradezu im Widerspruch dazu stünde?“

S: „Ja – etwa das meine ich!“ E: „Oh je – da müssen wir wirklich noch mal ganz von vorn anfangen: Das ganze Konzept von Anima und Animus besagt doch gerade, dass es eben a u c h zur ‚Natur‘ des Menschen gehört, einen psychischen Zugang zum ‚entgegengesetzten‘ Geschlecht zu haben und zwar gerade ‚in meiner Eigenschaft als Mann‘ einen Zugang zum Weiblichen, weil ich nur dadurch eine nicht bloß äußerliche – anatomische oder gesellschaftliche – sondern wirklich ‚innere‘ Beziehung zur Frau finden, also meine ‚männliche‘ Funktion als ihr Partner voll erfüllen kann – wie das umgekehrt natürlich ebenso auch für Sie gerade in ‚Ihrer Natur als Frau‘ gilt! Das geht also keineswegs ‚auf Kosten‘ unseres eigentlichen Geschlechts – etwa nach dem Schema ‚bei 20% Weiblichem in meiner Psyche bleiben nur noch 80% Männliches übrig“ – sondern eher gerade umgekehrt: wenn diese 20% fehlen würden, wäre ich eben auch als Mann bloß zu 80% ‚funktionsfähig‘ statt zu vollen 100%! Wobei ich Sie allerdings bitten muss, diese ‚Prozent-Rechnung‘ nicht wörtlich, sondern nur als Analogie zu nehmen – “

S: „Gut – aber wenn nun (auch wieder als Analogie) ein Mann 80% oder gar 100% ‚weiblichen Seelenanteil‘ hätte – wenn also seine ‚Anìma‘ das Männliche in seiner Psyche völlig dominieren würde: wäre das dann nicht eben ein Homosexueller?“

E: „Das können Sie zwar sogar in manchen psychologischen Büchern lesen – bloß passt es überhaupt nicht: ein Mann, der sich eben gerade nicht den Frauen, sondern anderen Männern zuwendet – der benutzt doch seine ‚Anima‘, seinen Zugang zum Weiblichen eben gerade n i c h t; ich würde sogar sagen, er ‚traut‘ eben ihr nicht als Brücke zu Frauen – sondern verlässt sich statt dessen lieber auf das ihm ‚vertrautere‘ Männliche in sich und seinen gleichfalls männlichen Partnern. Dass sich bei manchen dieser Männer dann ihre derart gleichsam ‚arbeitslos gewordene‘ Anima rächt, indem sie nun jene ‚zickigen‘ Wesenszüge produziert, die zum populären Bild der ‚Tunte‘ gehören – das ist erstens ja keineswegs die Regel: ’seriöse‘ Homosexuelle distanzieren sich meist sogar regelrecht davon (im Grunde vielleicht, weil sie eben gegen j e d e Art von Anima-Aktivität zutiefst misstrauisch sind); und zweitens ist es selbst da eher das Symptom einer ‚verdrängten‘ (und dadurch ‚außer Kontrolle geratenen‘) Anima – als etwa einer ‚dominanten‘, die selbst die Kontrolle übernommen hätte! Die finden Sie vielmehr bei einer durchaus anderen Art von Personen: nämlich bei den ‚Transsexuellen‘ – die empfinden, ‚eigentlich‘ Frauen zu sein, deren ‚weibliche Seele‘ nur zu Unrecht in einen männlichen Körper geraten sei: und nun alles daransetzen, diesen ‚Fehler‘ zu korrigieren, um endlich ‚ihrer wahren Natur gemäß‘ leben zu können…“

S: „Na ja – Christine Jorgensen und so weiter: aber das sind doch schließlich Spezialfälle, die eben erst in unserer heutigen Gesellschaft – mit ihrer sich wandelnden Auffassung der Geschlechter-Rollen und ihrer modernen Medizin, Hormonforschung und Chirurgie akut wurden – “

E: „Eben gerade nicht: Das Phänomen einer solchen ‚Anima-Besessenheit‘, die einen Mann zwang, sich als Frau zu fühlen – und so weit wie nur irgend möglich auch als solche zu ‚leben‘ – fand sich vielmehr zu allen Zeiten und gerade auch bei den verschiedensten ‚Naturvölkern‘ (bei denen man es nun wirklich nicht etwa als ‚Dekadenz-Erscheinung‘ abtun konnte) derart oft – am besten zitiere ich gleich BURCHARD ‚dass es sich um eine global verbreitete, schlechthin allgemein menschliche Entwicklungsmöglichkeit handelt, deren Manifestation von den tatsächlich vorhandenen kulturellen Bedingungen unabhängig zu sein scheint…’”

S: „O.k. – haben Sie mich mit Ihrer überlegenen Weisheit mal wieder abgeführt – aber wo steckt nun die ‚Magie‘ dabei?“

E: „Kommt sofort – ich zitiere weiter: ‚Wie BAUMANN gezeigt hat, genießen diese Transsexuellen unter paläoasiatischen, altmediterranen, indianischen, ozeanischen und afrikanischen Stämmen hohes Ansehen als Schamanen, Priester, Zauberer – Personen mit übernatürlichen Kräften, die man fürchtet und verehrt. … Bei den Navaho gelten sie als große Führer, weil sie männliche und weibliche Fähigkeiten in sich vereinigen.”

S: „Also – um es mal per Karl May zu sagen – ‚Tante Droll‘ statt Winnetou als Indianerhäuptling?!“

E: „Vielleicht eher ‚Medizinmann‘ – obwohl gerade jene Fälle am bemerkenswertesten sind, wo solch ein ‚Transsexualismus’ nicht etwa gleich von Jugend an vorlag: sondern ein stolzer und gefeierter Krieger – meist nach einem ‚göttergesandten Traum‘ – erklärte, von nun an als Weib leben zu müssen, und trotz aller Vorhaltungen bei diesem Entschluss blieb, der dann dem ganzen Stamm als heilig galt – “

S: „Eine Art ‚ Mid-life-crisis‘, bei der auf einmal seine – bisher vielleicht gewaltsam ignorierte – ‚Anima‘ nun eruptiv durchbrach?“

E: „Möglicherweise – aber Sie brauchen nur mal versuchen, sich vorzustellen, dass etwa ein erfolgreicher Manager unserer Tage das gleiche tun wollte: dann verstehen Sie, warum ich Ihre Meinung, Transsexualismus sei doch was, das ‚erst in unserer heutigen Gesellschaft akut‘ geworden sei, schon recht amüsant fand!“

S: „Zugegeben, dass so etwas all diesen ‚Naturvölkern‘ weitaus ’natürlicher‘ erschienen sein mag als uns: aber bestätigt all das auf der anderen Seite nicht gerade meine Befürchtung, dass eben solche ‚Animagie‘ zwangsläufig ein Auflösen, ja geradezu ein Aufgeben der eigenen Individualität bedeuten müsste?“

E: „Moment mal: wenn Sie fragen, was passieren würde, wenn sich ein Mann ‚zu 100%‘ nur noch mit seiner Anima identifiziert – dann dürfen Sie ja kaum darüber erschrecken, dass er d a b e i auch konsequenterweise eben alles übrige ‚aufgeben‘ müsste! Aber solch eine ‚Besessenheit‘ – ob nun durch eine ‚Anima‘ oder im klassischen Sinne durch einen ‚Dämon‘ – ist ja zwar ein ‚magisches Phänomen‘: aber schwerlich eine ‚magische Praktik‘ – bei der man ja gerade durch sehr sorgfältig eingehaltene ‚Rituale‘ der Gefahr begegnen will, unversehens ‚in die Gewalt‘ dessen zu geraten, das man da magisch ‚aufruft‘!“

S: „Aber die ‚Gefahr‘ dafür geben Sie doch damit zu?“

E: „Ja du lieber Himmel – die ist aber doch bei jeder Art von ‚Magie‘ vorhanden! Übrigens nicht nur da: auch schon wenn ich ganz ‚unmagisch‘ bloß ein Streichholz anzünde, könnte ich damit eine Feuersbrunst auslösen – wenn ich mich ungeschickt genug anstelle! Sobald überhaupt irgendeine Form von Energie – ob nun physische oder psychische – d a ist, gibt es natürlich im Prinzip auch die Gefahr, dass sie Unheil stiften könnte: aber die besteht sogar – oder erst recht – wenn ich ‚vorsichtshalber‘ so tun wollte, als gäbe es sie gar nicht! Schließlich kann Feuer sogar ausbrechen, wenn ich gar nie ein Streichholz anrühre – und eine ‚ignorierte‘ Anima beim Mann oder ein ‚verleugneter‘ Animus einer Frau kann wahrscheinlich sogar gefährlichere Auswirkungen haben, als ihr bewusstes Akzeptieren.”

S: „Akzeptieren – also z.B. Streichhölzer, mit den nötigen Vorsichtsmaßregeln, zum Feuermachen benutzen – ist aber ein Ding: ‚magisch‘ nutzen – also etwa ein ‚FeuerRitual‘ praktizieren – dagegen doch noch ein anderes! Sie haben mich ja im Grunde durchaus schon überzeugt, dass wir auch unseren ‚gegengeschlechtlichen Seelenbereich‘ nicht etwa leugnen, sondern ‚akzeptieren‘ sollten – aber warum nun darüber hinaus auch noch ‚magisch‘ mit ihm herumexperimentieren?“

E: „Wenn das eine Grundsatzfrage sein soll – dann muss ich natürlich antworten: ob sich jemand mit einer bestimmten Art von Magie – wie überhaupt mit Magie! – befassen will, ist selbstverständlich immer eine persönliche Entscheidung, ohne dass es Gebote gäbe, ‚warum er das sollte‘! Wenn Sie aber Ihr ‚Warum‘ nur im Sinne von ‚aus welchen Motiven heraus meinen: dann erinnern Sie sich doch nocheinmal daran, dass die erwähnten ‚AnimaBesessenen‘ danach eben nicht bloß einfach als ‚Frauen‘ galten, sondern als ‚Personen mit übernatürlichen Kräften – weil sie männliche und weibliche Fähigkeiten in sich vereinten‘; also gleichsam – im Bild unserer ‚Prozentrechnung‘ von vorhin – eben nicht weitere `80% Anima‘ s t a t t ihrer vorherigen ‚80% Mann‘, sondern noch d a z u – was 80 + 80 = 160% ergäbe statt der üblichen 100% anderer Menschen!“

S: „Aber eben um den hohen Preis der ‚Besessenheit‘!“

E: „Nur ist ja eben das ganze Konzept aller ‚evokatorischen‘ Magie, einen solchen ‚IchZuwachs‘ auch zu erzielen, o h n e diesen Preis dafür zu bezahlen: indem man die zusätzlichen Mächte eben, durch geeignete Rituale, nur zeitweise und strikt kontrolliert ‚aufruft‘ – und danach auch ebenso formal wieder ‚entlässt‘.“

S: „Das hieße hier also: als Mann seine weibliche ‚Anima‘ – oder als Frau ihren männlichen ‚Animus‘ – jeweils nur zu bestimmten Gelegenheiten oder in bestimmten Zusammenhängen, dann aber auch viel intensiver als normal ‚herauszurufen‘ (oder meinetwegen auch zusätzlich in die Psyche ‚hereinzurufen‘)? Aber was für ‚Rituale‘ könnten sich dazu nun eignen?“

E: „Am nächsten läge da wohl FRAZERs klassisches ‚Law of Similarity‘: ‚like begets like‘ – Gleiches erzeugt Gleiches, Ähnliches ruft man durch Ähnliches hervor.“

S: „Können Sie das auch etwas konkreter sagen?“

E: „Mit einem einschlägigen Beispiel aus FRAZERs ‚Goldenem Bogen‘: wenn ein Baum keine Früchte trägt, könnte das – meinen die Galelareeser – daran liegen, dass er sich für männlich hält; also binden sie ihm einen Weiberrock um, damit er sich für eine Frau halten und damit entsprechend fruchtbar werden soll… “

S: „Also jetzt muss ich doch erst mal tief Luft holen – wollen Sie damit sagen, dass etwa die Verkleidungsspäße von Mary und Gordy im Grund ein ‚animagisches Ritual‘ wären?“

E: „Nun – so viel oder so wenig, wie es ‚Magie‘ ist, wenn Siegfried und Roy in Las Vegas auf offener Bühne einen Tiger verschwinden lassen! Beides ist natürlich Show-Business – aber bezieht es nicht eben, gerade als Show-Business, seine Faszination doch im Grund aus dem ‚Magischen‘, mit dem es spielt – hier die ‚Magie‘ des Verschwindens, dort die ‚Magie‘ des Sich-Verwandelns?“

S: „Dennoch werden Sie sich schwer tun, mich zu überzeugen, dass etwa Schwänke wie ‚Charleys Tante‘ oder ‚Tootsie‘ eine tiefe magische Bedeutung hätten!“

E: „Warten wir’s ab – immerhin wissen wir ja seit FREUD, dass auch hinter ·Witzen‘ oft durchaus ernste Probleme stecken: so ernste sogar, dass man sie eben gerade deshalb unter einem Witz versteckt! Und wenn das alte Testament in 5. Mose 22 donnert: ‚Es soll nicht Manns Zeug auf einem Weibe sein, und ein Mann soll nicht das Gewand eines Weibes anlegen, denn wer irgend solches tut, ist ein Greuel im Angesicht Jehovas‘ – dann hielt es so etwas doch offenbar für alles andere als bloß einen harmlosen Jux? Aber wenn Ihnen solche ‚Animaskeraden‘ erst mal zu unseriös erscheinen, können wir auch nur mit dem anfangen, was ja nun zu jeder ‚Evokation‘ nötig ist – nämlich mit einem N a m e n: Da gab es etwa in London Ende des vorigen Jahrhunderts den Literaten WILLIAM SHARP, dessen Kunst- und Literaturkritiken in der Tat meist so scharf waren, wie es seinem Namen entsprach. Zugleich hatte er aber von Kind an eine tiefe Liebe zur geheimnisvoll-urtümlichen Natur Schottlands, die er gern in ‚keltischen Romanzen‘ dargestellt hätte; doch das gelang ihm erst, als ihm bei einem Aufenthalt dort auf einmal – wie er selbst sagte, ‚ready made‘ – der weibliche Name FIONA McLEOD in den Sinn kam: unter dem dann diese Werke entstanden – von denen kein geringerer als der spätere Literatur-Nobelpreisträger YEATS schrieb ‚ihre Kunst ist von jener großen Art, welche auf Offenbarung beruht und mit unsichtbaren und ungreifbaren Dingen zu tun hat’…“

S: „Nun ja, eben ein – wenn auch zugegeben etwas seltsam gewähltes – Pseudonym – “

E: „In diesem Fall doch wohl mehr: ‚ich kann mir so vom Herzen schreiben, wie ich es niemals tun könnte als William Sharp …‘ notierte er, und später ‚immer ausgesprochener werden W.S. und F.M. zwei Personen, bald vereint im Geist und zusammen ein Wesen, bald deutlich voneinander unterschieden‘ – schließlich wechselte er, wie seine Frau berichtet, sogar an jedem seiner Geburtstage Briefe mit ‚FIONA‘, in denen er ‚ihr‘ seinen Dank für die schöpferischen Quellen sagte, die sie ihm eröffnet habe – und ’sie‘ ihm darauf antwortete – “

S: „Ach – eine wirkliche Frau hatte er also auch?!“

E: „Wieso nicht? Sind Sie immer noch auf dem Trip, Umgang mit der Anima hätte zwangsläufig eine Art Entmannung zur Folge? Er war sogar sehr glücklich verheiratet – übrigens mit seiner Cousine – “

S: „Und was hielt die nun aber von ‚FIONA‘?“

E: „Offenbar sehr viel: denn in der Tat wurde die Identität von ‚FIONA McLEOD‘ mit WILLIAM SHARP, die vorher niemand geahnt hatte, überhaupt erst durch das Memoir zu seinem Andenken bekannt, das sie 1910 nach seinem Tod veröffentlichte…“

S: „Na schön – aber ich weiß jedenfalls nicht, ob ich in einer Art Dreiecks-Ehe mit einem Mann und seiner personifizierten Anima leben möchte, mit der er seelenvolle Briefchen wechselt – “

E: „Dann dürften Sie aber überhaupt keinen Autor heiraten, der mehr als pure Reportagen schreibt – denn sobald in seinen Werken auch Frauen vorkommen, die irgendetwas tun, sagen oder fühlen, das e r sich ausgedacht hat: wo ist da eigentlich noch der Unterschied zur ‚Fiona‘, mit der Sharp Zwiesprache hielt? Man macht sich meist doch gar nicht klar, dass die meisten großen ‚Frauengestalten‘ der Literatur – vom Gretchen im Faust bis zu Ibsens Nora – eben gar k e i n e ‚Frauen‘ sind: sondern nur die Autoren selbst in ihrem Versuch, ‚Frauen darzustellen‘ – und wie weit sind wir da eigentlich noch von Mary und Gordy?!“

S: „Na ja – das liegt aber doch nur daran, dass die Literatur eben Jahrhunderte hindurch nur von Männern dominiert worden ist und die wirklichen Frauen nicht zu Wort kommen ließ – au verdammt, nein, umgekehrt ist’s ja genau so schlimm: der Rhet Butler in ‚Vom Winde verweht‘ ist in Wirklichkeit auch nur Mrs. Mitchells Animus in Hosen – und da die Männer in den Büchern unseren modernen Autorinnen ja genausowenig ‚echt‘ sind, werden wir entsprechend viel davon für ein ’neues Verhältnis von Frau und Mann‘ profitieren! Das ist allerdings ein echter Hammer: die ganze Weltliteratur als Transvestiten-Show – !“

E: „Sagen wir vielleicht etwas milder: als ständige ‚Anima‘- oder ‚Animus-Evokation‘! Seltsamerweise habe ich das ausgerechnet so klar bei einem Dichter formuliert gefunden, der heute fast unzeitgemäß ‚mannhaft‘ erscheint – dem Offizier und Landedelmann Börries von Münchhausen im Prolog zu seinen ‚Balladen und ritterlichen Liedern‘, wo er schrieb: ‚Männer schuf ich und schuf stille Frauen Und erlöste Mann in mir und Weib, Denn mit wunderlichen Selbstvertrauen gab ich meine Seele jedem Leib… ‚ Das eigentlich ‚Magische‘ ist für mich dabei aber: nach allen ‚Regeln der Kunst‘ muss es doch schiefgehen, wenn jemand über etwas schreiben will, was er selbst nie erlebt hat – ein echter Kriminalkommissar findet einen Schnitzer nach dem anderen bei seinen erdachten ‚Kollegen‘ in Kriminalromanen – und wer selbst mal Manager war, muss meist darüber grinsen, wie sich Autoren das ‚Managen‘ vorstellen! Warum aber schüttele ich dann nicht auch ständig den Kopf über die männlichen Hauptpersonen in ‚Vom Winde verweht‘ – wieso protestieren Schauspielerinnen nicht laufend, dass sie sich als wirkliche Frauen mit den erdachten Frauengestalten männlicher Autoren doch gar nicht identifizieren könnten? Wieso hat jede von ihnen im Gegenteil sogar gerade da ‚Traumrollen‘, die sie unbedingt einmal ‚verkörpern‘ möchte – warum würden viele Männer gern Rhet Butler sein? Fasziniert sie gerade der – wie Sie so nett sagten – ‚Animus in Hosen‘, oder die Schauspielerin all die ‚Animas in Röcken‘?“

S: „Sie meinen – ‚erweitert‘ es nicht nur das Ich des Autors, wenn er sein gegengeschlechtliches Seelenteil ‚evoziert‘: sondern auch unser eigenes, wenn wir uns dann – eben gerade als Person des anderen Geschlechts – darin gespiegelt sehen? Da ist sicher etwas dran: ich glaube zum Beispiel, dass die meisten Frauen, wenn sie die Wahl hätten, sich von einer anderen Frau – oder aber von einem Mann portraitieren zu lassen, lieber sehen würden, wie ein Mann sie ’sieht‘ – “

E: „Da geben Sie mir gleich wieder ein Stichwort: das berühmteste ‚Frauenportrait‘ aller Zeiten ist ja wohl die Mona Lisa mit ihrem geheimnisvollen Lächeln. Nun hat aber jüngst die US-Computerspezialistin LILLIAN SCHWARZ ein Rötel-S e l b s t-Portrait LEONARDO DA VINCIs – da er ja meist in Spiegelschrift schrieb – gleichfalls seitenverkehrt gespiegelt und dann Punkt für Punkt mit dem Gesicht der ‚Mona Lisa‘ verglichen: und ohne Bart- und Brauen-Haare lagen Haaransatz, Augen, Wangen, Nase – und die weltberühmten Lippen! – exakt übereinander! Hat Leonardo da in Wirklichkeit ’seine gespiegelte Anima‘ gemalt?“

S: „Also – da würde ich aber nun nicht zuviel hineingeheimnissen! Vielleicht hat er auch bloß – rein technisch – vor dem Spiegel mal Licht und Schatten auf seinen eigenen Lippen skizziert, um diese spezielle Art von Lächeln (das die arme Lisa beim stundenlangen Modellsitzen ja nicht dauernd gezeigt haben wird!) richtig hinzukriegen – “

E: „Aber wäre es selbst dann nicht eigenartig, dass ausgerechnet dieses ‚männliche‘ Lächeln auf weiblichen Lippen die Menschen nun seit Jahrhunderten derart fasziniert? Wirkt da nicht doch wieder irgendwo die Magie der evozierten Anima?“

S: „Nun ja – dass schöpferische Künstler oft auf die innere Kraftquelle ihrer Anima – und Künstlerinnen dann wohl auf die ihres Animus zurückgreifen, und dass die sich dann auch, mehr oder minder deutlich, in ihren Werken spiegeln: das könnte man ja nun auch so verstehen, dass man eben in jeder ‚Schöpfung‘ eine Art von ‚Zeugungsakt‘ sieht, bei dem ‚männliche‘ und ‚weibliche‘ Elemente einander befruchten ?“

E: „Genau das war ja nun ein zentraler Gedanke aller ‚gnostischen‘ Lehren der Spätantike – und von der ‚Gnostik‘ führen ja nun direkte Wege zur ganzen mittelalterlichen Magie wie auch zur Alchymie: wo ‚Hermaphrodit‘ oder ‚Androgyn‘, mannweibliche Doppelwesen, immer wieder als Symbole der ‚Materia prima‘ – oder des ‚Steins der Weisen‘, der aus ihr entsteht – auftauchen – “

S: „Was Sie nun sicher gleich wieder als pure ‚Animagie‘ deuten wollen?! Aber statt dass Sie mir jetzt in das weite Feld der Alchymie davonpreschen, möchte ich doch lieber das weiterverfolgen, was ich eben eigentlich im Sinn hatte: schöpferische Künstler – oder auch alchymistische Adepten – mögen ja nun wirklich recht intimen Umgang mit ihrem ‚gegengeschlechtlichen Seelenteil‘ haben. Aber wo bleiben dabei nun gewöhnliche Sterbliche, die nicht immer gleich unsterbliche Werke oder den Stein der Weisen schaffen? Könnten auch die ihre Anima oder ihren Animus evozieren – und wie?“

E: „Sie meinen sozusagen ‚Animagie für den Hausgebrauch‘? Da gäbe es neuerdings eine ganze Menge von Möglichkeiten: zum Beispiel wurde jetzt eine Art Computerspiel ‚Alter Ego‘ populär, in dem man als Mann oder Frau einmal ein ganz anderes hypothetisches Leben durchspielen kann (übrigens auch ein sehr ‚magisches‘ Konzept, das Sie in vielen alten Legenden finden); da brauchten Sie nun nur die Diskette für das andere Geschlecht einzulegen – um zwangsläufig ihren Animus ‚ins Spiel zu rufen‘. Oder: gerade vor kurzem hörte ich von einem Fotobuch der Fotografin SYLVIA VOSER, ‚Identity‘ – mit dem Untertitel ’27 Männer und Frauen entdecken sich in der eigenen und der anderen Geschlechtsrolle’…“

S: „Schon interessant – aber Computer und Fotos haben ja nun schwerlich eine lange ‚magische‘ Tradition?“

E: „Da könnte ich Ihnen zwar auch gründlich widersprechen: vom ‚erzenen Haupt‘, das alle Fragen beantwortet (und das von Albertus Magnus bis zu Gerbert d’Aurillac so ziemlich allen mittelalterlichen Weisen zugeschrieben wurde) bis zur ‚magischen‘ Scheu des Naturmenschen vor dem Fotoapparat, der mit seinem Bild auch seine Seele einfangen könnte! Aber in gewissem Sinne haben Sie schon recht: nur kommen wir dann eben zu dem Thema, an das Sie vorhin partout nicht heranwollten – die jedermann zugänglichen ‚Hausmittel‘ zur Evokation von Anima oder Animus waren eben von altersher die Kleidungstücke des anderen Geschlechts!“ S: „Aber wenn es für jemand nicht bloß ein Jux ist, die anzuziehen, sondern bitterernst: ‚Fetischismus oder ‚Transvestitismus – dann sind das doch sexuelle Perversionen – keine Magie!“

E: „Entschuldigung – aber das ist ja nun reines Wortgeklingel: ’sexuell‘ heißt doch nur, dass hier irgendwie das Geschlecht im Spiel ist – und ‚Perversion‘ eigentlich bloß ‚anders als gemeinhin üblich‘! Nach dem Schema könnte ich mit gleichem Recht etwa Astrologie eine ‚astronomische Perversion‘ nennen – oder sogar, da ja die meisten Menschen eher Horoskope lesen, als wirklich Sterne beobachten, die Astronomie eine ‚astrologische Perversion‘! Ich fände es viel aufschlussreicher, wenn wir diese Fälle statt dessen einmal nach ‚magischen Konzepten‘ betrachten: trägt dann der Mann, der unter seiner ’normalen‘ Kleidung ein Stück Damenwäsche anhaben muss, nicht eigentlich ein ‚Anima-Amulett‘ – das ihn irgendwie der ständigen helfenden ‚Präsenz‘ seines weiblichen Seelenteils versichern soll? Oder vollzieht – im anderen Extrem – jener, der sich hinter verschlossenen Türen vor dem Spiegel in stundenlanger Andacht Punkt für Punkt, vom falschen Busen bis zu Make-up und Perücke, als elegante Dame herrichtet, nicht ein regelrechtes ‚Evokations-Ritual‘: in dem seine Anima schließlich ganz analog sichtbar ‚erscheint‘, wie ein heraufbeschworener Geist oder Dämon?“

S: „Nun – meinetwegen: aber dann müsste sie ja auch irgendwas entsprechend wunderbares für ihn tun?“

E: „Darf ich mal wieder zitieren – nicht etwa einen sanften Poeten, sondern einen 31jährigen Eisenbahnangestellten: ‚Die wunderbare Wirkung der Frauenkleider ließ mich noch den nächsten Tag bei der Arbeit zittern. Die Welt erschien mir klar, friedlich und heiter. In einem Glücksrausch ging ich unter den verlöschenden Sternen zur Arbeit. Obwohl ich nur die Hälfte meiner Energie anwandte, verrichtete ich die Arbeit von drei Personen…“‚

S: „Entschuldigen Sie – das klingt aber für mich doch eher wie ein schwärmerisches Frauenzimmer!“

E: Oder noch ein Zitat: ‚Durch die geheimnisvolle Kraft dieses Gewandes‘ – diesmal eine enganliegende schneeweiße Robe, fußlang und mit einem Gürtel gebunden, über seidener Unterwäsche – ‚lege ich einen Schutzpanzer des Heils an, die Kraft, mein Vorhaben zu vollbringen…“

S: „Anscheinend allemal gleich pathetisch!“

E: „In der Tat verblüffend ähnlich: nur war das diesmal die Beschreibung der Kleidung, die laut dem 4. Buch von AGRIPPA VON NETTESHEIMs ‚Okkulter Philosophie‘ der Magier zu seinem Ritual anzulegen hat – und die Formel, mit der er sich dann seinem Werke weiht, aus dem berühmten Grimoire ‚Lemegeton – oder der kleinere Schlüssel Salomos‘.“

S: „Bei Salomo: das hätte ich doch ahnen müssen, dass Sie – oder Ihre raffinierte Anima? – mich schließlich mal wieder richtig hereinlegen würden! Aber ich muß mich geschlagen bekennen: Gewänder sind also wirklich auch etwas ‚Magisches‘ – und anscheinend sogar umso mehr, je femininer sie sind! Aber wieso nun gerade das?“

E: „Dazu hat nun der Historiker ROBERT GRAVES – Sie wissen: ‚Ich, Claudius, Kaiser und Gott‘ und so weiter – in seiner Darstellung der griechischen Mythen eine interessante These aufgestellt: in der Jungsteinzeit, führt er aus, stand die gesamte Religion noch allein im Zeichen der ‚Großen Göttin‘ – deren Kult, eng mit dem des Mondes verbunden, damals ausschließliche Domäne der Frau war: während die Männer sich nur mit harmloseren Dingen wie Jagen, Fischen, Viehhüten und, gelegentlich, Kämpfen befassen durften. Die jeweilige Mond-Priesterin erwählte zwar periodisch eine Art ‚Prinzgemahl‘ – der aber anfangs nach Ablauf seiner ‚Amtszeit‘ regelmäßig bei Fruchtbarkeitsriten sein Leben opfern musste (bis diese Amtszeit allmählich immer weiter verlängert und endlich zum Königtum auf Lebenszeit wurde). Zunächst durfte er die Priesterin aber höchstens gelegentlich bei manchen ihrer magischen Funktionen vertreten, wenn sie ihm dazu gestattete – jetzt kommt es – i h r e magischen Roben anzulegen, mit denen auch ihr ‚Mana‘ zeitweise auf ihn überging!“

S: „Holla – steckt das etwa sogar noch in der heutigen ‚Investitur‘ des Priesters: der ja, wenn ich’s mir recht überlege, auch eine Art ‚feminine Robe‘ anbekommt?“

E: „Ganz bestimmt spiegelt es sich jedenfalls – sagt GRAVES – noch in der höchst seltsamen Episode des Herkules-Mythos, in der ausgerechnet dieser antike ‚SuperMann‘ im Dienst der Königin Omphale Löwenfell und Keule ablegt und statt dessen an ihrem Hof in Frauengewändern, mit weiblichem Schmuck und Kopfputz am Spinnrocken sitzt: was dann die ‚klassischen‘ griechischen Schreiber später nur noch als Allegorie dafür verstehen konnten, dass eben selbst ein öffentlicher Held zuhause manchmal zum bloßen ‚Pantoffelhelden‘ werde (in der Tat verdrosch ihn nämlich Omphale angeblich, wenn er mit seinen Heldenpratzen den Spinnfaden zerriss, mit ihrem goldenen Pantoffel). OVID allerdings gab für diese Überlieferung eine ‚Erklärung‘ eher im Stil einer französischen Schlafzimmer-Farce: danach hätte Omphale nämlich bloß den nach einer heißen Liebesnacht eingeschlummerten nackten Herkules mit ihrem seidenen Gewand zugedeckt zurückgelassen, als der Gott Pan, der sich in Omphale verliebt hatte, in das dunkle Gemach schlich, die Gestalt unter der Seide zärtlich umarmte – und prompt von dem erwachenden Herkules mit einem gewaltigen Fußtritt hinausbefördert wurde; nur aus Rache für diese Blamage habe Pan dann überall herumerzählt, der Heros laufe neuerdings perverserweise in Frauenkleidern herum!“

S: „Wahrhaftig – fast so eine Szene gab’s doch in ‚Manche liebens heiß‘ auch: nur hatte ich keine Ahnung, dass sie so ein ‚klassisches Vorbild‘ hatte!“

E: „Ja – an diesem Beispiel können Sie aber nun fast wie ein Archäologe bei einer Ausgrabung die einzelnen ‚historischen Schichten‘ der Reihe nach ‚abtragen‘ – oder wenn wir mal umgekehrt ‚von unten‘ anfangen: Der ursprüngliche Zusammenhang – wo es für den Prinzgemahl der Mond-Priesterin in der Tat eine hohe Ehre (und wahrscheinlich sogar ein profundes ‚magisches Erlebnis‘) war, sie in ihren Roben ‚vertreten‘ zu dürfen – war in der Zeit des Patriarchats bereits völlig ‚zugeschüttet‘: da erschien es vielmehr als eine ausgesprochene Peinlichkeit, einen männlichen National-Heros in Frauengewändern ‚erniedrigt‘ zu sehen – und da er so etwas nun auf Herkules nicht sitzen lassen wollte, ließ sich OVID anstelle dessen eine bloße Kleider-Verwechslungs-Komödie a la ‚Charleys ‚Tante‘ einfallen: womit dann auch Ihre entrüstete Frage von vorhin beantwortet wäre, ob ich Ihnen etwa solche Schwänke als ‚Beispiele für Animagie‘ offerieren wolle! Tatsächlich können Sie aber z.B. in der Filmkomödie ‚Tootsie‘ das Urmuster sogar noch unverfälschter wiedererkennen: wenn der kleine Schauspieler auf einmal – sobald er sich (‚aus bloßem Jux‘?) ins Damenkostüm geworfen hat – als ‚großer Star‘ herauskommt: ist das nicht das frappierende Gegenstück zu unserem ‚Prinzgemahl‘ unter dem magischen Mana der Priesterinnen-Robe?!“

S: „Ich kapituliere – Sie haben’s wieder mal geschafft: und sogar so ganz en passant auch noch erklärt, warum das Haus zwar ausverkauft ist, wenn sich ‚Mary und Gordy‘ als ‚Damen‘ präsentieren – während kaum ein Hahn danach krähen dürfte, wenn zwei Frauen als ‚Herren-Imitatoren‘ auftreten wollten…“

E: „Entdecke ich da bei Ihnen gar eine neue Spielart feministischen Unmuts?! Dann bedenken Sie aber gerechterweise auch, dass diese ‚Asymmetrie‘ ja nun gerade auf eine Menschheitsperiode zurückgeht, wo offenbar eben wir Männer eindeutig ‚im zweiten Rang‘ standen! Aber vielleicht tröstet es sie, dass auf altägyptischen Reliefs umgekehrt auch die Königin Hatschepsut – um ihre Pharaonenwürde anzudeuten – mit einem Spitzbart dargestellt wurde und wahrscheinlich zu zeremoniellen Anlässen auch wirklich einen solchen falschen Bart tragen musste?“

S: „Was zumindest heutigen Königinnen und ähnlichen Würdenträgerinnen erspart bleibt – während ihr bedauernswerten Männer euch noch immer in wallende Roben hüllen müsst, um als Pfarrer, Kardinäle, Richter, Magier oder Gurus wenigstens ein Stückchen von unserem ‚Animana‘ abzuzweigen? Falls Sie sich nicht überhaupt gleich für Ihr nächstes Ritual etwas von meiner Garderobe ausborgen möchten – ?!“

E: „Vielen Dank – aber da Sie, wie ich konstatiere, gerade einen sehr schicken Hosenanzug tragen, wäre ich mit dem dann ja auch nicht weiter als schon in meinen Herrenhosen – “

S: „Touche – wollen Sie sagen: wir Frauen evozieren in unserer Kleidung ja heute schon unseren ‚Animus‘ ganz routinemäßig, während ihr Männer euch das bei eurer Anima noch immer höchstens in Ausnahmefällen traut? Vielleicht sollten wir uns als Zeichen der Gleichberechtigung auch gleich noch falsche Spitzbärte a la Hatschepsut zulegen …? Aber damit haben Sie mich jetzt noch auf was ganz anderes gebracht: wenn – wie Sie sagen – nun zur ‚vollen‘ Frau eben auch ihr ‚Animus‘ gehört – dann müssten Sie ja in Ihrer ‚Anima‘, um sich mit ihr wirklich auf die Frau einstimmen zu können, gleichfalls wieder ein korrespondierendes Unter-Stückchen ‚Animus‘ haben: und das müsste dann, da es ja dem Mann entsprechen soll, auch wieder eine Unterabteilung ‚Anima‘ haben – und so weiter in einer unendlichen Schachtelfolge, an der ESCHER oder HOFSTADTER ihre Freude hätten! Und um das übrigens – im Sinne magischer ‚Korrespondenz‘ – zu symbolisieren: müßten Sie sich dann nicht eben gerade doch meinen Hosenanzug ausborgen?“

E: „Donnerwetter – jetzt hat sich unser Gespräch aber wirklich gelohnt: Sie haben natürlich völlig recht – mein ‚Resonanzkreis‘ für das Weibliche müsste mir natürlich auch sagen, wie nun wiederum die Frau auf mich reagieren würde: das heißt aber doch, welche Resonanz ihr ‚Animus‘ gegenüber mir hätte – schließlich schrieb ja nicht nur SHARP Briefe an ‚FIONA‘, sondern ‚FIONA‘ schrieb ja auch an ihn zurück, obwohl ’sie‘ ja im Grund ’seine‘ eigene Anima war! – und das geht ja eigentlich nur, wenn auch in meiner eigenen Anima wiederum ein Animus-Resonanz-Element steckt… Das sind ja ganz neue Perspektiven – denn zu alledem müsste es ja auch die entsprechenden ‚animagischen‘ Gegenstücke geben: wäre eine derart ‚androgyne Anima‘, in der auch wieder ein ‚Animus‘ steckt, und in dem wieder dessen ‚Anima‘ usf. – bzw. ihr Widerpart bei der Frau – etwa nun tatsächlich der ‚Stein der Weisen‘, in dem die Gegensätze zusammenfallen – ‚coincidentia oppositorum‘ – nicht indem sie sich gegenseitig ‚auflösen‘, sondern sich gleichsam unendlich ineinander verschränken? Und wäre es diese unendliche Verschränkung, die sich etwa in den -zig mal zu wiederholenden Operationen des ‚magnum opus‘, des ‚Großen Werks‘ der Alchymie spiegelt? Darüber muss ich erst mal gründlich nachdenken – und wenn unser Gespräch, mit seinem parallelen Dialog auch zwischen Ihrem Animus und meiner Anima, mich dazu angeregt hat, kann ich mich nur bei allen (zwei, vier – oder unendlich vielen?) Beteiligten dafür bedanken … “

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