Nun schon zum dritten Mal fand im Rahmenprogramm des Nürnberger CSD die Veranstaltung „Queere Worte sind divers“. Es war mir eine Ehre und eine Freude, wieder dabei sein zu dürfen.
Der folgende Text ist mein diesjähriger Beitrag.
Der neue Hass auf trans Personen
Wir sind auf der Zielgeraden für ein Selbstbestimmungsgesetz. Das unwürdige TSG ist hoffentlich bald Vergangenheit.
Ich dachte immer, wenn das mal geschieht, ist es pure Freude für mich und die queere Community insgesamt.
Doch es ist gerade anders.
Mit den aktuellen Diskussionen sind alte Ressentiments wieder da. Plötzlich scheinen die 70er Jahre sind wieder da zu sein!
Lange hinter mir gelassene Ängste tauchen wieder auf. Auf welche Toilette darf ich gehen? Wo werde ich nicht verjagt oder angepöbelt?
Natürlich habe ich mit Widerstand gerechnet. Aus der rechten Ecke und von den religiös Verblendeten. Aber nicht von dort, woher momentan die ekligsten Angriffe kommen: von sich selbst so definierenden Feministinnen!
Plötzlich müssen wir über Schutzräume und Toiletten reden
Trans Frauen werden als Raubtiere beschrieben, die Frauen in geschützten Räumen belästigen.
Wieso sind die Frauen in Skandinavien nicht komplett traumatisiert? Da gibt es nach Geschlechtern getrennte Toiletten nämlich nur ausnahmsweise.
Und Geschlechtergetrennte Umkleiden als Schutzräume?
Das war für mich schon ein Kulturschock, als ich von Göttingen nach Nürnberg umgezogen bin. Ich habe nämlich zu dieser Zeit in Mixed-Teams wettkampfmäßig Volleyball gespielt. Was mich irritiert hat, war die Zuteilung der Umkleiden für die Teams. Hier in Bayern war das seltsamerweise so, dass nach Männern und Frauen getrennt wurde und nicht – wie ich es ausschließlich kannte und logisch fand – nach Heim- und Gast-Team. Seltsames Bayern.
Um es auf den Punkt zu bringen: wie viele Fälle sind eigentlich bekannt, in denen eine trans Person in eine Frauenumkleide oder Toilette eingedrungen ist, um dort Frauen zu belästigen? Genau!
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass eine Person extra den Geschlechtseintrag via Selbstbestimmungsgesetz ändert, nur um eine Toilette oder Umkleide zu betreten.
Und will wirklich irgendwer in Deutschland Ausweis- und Genitalkontrollen vor allen diesen Türen?
Die Narrative
Über was wird sonst noch geredet?
Die marginale Minderheit
Darüber, dass wir Transgender nur eine “verschwindende Minderheit” “im Promillebereich” seien.
Wenn ich sehr zurückhaltend davon ausgehe, dass von 300 Personen eine Person trans ist, dann leben in Deutschland knapp 280 Tausend! So viele Einwohner hat Wiesbaden!
Abgesehen von der Zahl: wie klein genau muss eine Minderheit sein, damit Menschenrechte für sie nicht mehr gelten?
Das Gegenstück dazu ist….
Die mächtige trans Lobby.
Eine kleine Gruppe marginalisierter Personen verfügt gleichzeitig über unfassbar großen Einfluss in Medien und Politik.
Wenn wir so mächtig sind…. Wieso bitte hat mir das keiner gesagt? Und wieso bin ich dann Diskriminierungen ausgesetzt?
Im Ernst. Wer jemals die prekären Finanzen von queeren Projekten gesehen hat, das Ringen um kleine Fördertöpfe mitgemacht und sich um den Erhalt von befristeten Teilzeitstellen gesorgt hat, weiß, dass das nicht das Gleiche ist, wie der Verband der deutschen Automobilindustrie oder auch nur der ADAC.
Das größte Thema aber sind die zwei Geschlechter
Die Story: Es gibt nur zwei eindeutige, klar getrennte Geschlechter und jede Person gehört genau einem davon an.
Biologische Frauen hier und biologische Männer da. Und dazwischen eine klare Grenze.
Das ist keine Natur und schon gar keine Naturwissenschaft. Das müssen wir hier nicht mehr bereden. Es ist Quatsch. Die Natur ist eben nicht binär und kategoriell, sondern kennt ganz viele Zwischenstufen. Die Geschlechter sind ein Kontinuum. Ich will hier nicht tief graben, deshalb nur so viel:
Schon bei Chromosomen… existieren mehr als nur zwei Kombinationen. Die dann sogar unterschiedliche Ausprägungen haben können, etwa eine Person mit XY-Chromosomenpaar, die aber eine Vagina und Eierstöcke hat.
Einfach ist es nur, wenn man will, dass es einfach ist und die Realität ausblendet.
Penisse, Penisse, Penisse
Bei der Frage, wie man denn nun Frauen und Männer unterscheidet, geht es übrigens sehr intensiv um Penisse! Das ist die große Vereinfachung: ein paar Zentimeter bzw. Gramm entscheiden über das Geschlecht.
Seit wann sind Feministinnen so besessen von Penissen?
Selbstbestimmung als Gefahr
Das sind die die Dinge über die geredet wird. Doch dahinter steht etwas anderes. Wogegen diese Personen kämpfen ist die Selbstbestimmung! Es ist der Gedanke, dass Individuen selbst am besten wissen, wer und wie sie sind und Respekt dafür einfordern können.
Das Selbstbestimmungsgesetz stellt das Recht in Frage, anderen aufgrund des äußeren Anscheins einen bestimmten Platz in der Gesellschaft zuzuweisen.
Dabei bestätigt es bloß bekannte Dinge:
- Die Welt ist komplizierter, als die einfachen Modelle.
- man kann seinen Augen nicht immer trauen.
- Menschen wissen über sich selbst besser Bescheid, als alle anderen
Wozu muss man Menschen oder Dinge kategorisieren? Um Unterschiede daran fest zu machen! Kategorien sind doch nur da interessant und wichtig, wo es Auswirkungen hat, in welche Schachtel in jemand stecke.
Wer findet es eigentlich schlimm, dass Personen am besten über sich selbst entscheiden dürfen? Und selbst festlegen ob und in welche Schachtel sie passen?
Menschen, die über andere bestimmen wollen und auch glauben, dieses Recht zu haben.
Es geht nicht um Biologie
Was sehen wir in der Diskussion?
Radikale Vereinfachung, Reduktion von Menschen auf biologische Funktionen insbesondere Fortpflanzung, Feindbilder aufbauen, Angst schüren und darauf aufbauend gesellschaftliche Freiheit begrenzen.
Das ist nicht Natur, das ist Ideologie!
Es sind immer Ideologien, die Menschen dazu bringen, andere zu verfolgen und zu diskriminieren. Angeblich wichtige Unterscheidungsmerkmale, die „uns“ von „denen“ abgrenzen.
Aber das ist keine feministische Ideologie, sondern es ist die Ideologie des Patriarchats.
Die “natürliche Geschlechterordnung” ist ein Narrativ des Patriarchats und es dient dazu Frauen zu unterdrücken mit dem Argument sie schützen zu wollen. Weil sie aus biologischen Gründen nun einmal schutzbedürftig seien.
Aus Sicht des Patriarchats hätte ich auch Angst, wenn dieses Narrativ durch eine Weiterentwicklung der Gesellschaft erodiert. Da ist jede nonbinäre Person und überhaupt jeder Akt der Selbstbestimmung bedrohlich.
Dazu passt, dass in den Schlammschlachten auf Twitter usw. immer nur in Richtung auf trans Frauen ausgeteilt wird. Von trans Männern ist selten die Rede.
Obwohl eines der Hauptthemen in der Debatte bei Frauen wie Alice Schwarzer die große Zahl von trans Männern ist.
Trans Männer, die ihre Transition bedauern und bereuen, werden als warnende Beispiele gezeigt.
Nach dieser Logik sind trans Männer Opfer …
und trans Frauen männliche Triebtäter die marodierend in Frauenschutzräume eindringen.
Die einen, die “eigentlich Frauen” sind, müssen vor sich selbst geschützt werden und die „richtigen Frauen“ vor den anderen.
Das klingt für mich eher nach den Taliban als nach Feministinnen.
Stockholm!
Die Einschränkungen für Frauen kommen doch nicht primär vom Körper. Sie beruhen auf den Restriktionen des Gender und den damit verbundenen Erwartungen. Und nun haben ausgerechnet selbst ernannte Feministinnen Angst davor, dass die Gendernormen erodieren? Sie stellen sich an eine Seite mit denen, die Frauen schon immer auf Fortpflanzung und Mutterrolle reduzieren wollen?
Für dieses Phänomen gibt es einen Namen!
Ich sehe die Feministinnen, die uns aktuell mit Hass verfolgen nicht als Täterinnen. Sie sind primär Opfer des Patriarchats. Und sie haben das Stockholm-Syndrom.
Das Opfer entwickelt Sympathie für die Meinung und Verhaltensweisen des Entführers und glaubt, die gleichen Werte und Ziele zu haben.
Wie also reden mit TERF?
Ein großes Problem dabei ist, dass sich nur wenige Menschen mit dem Stockholm-Syndrom überhaupt pathologisch fühlen. Sie können die Komplexität der Situation nicht sehen.
Versuche, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Es ist wichtig zu versuchen, ins Gespräch zu kommen. Aber – das Schwierigste! – versuche, dich nicht angegriffen zu fühlen.
Versuche nicht, sie zu überzeugen, und versuche sie nicht zu zwingen, ihre Meinung zu ändern. Spreche einfach mit ihnen und erkläre deinen Standpunkt auf eine ruhige Art und Weise.
Zeige Zuneigung. Du musst Vertrauen vermitteln, damit sie dich nicht als Feind sehen.
Das Wichtigste ist, ruhig zu bleiben, damit die Hilfe, die wir geben können, auch ankommt.
Die gesellschaftliche Realität ändert sich. Und mit den Veränderungen zum besseren werden auch die positiven Gefühle der Opfer gegenüber dem Patriarchat nach einer gewissen Zeit nachlassen.
Bis dahin müssen wir geduldig sein.
Querverbindungen
© Jula Böge 2022
Hallo Jula,
ich denke, Du schreibst so vieles, was zutreffend ist. Das finde ich immer wieder im besten Sinne sehr anregend. Vielen Dank dafür. Aber das Thema „Stockholm-Syndrom“ ist in meinen Augen an dieser Stelle nur bedingt passend. Es geht mMn nicht um eine Sympathisierung mit den Tätern des Patriachats, sondern um die Deutungshoheit als Machtfrage. Ich sehe Frauen, die es geschafft haben, sich weitgehend selber von dem erlebten Patriachat befreit haben bzw. noch dabei sind, sich zu befreien. Gerade die Befreung von der Fremdbestimmung führt zu einer sensiblen Wahrnehmung von Gefahren von Fremdbestimmung.
Wenn Transfrauen als Männer wahrgenommen werden, braucht Transfrau sich nicht zu wundern, dass aus dieser Sensibilität heftige Reaktionen resultieren. Wir werden also nicht als „Männer“ diffamiert, sondern einfach nur missverstanden. Ich sehe mit „Stockholm“ keine passende Beschreibung des Phänomens.
Sehr kritisch sehe ich aber Die bezeichnung „TERF“. Es ist in meinen Augen nichts anderes als eine Form der Diskriminierung, insbesondere dann, wenn man sie pathologisiert. Ich glaube, es steht uns nicht gut an, uns über diese Frauen zu stellen, denn das drückst Du in worten wie „Sie können die Komplexität der Situation nicht sehen.“ aus.
Es gilt auch für uns, wenn es heißt „Den Splitter im fremden Auge, aber den Balken im eigenen Auge nicht sehen“. Wie reagieren wir, wenn andere Menschen glauben, wir seien nicht ganz dicht, wenn es um die Erkennung des eigenen geschlechts geht ? Sind wir analog nicht „TERFs in eigener Sache“ ?
In der Schlussfolgerung stimme ich mit Dir in vielem überein. Wir brauchen Geduld und wir brauchen das Gespräch. Wir müssen um Verständnis für unsere Situation werben (Ich-Botschaften). Aber wir dürfen nicht über andere Menschen und ihre Sichtweise urteilen. Wir müssen auch Offenheit für die Standpunkte unseres Gegenübers entgegen bringen.
Vielleicht ist es ein bisschen wie beim Bergsteigen. Wir brauchen Vertrauen in uns selber, aber auch in Fähigkeiten des/der Anderen, dass wir als Team gemeinsame Ziele erreichen.
Liebe Grüße
Vicky
Also ich sehe Täterinnen die mit dem Patriarchat und seinen Werten liebäugeln als Täterinnen, PUNKT!