Ich habe zum Jahreswechsel 12/13 Matthias Schweighöfer in „Rubbeldiekatz“ gesehen. Davon möchte ich kurz berichten, weil ich durch den Film zu einer überraschenden Erkenntnis kam.
Der Film
Vor dem Anschauen des Films habe ich mich lange gedrückt, obwohl er mich wegen des Crossdressing-Themas natürlich neugierig gemacht hatte. Aber ich hatte Vorbehalte, weil es meiner Meinung nach praktisch nur miese Filme mit crossdressenden Männern gibt. Die Versuchung, das Thema in peinlichen Witzen abzuhandeln, ist einfach zu groß.
Die Ausnahme bildet „Tootsie“, aber das deutsche Kino der 70er Jahre hat mich gelehrt, was Grauen ist. Doch ich wurde von Rubbeldiekatz positiv überrascht. Endlich mal eine wirklich gute, weil klischeevermeidende Darstellung eines geschlechtsrolle-wechselnden Menschen im Kino. Eben gerade nicht die „Tante“, deren Theaterrolle der Filmfigur vor und nach der Hollywood-Episode das Brot und die Butter drauf verschafft. Die von Schweighöfer gespielte „Alexandra Honk“ ist eine glaubwürdige Frau, die deshalb auch als solche akzeptiert wird. Ich musste mir nicht, wie in den Tanten-Filmen der 70er Blindheit oder totale Debilität der Menschen vorstellen, um verstehen zu können, dass Alexandra als Frau akzeptiert wird und niemand den Mann dahinter sieht. Auch die Stimme blieb im Normalbereich und hatte nicht die kieksig-affektierte Hochtonlage, die in alten Klaumaukfilmen immer von den „Damen“ genutzt wurde.
Die einzigen Einschränkungen im weiblichen Leben ergaben sich daraus, dass die Brüste von „Alex“ nicht echt und damit nicht wirklich vorzeigbar (aber wann macht Frau das schon?) und die Haare abnehmbar waren und die Ablehnung allzu intimen Körperkontakts mit Männern zu kleinen Störungen im ansonsten normal weiblichen Verhalten führten.
Andere Probleme, die mir z.B. meinen Alltag als Frau schwerer machen als ich mir das wünsche (Bart- und überhaupt Haarwuchs (außer auf der Schädeldecke) und auffällige Körpergröße) hatte Schweighöfer in der Rolle nicht.
Worauf ich hinauswill: abgesehen von kleinen, nicht wirklich relevanten Nickeligkeiten hatte die Figur „Alexandra“ in dem Film kein Problem, als Frau zu leben, auch wenn da ein Männerkörper unter Kleidern und Styling war. Sie konnte arbeiten, ausgehen, Freundschaften pflegen.
Meine Reaktion
„Toll!“ dachte ich, und „Neiderregend!“ Genau das ist es doch: die soziale Rolle glaubhaft und akzeptiert wechseln können, ohne Verstörung und Rechtfertigungsdruck. So sollte es sein.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht nochmals klarstellen, dass für mich Frausein nicht bedeutet, eine Vagina zu haben, sondern in der Gesellschaft ohne Exotenstatus als Frau normal leben zu können. An anderer Stelle habe eine Menge dazu geschrieben, dass das Geschlecht mehr bzw etwas anderes ist als der Körper. Hier spare ich mir das.
Und dann fing ich an nachzudenken, was mir zu diesem neiderregenden Idealzustand eigentlich fehlt. Letztlich geht es, wenn man den Kleinkram mal weglässt, bloß um einen Aspekt, der mich relevant von Alexandra unterscheidet: mir sieht man, im Gegensatz zu ihr, den genetischen Mann selbst dann noch an, wenn ich mein Möglichstes getan habe es zu vermeiden. Wäre schön, wenn das nicht so wäre, ist aber so, kann man nichts machen. Da würden auch massive operative Eingriffe nichts dran ändern. Basta.
Aber (und das ist der springende Punkt!): ist dieser Unterschied auch von Relevanz? Entscheidet er über Glück und Unglück als Frau, Person, wasauchimmer? Sorgt dieser Unterschied dafür, dass ich als Frau nicht tun und erleben kann, was Alexandra tut?
Das intensive, teils schon verzweifelte Bemühen vieler Transgender nach Perfektion in der angestrebten Geschlechtsrolle, nach „deep stealth“, nach einem so gründlichen Ankommen bei den Frauen, dass niemand ahnt, dass man von woanders herkam und nicht schon immer dort war, scheint ein Argument zu sein, dass dem so ist. Für diese Personen ist es offensichtlich auch wichtig.
Jedoch habe ich festgestellt, dass das für mich nicht so ist. Ansonsten bin ich ja auch nicht perfekt. Ich bin viel weniger sportlich und gelenkig, als ich mir das wünschen würde. Aber ich komme damit zurecht. Es versaut mir nicht mein Leben.
Die Tatsache, dass ich in weiblicher Geschlechtsrolle als genetischer Mann erkennbar bin, ist zwar doof und unerwünscht, aber es wäre nur dann ein echtes Problem, wenn sich das auswirken würde. Und auswirken bedeutet, dass andere Menschen mich eben nicht gemäß meines dokumentierten sozialen Geschlechtes behandeln, mich nicht oder nicht wirklich als Frau akzeptieren. Wobei das Letztere schon wieder über das Ziel hinaus ist. Ob sie mich wirklich als „Frau mit Genschaden“ sehen (wie ich mir das wünschen würde) oder eher als „Mann mit Dachschaden“ kann mir doch eigentlich egal sein. Was genau Gegenstand der Akzeptanz ist, ist nicht so wichtig, solange der Output stimmt.
Wie behandeln sie mich? Wenn sie mich normal und als Frau behandeln und anreden, dann ist es doch okay. Nur das berührt meine Wirklichkeit und nur das existiert für mich, was ich wahrnehmen kann. Und wenn da Vorbehalte oder Ablehnungen sein mögen, sie mich das aber nicht spüren lassen, dann kommt es nicht auf die Vorbehalte an, sondern nur auf das, was ich spüre. Für mich ist es dann genauso als existierten diese Vorbehalte nicht. Tun sie ja auch tatsächlich nicht – für mich!
Ich habe bei meinen letzten Unternehmungen als Frau verstärkt in verschiedenen Situationen darüber nachgedacht, ob gerade etwas anders gewesen wäre, wenn ich diesen blöden, für andere erkennbaren Genschaden nicht hätte oder er wenigstens nicht erkennbar wäre. Und die Antwort lautete immer: Nein! Soweit es das Verhalten anderer Leute betrifft war da nichts, was signifikant anders gewesen wäre.
Präziser: da gab es nichts, dass mich veranlassen könnte zu vermuten, dass sie mich anders behandelt hätten.
Zwei Gruppen
Im allgemeinen, sozialen Leben gibt es zwei Gruppen von Menschen, denen man begegnet . Beide Situationen hatte ich in letzter Zeit:
Gruppe 1 sieht mich als Frau, weiß nicht mehr über mich, kann mir aber gut ansehen, dass ich zumindest nicht immer Frau gewesen bin. Über die Tatsache hinaus, dass ich ihnen als Frau gegenübertrete und vermutlich einen XY-Chromosomensatz habe, wissen sie nichts. Nicht wie lebe, nicht welche Geschlechtsteile ich habe oder nicht habe. Und es interessiert sie vermutlich auch nicht. Die sehen mich als Frau oder als Menschen, der als Frau gesehen werden will und behandeln mich auch so, weil sie sich denken können, dass alles andere blöd wäre.
Gut, es gibt auch Blödiane, die oberschlau sein wollen oder Krawall suchen … aber mit dem 1%-Anteil an Bescheuerten müssen alle Menschen leben, das ist nichts Transgender-Spezifisches. Zurück zu der Mehrheit der Gruppe 1: Bei dieser Gruppe hindert mein Körper bzw. mein männliches Aussehen schon mal meine Selbstverwirklichung nicht. Sie verhalten sich korrekt und was sie heimlich denken, das betrifft mich nicht.
Gruppe 2 ist schwieriger. Da geht es nämlich um Leute die mich schon mal in männlicher sozialer Rolle gesehen haben und deshalb mehr oder weniger präzise zu wissen meinen, wer ich bin. Die müssen dann, wenn sich mich weiblich erleben, damit umgehen, dass sie sich geirrt haben und ich ganz oder teilweise doch anders bin. Die wissen natürlich, dass ich einen Männerkörper habe. Und sie sollten sich denken können, dass der Auftritt in weiblicher sozialer Rolle bedeutet, dass ich damit nicht uneingeschränkt glücklich bin.
Nach meinen bisherigen Erlebnissen mit Vertreter/innen der Gruppe 2 habe ich zwar eine gewisse Phase der Irritation und Neuorientierung erlebt, die aber nie zu persönlichen Krisen führte und auch immer schnell vorbei war. Okay, das mit der Anrede als Mann hat sich manchmal noch eine Weile durchgeschleppt und einzelne Exemplare sind ziemlich unverbesserlich. Aber auch die meist nicht aus Bosheit, sondern eher aus geistiger Trägheit. Im Ergebnis schalten dann auch die Gruppe 2ler um und behandeln mich als Frau. Sie merken auch sehr schnell, dass ich meinen Verstand, meinen Humor, mein Wissen und meine Fähigkeiten nicht durch das Umstyling verloren habe, sondern immer noch die gleiche Person bin. Neben diesen wichtigen Aspekten, fällt das bisschen „soziale Geschlechtsrolle“ kaum ins Gewicht, habe ich festgestellt.
Es geht mir gut!
Und so komme ich zu dem Resumee, dass zumindest für mich weder der Männerkörper noch mein verräterisch männliches Aussehen für mich als Frau ein wirkliches Problem darstellen.
Ein Ärgernis sicher (ich wäre gerne schöner, femininer, schmaler, kleiner …) aber eben kein Hindernis. Ich kann trotz des Handicaps die Frau sein, die ich möchte und als Frau das tun, was ich möchte.
Tatsächlich habe ich das, was ich an Schweighöfer als Alexandra Honk beneidet habe: ich werde als Frau akzeptiert und kann ich selber sein. Ich kriege die weibliche Normalität, die ich mir wünsche. Und weil ich das habe, fehlt mir nichts Wesentliches. Ich bin weder so jung noch so schön und schon mal gar nicht so weiblich unauffällig wie Alexandra Honk, aber ich werde akzeptiert und falls doch nicht so lässt man mich das nicht merken. Und so kann ich als Frau leben – und darauf kommt es mir an.
© Jula 2013