Ich hatte das Gefühl, mich belohnen zu müssen. Ich hatte einen Termin in Mannheim, der recht anstrengend war, und der Heimweg führt fast beim Betty Barclay Werksverkauf vorbei. Da habe ich einen kleinen Umweg gemacht.
Weil ich direkt vom Job kam, sah ich nicht wie eine Kundin aus und bei diesem Werksverkauf gibt es keine Männersachen. Es gibt zwar auch einige Männer, doch die sind lediglich als Taschenträger dort. Sie halten sich meist auf ein paar Bänkchen am Rande des Geschehens auf. Sie werden vom Personal so stark beachtet wie mitgebrachte Haustiere. Will sie nichts kaufen, sind sie uninteressant.
Schnell hatte ich einige schöne Stück auf dem Arm („Ohhhh sooo preiswert!! Und in meiner Größe!!!“) und strebte den Umkleidekabinen zu.
Zur Erklärung: die haben da so ein tolles System, wo am Eingang zu den Kabinen eine Wächterin steht, die einem ein Kärtchen mit der Zahl der Kleidungsstücke gibt, dass man beim Rausgehen wieder abgeben muss.
Ich habe den Arm voll, die Dame guckt mich an.
Sie „Na, junger Mann, da muss ihre Frau aber fix gewesen sein!“
Ich „???“
Sie „Die muss hier schnell durchgehuscht sein“
Ich „???“
Sie „Okay, 6 Teile“ und gibt mir ne Nummer“
Ich (leise) „Da ist keine Frau, die Sachen probiere ich an!“
Beim Rausgehen Nummerncheck, alles klar!
Ein paar Sachen weggehängt, ein paar kamen auf einen der lustigen Schiebeständer, mit denen da alle durch die Gänge ziehen. Schließlich sollen meine bald gekauften neuen Sachen nicht auf dem Arm verknittern.
Ein Teil hatte ich dann noch gefunden, das ich anprobieren wollte.
Mit der Bluse in der Hand wieder in Richtung auf die Wächterin der Kabinen:
Sie „Ich brauche die Nummer!“
Ich „Welche Nummer?“
Sie „Die Nummer von ihrer Frau!“
Ich „Hä?“
Sie „Die Nummer mit der Zahl der Teile, die ihre Frau hat.“
Ich „Hä?“
Hinter mir mittlerweile schon Stau in der Kabinenschlange
Sie „Ihre Frau ist doch drin, oder?“
Ich „Nö! Ich will das Anprobieren.“
Sie „???“
Ich “ Es gefällt mir! Also möchte ich es anprobieren!“
Sie „???“ und rückt zögernd eine „1“ raus
Ich zockele los und höre dann noch:
„Das können Sie ruhig! Da habe ich doch nichts dagegen!“
Na also! Geht doch!
Als ich das Nümmerchen wieder abgegeben habe, kam es, entgegen meinen Befürchtungen zu keinem weiteren Dialog, weil die Dame gerade irgendetwas sehr Interessantes auf dem (blanken) Fußboden angucken musste!
Es fehlt noch das Ende der Geschichte. Da komme ich leider nicht mehr so cool rüber:
Ich hatte noch ein Einzelteil, das ich gerne anprobieren wollte, aber nach dem Dialog Nr. 2 in Kombination mit meiner schlappen Form nach einem harten Arbeitstag, brachte ich es echt nicht mehr fertig, mich der Walküre noch mal zustellen.
Eine bessere, tollere Jula hätte das genossen und die Gute mit einem flotten Spruch auf den Lippen noch ein wenig hochgenommen. Doch die reale Jula konnte das nicht genießen. Ich war müde und hatte keinen Nerv, mit ihr eventuell darüber reden zu müssen, warum ich Frauensachen anprobiere. Und so habe ich das schöne Teil feige ohne Anprobe mitgenommen.
Resumee: Für alle Freundinnen des klassischen Chic ist der Werksverkauf von Betty Barclay auch/gerade dann einen kleinen Umweg wert, wenn man nicht wie die typische Kundin aussieht. Schicke Klamotten für günstiges Geld und interessante Gespräche werden einem auch noch geboten!
Nachtrag: ich war später nochmal bei Betty Barclay und hatte eine ähnliche Situation zu überstehen. Was da passierte, kannst du in dem Artikel „Begegnungen“ nachlesen.
© Jula 2006