Der Gedanke
Schon seit längerer Zeit hatte ich mich mit dem Gedanken getragen, wie es denn so wäre, wenn ich nicht nur für einige Stunden, sondern für einige Tag als Frau leben würde. Freundinnen von mir haben sich diese Erfahrung schon verschafft und ich habe sie darum immer beneidet. Ein paar Tage ganz Jula sein, war ein Wunschtraum, der aber wegen des Zeitbedarfs und meiner familiären und beruflichen Einbindung nicht kurzfristig erfüllbar schien.
Und dann war da noch der Thread im Trannie-Forum, in dem ich cool die Position vertrat, man müsse es einfach nur machen….
Plötzlich ging alles ganz schnell! Meine Frau redete mir zu, doch drei Wochen Sommerurlaub zu nehmen. Sie selbst wollte die dritte Urlaubswoche mit ihrer Schwester weg. Und dann fragt mich mein Sohn, ob ich nicht auch mal ein paar Tage verreisen wolle, weil er gern sturmfreie Bude zu Hause hätte! Aber Hallo! Plötzlich hatte ich alles zusammen: Zeit und ein Ziel, nämlich die IdentEvent-Party am 10.9. in Köln! Warum nicht ein paar Tage lang als Frau anreisen und Freundinnen treffen? Alles natürlich strikt als Frau.
Ich war so begeistert von dieser Idee, als ich sie mir auf der Fahrt morgens ins Büro genau ausgemalt habe, dass ich mich 2x verfahren habe!
Die Reaktion meiner Frau und von Freundinnen auf meinen großartigen Urlaubsplan war eher unspektakulär. Meine Frau sagte „Ja, mach das!“ und eine Freundin „Das wird bestimmt schön!“. Finde bloß ich es aufregend ein paar Tage hintereinander als Frau auf mich allein gestellt zu sein? Vielleicht hätte ich eine andere Transgender zu dem Thema fragen sollen.
Noch 4 Wochen bis „Buffalo“
Die Planung läuft! Ich habe Freundinnen und Bekannte angemailt, die ich gerne treffen möchte. Einige habe ich ewig nicht gesehen, andere sowieso noch nie! Die Resonanz ist gut, auch wenn es natürlich etwas am Selbstbewusstsein nagt, wenn man von einer Freundin nahegelegt bekommt, doch bitte nicht direkt in ihrer Heimatstadt Quartier zu nehmen.
Mittlerweile bin ich schon sehr aufgeregt wegen der Reise. Ich habe etwas Angst vor der eigenen Courage. Baue ich mir eine „Rücktrittsmöglichkeit“ ein, indem ich Männersachen dabei habe? Halte ich das fünf Tage am Stück durch? 1. Nervlich? 2. von der Gesichtshaut her, wegen der notwendigen, massiven Rasiererei? Welche Hotels miete ich auf welchen Namen? Wie gut, dass ich eine „Jula-Kreditkarte“ habe.
Am 10.8. war für mich eine kleine Generalprobe: Tagesausflug mit einer Freundin zum Betty-Barclay-Werksverkauf.
Ich habe mich betont feminin gekleidet (kurzer Rock, schwarze Strumpfhose), um meine Nerven zu stählen und mir vorgenommen, bewusst auf die Reaktionen zu achten, die ich auslöse.
Es begann schon mal damit, dass der Mann meiner Freundin (der mich nur als Mann kannte und nichts von meiner zweiten Seite wusste) von uns auf die Straße gerufen werden musste, als wir eigentlich wegwollten. Jemand hatte das Auto angefahren und Fahrerflucht begangen. Der Mann meiner Freundin musste sich den Schaden angucken und sich danach um den Behördenkram kümmern und lernte so unverhofft Jula kennen. Er fragte bloß, wie ich denn in dieser Version heiße, damit er mich anreden kann. (Natürlich habe ich einige Tage später meine Freundin befragt, ob ihr Mann hinterher noch Fragen zu mir hatte. Nein, hatte er nicht, war ihm wohl egal.)
Alles Weitere an diesem Tag war unspektakulär wie immer. Die meisten Leute zeigten gar keine Reaktion, manche schauten mich an … niemand hat irgendetwas gesagt, woraus ich Rückschlüsse ziehen könnte. Die Frau im Umkleidebereich des Werkverkaufs war ebenso nett zu mir wie die Frau an der Tankstelle oder auch die Bedienungen in den Gaststätten. Keine besonderen Vorkommnisse, keine schrägen Blicke.
Außerdem wollte ich die Haltbarkeit meines Makeups testen, denn es wäre eine zusätzliche Erschwernis, wenn ich mich während der Reise jeden Tag 2x rasieren und schminken müsste. Zum Glück zeigen meine unprofessionellen Bemühungen im Kampf gegen das Barthaar momentan unerwartet gute Ergebnisse. Selbst 14 Stunden nach der Rasur gibt es auf Oberlippe und Wangen noch keinen sichtbaren Bartschatten. Prima, wenn ich mich morgens rasiere und schminke kann ich also bis Mitternacht so bleiben (Mitternacht? Da war doch was! Huhu, Aschenputtel!).
Ich habe mir vorgenommen, dass ich meine Anspruchshaltung genau festlege. Denn die bestimmt, ob ich letztendlich erfolgreich bin oder nicht. Es kann mir nicht darum gehen, dass ich von allen für eine biologische Frau gehalten werde, denn dann werde ich scheitern. Mein Ziel muss sein, die fünf Tage in weiblicher Rolle akzeptiert zu werden, egal als was. Nicht unbedingt von allen, aber doch weit überwiegend.
Okay, nun aber wieder praktisch. Ich habe die notwendigen übernachtungen klargemacht. Hotel – Freundin – Hotel. Bei hotel.de habe ich mir einen „Jula-Account“ besorgt und natürlich die Zimmer für „Frau Jula Me“ reservieren lassen. Bei IBIS (misstrauische Kettenhotels) habe ich eine Kreditkartennummer zur Identifikation gebraucht. Aber gerne doch!
Nur noch fünf Tage
So wenig Zeit noch! Durch den gerade verlebten Familienurlaub ist meine Vorbereitung unterbrochen worden und jetzt sind es nur noch ein paar Tage!
Durch den Urlaub mit Frau und Sohn bin ich einerseits sehr „Jula-bedürftig“, weil ich dauernd der ganz normale Mann sein musste. Aber andererseits habe ich auch einiges an Abstand zu meinem Vorhaben gekriegt. Traue ich mich das wirklich?… Hmm, jedenfalls würde ich mich hinterher wochenlang innerlich ohrfeigen, wenn ich jetzt kneifen würde.
Was ist alles zu tun? Wäsche waschen, Körperhaarbekämpfung und mein Haare wollte ich auch noch färben.
Ans Packen und daran, was ich denn tatsächlich mitnehmen und anziehen werde, mag ich noch nicht denken. Das überlege ich mir am Wochenende.
Die Route steht im Wesentlichen. Allerdings steht der eine oder andere Treff noch auf der Kippe. Es bleibt also auch da noch spannend, wen ich tatsächlich wann treffen werde. Andererseits: der Frisörtermin in Köln steht! Außerdem finde ich es sowieso wichtig, dass nicht jede Minute vollterminiert ist. Ich möchte einige Zeit haben, in der ich allein unterwegs bin.
Morgen schon
Der Countdown ist in der Endphase.
Ich habe den großen Trolley ins Schlafzimmer gewuchtet und angefangen reinzupacken, was ich voraussichtlich brauchen werde. Das Wetter bleibt wohl halbwegs stabil und warm. Trotzdem füllt sich der riesige Koffer beängstigend schnell, dabei habe ich noch nicht mal eine Jacke drin. Ohohoh, 2 Kleider, 5 Röcke, 6 Shirts, 3 Jacken und 5 Paar Schuhe sind doch nun wirklich das Mindeste für fünf Tage! Woher soll ich denn jetzt schon wissen, nach welcher Kleidung ich mich am Donnerstag oder Freitag fühlen werde?
Vielleicht sollte ich doch ein paar Sachen wieder rausräumen….dann hätte ich unterwegs nicht nur gute Gründe, sondern auch Platz für Shopping-Schnäppchen?
Die Sachen, die ich morgen anziehen will, werde ich extra packen. In einer Sporttasche, in die nach erfolgtem Rollenwechsel bei meinem Schwager die Männersachen verschwinden, versuche ich alles unterzubringen. Da müssen auch die Schminkutensilien und das andere Zubehör rein. Ehrlich gesagt, den Monster-Trolley könnte ich sowieso keine drei hohe Altbautreppen hochwuchten. Schlimm ist allerdings, dass ich mich dann ja jetzt schon entscheiden muss, was ich morgen anziehen werde. Wie soll ich das denn heute wissen?
Was habe ich bloß vergessen? Hm, das werde ich wohl erst zu spät merken.
Das wichtigste sind die Papiere: Ausweis, Führerschein, Kreditkarten… der Rest lässt sich beschaffen.
Die vorbereitende Körperpflege (Rasieren, Epilieren…) ist so gut wie abgeschlossen. Heute Abend habe ich noch einen Termin bei meiner Kosmetikerin. Da sollen auf jeden Fall die Augenbrauen noch mal „getunt“ werden. Auch die Fußnägel sind bis jetzt bloß klarlackiert, weil ich nachher in der Umkleide des Fitnessstudios keine unnötigen Irritationen („Hey Mann! Chic! Aber ist das jetzt noch rot oder schon schwarz?“) hervorrufen will.
Der Termin bei der Kosmetikerin, zu dem ich als Mann gehe damit die Augenbrauen auch für einen Mann noch akzeptabel bleiben, bringt mir zwiespältige Erkenntnisse. Die schlechten Nachrichten betreffen meinen Bartwuchs. Durch meine nachhaltigen Zupfereien der letzten Wochen ist meine Haut sehr gereizt. Ein Peeling und eine Feuchtigkeitsmaske entspannen die Lage etwas, aber ich bin doch sehr misstrauisch, wie ich die anstehende Rasiererei durchhalten kann. Die Kosmetikerin gibt mir Proben eines Feuchtigkeitsgels mit: „Damit dürften Sie die Tage überstehen.“ Die gute Nachricht betrifft meine Kopfhaare. Nach Einschätzung der Kosmetikerin kann das mit einem pfiffigen Haarschnitt funktionieren. Auf jeden Fall rät sie mir wegen meiner aktuell gebräunten Gesichtshaut zu meiner braunen Perücke für die Reise. Gut, damit wäre das auch entschieden.
Himmel, was bin ich aufgeregt. Ich betäube die Gedanken mit hektischem Aktivismus und erledige viele Dinge durcheinander, wie ein aufgescheuchtes Huhn.
Mittwoch 07.09.
Der Tag beginnt mit einem Frühstück bei meinem Schwager, wo ich mich umziehen will. Frische Brezen habe ich mitgebracht und kann sogar was davon essen, wenn auch nicht viel. Wir reden über die bevorstehende Wahl, mein „Reiseprojekt“ ist für ihn nicht so interessant. Dann kommt noch mein Neffe dazu, wundert sich über meine Anwesenheit, findet meinen Reiseplan spannend, fragt aber nicht danach, wie ich denn aussehen werde.
Als beide gegangen sind, mache ich mich zurecht. Ich habe mich für ein weißes Top und den schönen hellblauen Rocke mit den weißen Pünktchen entschieden – Sommergarderobe für einen warmen Sommertag.
10:30 Uhr: Tür zu, es geht los. Jetzt habe ich nur noch das was in meinem Koffer steckt und mein Auto als „Basislager“. Wie eigentlich immer, bin ich zu Anfang etwas unsicher, ob mein Styling von der Welt da draußen akzeptiert wird.
Zum Start möchte ich erst mal Sicherheit gewinnen und will nur wenige Leute treffen, denen ich im Krisenfall auch ausweichen kann. Ich wollte schon immer mal Schloss Mespelbrunn sehen, weil ich von diesem Wasserschloss als Kind ein Puzzle hatte.
Am Parkplatz kämpft ein Autofahrer mit dem Automat, die Schranke geht nicht auf. Als es länger dauert, stelle ich den Motor aus. Jetzt steigt er aus und kommt zu mir. Ups, so hatte ich mir das nicht vorgestellt mit dem ersten Passantenkontakt. Er braucht eine 10-Cent-Münze. Ein kurzer Dialog ein freundliches Lächeln. Hmm, er hat keinerlei Verunsicherung gezeigt, weder bei meinem Anblick, noch beim Klang meiner Stimme. Etwas später, als ich zum Schloss schlendere, begegne ich ihm und seiner Frau wieder. Er lächelt und nickt mir freundlich zu.
Beschwingt von diesem kleinen Zwischenstop setze ich die Fahrt fort. Um 14:00 Uhr will ich Beate im Main-Taunus-Zentrum treffen. Wir kennen uns bis jetzt nur aus dem Internet. Ich bin etwas früh, also schlendere ich ein wenig in der Ladenpassage herum. Guckt mich jemand schräg an? Nein! Prima.
Nach ihrem Bild erkenne ich Beate sofort, obwohl ich sie sooo klein und zierlich nicht erwartet hatte. Kleidergröße 38! Ich komme mir mal wieder vor wie ein Elefant in einer Gazellenherde. Sie stutzt einen Moment, weil sie nach meinem Bild in der Community eine Blondine erwartet hatte und ich nun eine Brünette bin. Wir bummeln und reden und reden und reden. Beate, die erst Anfang des Jahres das 1. Mal als Frau draußen war, ist mittlerweile routiniert und bewegt sich draußen sicher und selbstverständlich. Wenn ich bedenke, wie lange ich bis hier hin gebraucht habe, dann komme ich mir richtig feige vor. Na gut, jede von uns geht ihren Weg in ihrem Tempo.
Danach fahren wir nach Wiesbaden wo ich schnell im Hotel einchecke. Das ist ein Moment, vor dem ich mich etwas gefürchtet habe, die erwarten schließlich (ohne weitere Informationen) eine Frau. Zugang zur Tiefgarage nur über Anmeldung per Gegensprechanlage! Klasse! Bevor sie mich sehen, hören sie meine Stimme! Nachdem ich meine Familienkutsche in die erschreckend kleine Tiefgarage laviert habe, gehe ich an die Rezeption. Der Mann hinter dem Tresen zeigt kein Anzeichen von Verwirrung. Der Anmeldezettel ist vorbereitet, ich muss bloß unterschreiben und kriege den Zimmerschlüssel. Alles normal und problemlos.
Nach dem Abstellen des Koffers treffe ich mich gleich wieder mit Beate und wir setzen unsere Bummelei fort und essen später beim Italiener, im Freien mit Blick auf die Passanten. Natürlich nehme ich Nudeln mit roter Soße und natürlich mache ich mir Flecken auf den schönen neuen hellblauen Sommerrock.
Abends gehen wir in eine Schwulenkneipe in der Nähe meines Hotels. Sie heißt „Earl“, was ich fast so typisch finde wie „Na und“. Es ist zunächst wenig los und wir reden mit dem Inhaber Raymond, den Beate schon kennt. Er tritt häufiger in seiner Kneipe als Dragqueen bzw. eher Travestiekünstler auf und nennt sich dann Michelle. Wow, sieht die gut aus! Würde ich überhaupt noch ein Mann sein wollen, wenn ich als Frau so gut aussehen könnte? Nun, so einfach ist die Frage nicht und Frausein erschöpft sich nicht darin, wegen der Schönheit angehimmelt zu werden. Vielleicht hat es sogar überhaupt nichts damit zu tun.
Es wird 1 Uhr. Immer wieder zwischendurch hatte ich misstrauische Blicke auf mein Makeup geworfen. Um meine sowieso gereizte Gesichtshaut nicht schon zu Anfang der Reise nicht gleich überzustrapazieren, hatte ich auf eine nochmalige Rasur und einen „Neuanstrich“ am Abend verzichtet. Es ist immer noch das Styling von heute morgen. Es ist nicht mehr perfekt, aber komisch angeguckt werde ich auch nicht.
Donnerstag 08.09.
Eineinhalb Stunden vertrödele ich im Bad. Es wird wieder ein warmer Tag, also wieder ein Rock und ein ärmelloses Top.
Um 9:30 Uhr sitze ich bei Croissant und Kaffee in der Fußgängerzone.
Der Bummel allein ist angenehm, denn ich scheine unsichtbar zu sein. Die Verkäuferinnen behandeln mich nett. Ich tanke jede Menge Selbstbewusstsein und das gestern schon leise aufgetauchte Gefühl der Selbstverständlichkeit meines Aussehens verstärkt sich. So intensiv hatte ich dieses Gefühl noch nie wenn ich als Frau draußen war: Normalität. Keine Gedanken, dass ich irgendwas besonderes mache, keine Schuld- oder Angstgefühle. Nur das Gefühl, dass gerade alles in Ordnung ist und ich bin wie ich bin.
Gegen Mittag breche ich auf nach Oberhausen. Stau bei Köln sorgt für eine kleine Verspätung. Der Versuch, den Treffpunkt mit Gabi zu finden, für eine große. Endlich finde ich sie. Gabi, die es bunt liebt, trägt eine gewagte Farbkombination aus grün lackierten Nägeln und Schmuck in verschiedenen Blautönen. Es ist ewig her, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben und nach der herzlichen Begrüßung ziehen wir sofort los.
Gegen 15 Uhr sind wir im Centro, dem riesigen Einkaufscenter von Oberhausen. Bis auf einen kleinen Jungen, der mich anstiert und ein paar längere Blicke bemerke ich nix. Doch Gabi achtet aufmerksam auf die Leute und meldet immer mal wieder, dass jemand gegrinst habe.Na und? In den Läden werde ich normal behandelt und besondere Aufmerksamkeit der Passanten bemerke ich auch nicht.
Zwischendurch lassen wir uns ein paar Mal von Passanten fotografieren.
Gegen 19:00 Uhr sind wir in der Distel, dem Lokal von Gabis Trannie-Stammtisch.
Kurz nach 21:00 Uhr fahre ich los nach Duisburg, wo ich planmäßig bei einer weiteren Freundin übernachten werde. Claudia bezeichnet sich selbst einfach als „Transe“, liebt auffällige Klamotten und hohe Hacken. Zum ersten Mal sehe ich sie als Mann! Wozu doch so ein Privatbesuch gut ist. Wir schwatzen noch bis Mitternacht.
Freitag 09.09.
Wir kommen erst gegen Mittag in Duisburg los. Claudias Angebot, doch als Mann mit zu ihrem Vormittagstermin zu kommen, damit sie mir einiges vom Ruhrgebiet zeigen kann, habe ich abgelehnt. Zum einen brauche ich eine Mütze voll Schlaf und zum anderen kommt es gar nicht in die Tüte, dass ich in diesen Tagen irgendwas als Mann unternehme.
Zu spät für den eigentlich geplanten Bummel über die Kö in Düsseldorf, aber noch rechtzeitig für unseren Friseurtermin. Claudia, ganz in schwarz, trägt einen Minirock, der fast bis zum Knie reicht, was für ihren Geschmack ziemlich konservativ ist. Vielleicht ein Zugeständnis an mich graue Maus? Ich habe mein zweilagiges Sommerkleid an, das bei dem Wetter einfach herrlich bequem und luftig ist. Vielleicht zum letzten Mal in diesem Urlaub setze ich mir die braune Perücke auf.
Ich kann es nicht glauben! Es ist Abend und ich sitze mit schwarzem Rock und engem Esprit-Shirt in der Kölner Altstadt. Ohne Perücke! Seit heute Nachmittag habe ich braune Haare (etwas dunkler, kein Grau mehr) und habe eine peppige Fransenfrisur. Gerade habe ich die Pics aus dem Friseurladen angeschaut…unglaublich, dass das so gut funktioniert! Das Irre ist: obwohl ich selbst keine große Differenz zu meinem Anblick im Spiegel als Mann erkennen kann, bin ich merklich unauffälliger als mit längeren Haaren. Wahnsinn! Wie gut, dass Claudia mich zum Friseur geschleppt hat. Die waren total nett und meine Friseuse hat sich rührend um mich gekümmert. Durch die Tönung saß ich auch das 1. Mal im Leben unter einer Trockenhaube.
Beim Bummel mit Claudia anschließend habe ich noch ein Paar tolle Winter-Stiefeletten gefunden. Sie waren nicht billig (bei Schuhgröße 44/45 sind die Schnäppchen rar), doch sie haben den Vorteil, dass sie (wie inzwischen ein Großteil meiner Freizeit-Garderobe) „dual use“-tauglich sind, ich sie also nicht nur als Frau, sondern auch als Mann tragen kann.
Den einzigen kleinen Frust an diesem Tag, verdanke ich dem Italiener, bei dem wir nach dem Friseurbesuch gegessen haben. Zur Begrüßung fragte er uns ob wir aus dem „Gloria“ (auf Nachfrage: eine Kneipe mit Travestieshow!) kommen. Und dann hat er uns (falls ich mich nicht sehr verhört habe) dauernd mit „signori“ statt mit „signore“ angeredet. Grrr.
Eine schöne Situation war es, als Claudia die beiden Arbeiter der Kanaluntersuchungsfirma gründlich über ihren Job ausgefragt hat. Die beiden saßen hinter ihrem Auto mitten auf der Straße und plötzlich stand diese große Blondine mit den schwarzen Strümpfen mit der roten Naht neben ihnen und befragte sie neugierig und fachkundig. Zu Claudias Verblüffung, waren die beiden nicht mal ansatzweise irritiert, sondern gaben lässig Auskunft.
Im Hotel hatte ich mit brauner Perücke eingecheckt (ohne sichtbare Irritationen des Personals) und bin dort zwei Stunden später mit meiner neuen Frisur noch mal aufgelaufen, weil ich mein Auto umparken musste. Die leidige Parkplatzfrage führte zu einem längeren Gespräch zwischen der Frau hinter dem Tresen und mir. Leider konnte sie mir auch keinen guten Tip geben, Parken in der Kölner Innenstadt ist halt wirklich schwierig. Während wir redeten, suchte ich in ihrem Gesicht und ihrer Stimme nach Zeichen für Irritation. Nichts – ein vollkommen normales Gespräch.
Normalerweise habe ich immer ein wenig das Gefühl, neben mir zu stehen, aber momentan ist es so, als wäre ich so sehr bei mir selbst, wie noch nie zuvor. Ich bin total glücklich und sitze mit einem Dauergrinsen auf dem Gesicht in dem Straßencafe und schicke SMS an alle möglichen lieben Freundinnen nur um mich mitzuteilen.
Samstag 10.09.
Bin ich müde! Es war und ist so schrecklich schwül, dass ich schlecht geschlafen habe.
Die erste Bewährungsprobe des Morgens mit selbst zurechtgezuppelten Haaren habe ich überstanden: Frühstück in einem engen Raum mit einer Busladung voll von Holländern oder Flamen. Was hatte ich vom „Hotel Amsterdam“ erwartet?
Im Tourismusbüro hole ich mir einen Museumsführer und ein Stadtplan.
Mit der Straßenbahn fahre ich raus zum Museum für Ostasiatische Kunst. So viel Kultur muss auch für Shoppingverrückte sein.
Später im neueröffneten Peek & Cloppenburg, wo ich bloß schnell ein weißes T-Shirt kaufen will, ist die Hölle los. Kaum ein durchkommen.
Puh, jetzt erst mal ein Päuschen im Hotel. Auf dem Weg werde ich von einer Frau nach einem Geschäft gefragt. Das ist nichts ungewöhnliches, Trannies werden häufig nach Weg oder Uhrzeit gefragt, weil die Leute die Stimme hören wollen. Aber diese Frau fragt mich nach einem Frauensexshop, den es hier irgendwo geben soll! Also ich hätte mich mit einem solchen Anliegen sicher nur an eine andere Frau gewandt.:-)
Den ganzen bisherigen Tag komme ich mir so unauffällig vor, wie noch nie. Kaum jemand beachtet mich. Na ja, das kleine blonde Mädchen an der Straßenbahnhaltestelle schon. Aber sonst kaum jemand und viele davon wiederum starten ihren Blick am rechten Bein, bei meiner mit Makeup etwas akzeptabler gestalteten, riesigen Motorradunfallnarbe und gucken von da aus aufwärts. Das Wunder von gestern wirkt weiter.
Erklärungsversuch: die kurzen Haare sind zwar bestimmt weniger feminin, aber sie sind ehrlich, kein Schmu. Sie vermitteln eine Ernsthaftigkeit, die „Komikern“ evtl. von vornherein die Lust nimmt. Außerdem haben hunderte von Frauen eine ähnliche Kurzhaarfrisur. Okay, wie die Friseuse sagt: sie könnten noch etwas länger sein, damit sie noch mehr ins Gesicht reichen, doch das ist bloß noch das Sahnehäubchen.
Das Styling und die Pflege meiner Frisur ist übrigens genau richtig für eine Grobmotorikerin, wie mich: ein wenig Gel und dann mit beiden Händen so lange im Haar rumgrapschen bis es Volumen hat und sich kleine Strähnchen gebildet haben, dann vorne noch ein bisschen zupfen – fertig
Abends für die Party style ich mich um: mehr Farbe, peppige, große Ohrringe und um der Trannie-Konvention genüge zu tun sogar Schuhe, wenn auch bloß flache weiße, Spangenballerinas! Ich bin nämlich die ganzen letzten Tage zu Claudias Unverständnis fast immer in Flipflops rumgeflitzt. Die sind zwar nicht sehr sexy, aber herrlich bequem und praktisch.
Nachdem ich zwischendurch die Flecken rausgewaschen hatte, kann ich jetzt auch wieder den schönen Pünktchenrock anziehen, der passt auch besser zu dem ärmellosen Top als das Röckchen, das ich eigentlich zur Party tragen wollte.
Zumindest bei Claudia findet mein Party-Makeup keinen großen Anklang – zu wenig Farbe. Sie hatte sowieso am Freitag schon die Vermutung geäußert, ich würde gar kein Make-Up tragen. Meine Liebe zur Unauffälligkeit und zu einem möglichst natürlichen Look wird von ihr nicht geteilt. Ich empfinde ihre Anmerkung als Lob für meine Schminkkünste.
Die Party selbst ist eher öde. Ich treffe liebe alte Bekannte, die mich wegen der neuen Frisur erst nicht erkennen und lerne ein paar nette neue Leute kennen.
Ob mich andere Trannies mit meiner Kurzhaarfrisur und dem zurückhaltenden Makeup genau so seltsam finden wie ich sie? Der kleine Typ mit verwehter Rod-Stewart-Perücke, ultrakurzem Rock und gemusterten Strümpfen? Der Bärtige im rosa Spaghettitop mit rosa Röckchen? Die Korsett-Lady mit einem Hüftumfang, der befürchten lässt, sie würde gleich durchbrechen? Die eleganten Damen in Kostüm und hochhackigen Schuhen? überhaupt ist mir jetzt, wo ich mich nach mehr als einem Jahr Abstinzenz wieder mal in Transgenderkreisen bewege, aufgefallen, wie groß das Spektrum ist. Wo zwischen vollbärtigen Männern im Rock und körperlichen Frauen, die früher mal eine sehr spezielle Operation hatten, befinde ich mich? Wenn ich mich auf der Party umschaue: dazwischen. Ebenso wie meine verschiedenen Bekannten gehe ich meinen ganz eigenen Weg, der sich manchmal mit dem trifft, was andere auch tun, manchmal aber eben auch nicht.
Ein Trend ist feststellbar: außer mir tauchen noch andere, die immer Perücken trugen, mit Eigenhaarfrisuren auf. Oder liegt es nur daran, dass es Leute sind, die mindestens so lange Transe sind, wie ich und das eine Entwicklung ist, die dann einfach mal ansteht? Zumindest, wenn man noch genug eigene Haare hat.
Sonntag 11.09.
10 Uhr in Köln, Regen und Wind – die Frisur hält! 🙂 Na gut, ich habe einen Regenschirm. Ich sitze in einem Cafe am Dom und nehme Abschied von Köln, das so nett zu Jula war.
Gerade war ich noch im Dom und habe mir den Beginn des Gottesdienstes angeschaut. Unglaublich, ich stand in einem grünen Kleid und mit weißen Spangenballerinas bei einer Messe im Dom. Vor fünf Jahren hätte ich jeden für verrückt erklärt, der mir das erzählt hätte. Mit der Orgel, dem Mädchenchor in langen weißen Gewändern, den Priestern und allem ist das richtig feierlich gewesen. Bloß die filmenden und knipsenden asiatischen Touris störten etwas die Stimmung.
Beim Frühstück im Hotel war der Speiseraum wieder knallvoll. Der Portier war beim Auschecken sehr nett (wir haben ja auch immer mal wieder miteinander geschwatzt in den letzten Tagen). Die Rechnung für „Frau Jula Me“ zahle ich gerne.
Die Rückfahrt im Regen ist anstrengend. Eine kleine Pause im Spessart bringt etwas Erholung und die schöne Erkenntnis, dass ich nicht nur in der Großstadt Köln, wo man bunte Vögel gewöhnt ist, sondern auch in einer spießigen Autobahnraststätte Personal und Gästen keinen zweiten Blick wert bin.
In Nürnberg habe ich vor der Rückkehr nach Hause noch zwei Termine.
Endlich treffe ich Animadame! Dieser Termin ist für mich etwas besonderes, denn trotz langer und intensiver Mailkontakte, haben wir uns noch nie gesehen. Wir verbringen eineinhalb Stunden, die wie im Flug vergehen, im Gespräch. Mit einem Packen interessanter Texte verlasse ich sie und steuere den letzten Zwischenstop an: Rückverwandlung.
Schwager und Schwägerin begrüßen mich herzlich. Meine Schwägerin lobt meine Frisur und findet mich als Frau unauffällig. Dieses Lob ist mir viel wert.
Es dauert jetzt doppelt so lang wie früher, aus Jula wieder den Mann zu machen. Hatten bisher Kosmetiktücher, Wasser und Makeup-Entferner gereicht, so muss ich mir jetzt die Haare waschen und fönen.
Zu Hause empfangen mich meine Lieben. Meinem Sohn fällt sofort auf, dass ich beim Friseur war, aber weiter reicht sein Interesse nicht.
Zurück im Alltag
Und plötzlich bin ich wieder ein Mann, trage Hemd und Hosen und werde mit „Herr“ angesprochen.
Ein Kind im Supermarkt hat mich ganz lange und intensiv gemustert, hält das mich etwa für eine als Mann verkleidete Frau?
Komischerweise ist das Aufsehen, das meine jetzt doch recht dunklen Haare erregen, minimal. Im Job jedenfalls übergeht man die Veränderung vornehm.
Die fünf Tage als Frau waren im Detail und in der Gesamtheit eine intensive Erfahrung.
Was habe ich gelernt?
- Die wohl tollste Erfahrung ist das Gefühl von Selbstverständlichkeit. Fünf Tage habe ich nur in weiblicher Rolle gelebt. Ich hatte nur weibliche Kleidung an und hatte viele Gespräche und Kontakte zu den verschiedensten Menschen. Es waren „geschäftliche“ (Hotel, Restaurant, Laden) aber auch zufällige (Gespräche mit Passanten…), Situationen, in denen ich initiativ war und solche, in denen Leute mich angesprochen haben. Und auch bei kritischer Sichtweise habe ich keinen Hauch von Irritation oder gar Ablehnung wahrgenommen. Was auch immer die Leute in mir gesehen haben, sie haben es wie selbstverständlich akzeptiert und mich normal behandelt. Was will ich mehr?
- Meine Ängste waren unbegründet. Meine Erwartung, dass es emotional anstrengend sein könnte, sich dauernd „als Frau beweisen“ zu müssen, war falsch, denn ich musste mich nicht beweisen, ich war es einfach.
- Die verblüffende Unauffälligkeit mit eigenen Haaren, auch wenn sie sehr kurz sind, ist etwas, das ich immer noch nicht fassen kann.
- Andere gehen andere Wege! Während der fünf Tage habe ich grundverschiedene Typen von Transgendern getroffen bzw. gesehen. Im Grunde gab es keine zwei, die sich auf die gleiche Art und Weise verwirklichen.
- Und schließlich: selbst ich kriege mal vom Shopping genug! Okay, das ist jetzt keine sehr philosophische Erkenntnis, aber immerhin.
Was bleibt?
Ich hatte wunderschöne Tage als Frau, an die ich mich gerne erinnere. Und ich bin mir auch sicher, dass ich wieder als Frau verreisen werde. Jedoch ist es gerade die Normalität, die ich erleben durfte, die mich immer noch nachdenken lässt. Sie führt mich zu der Frage, was bleibt, wenn das Frausein selbstverständlich ist. Freundinnen von mir, die solche oder ähnliche Mehrtageserfahrungen hatten, wussten danach, dass es das ist, was sie für immer haben wollen: weibliche Normalität. Und dass sie die Konsequenzen tragen wollen, die diese Erkenntnis mit sich bringt.
Meine Schlussfolgerung ist eine andere. Lyrisch formuliert: es gibt keinen Kessel voller Gold am Ende des Regenbogens. In Prosa bedeutet das, dass Frau sein für mich kein anderes, besseres Leben ist, weil ich letztendlich doch ich bin und bleibe. Ich bin mit einem gewissen Bedauern in meinen männlichen Alltag zurückgekehrt, aber ich bin in ihn zurückgekehrt wie aus einem wunderschönen Urlaub und nicht wie aus dem richtigen Leben ins falsche.
Und jetzt freue ich mich auf viele weitere tolle Erlebnisse und Erfahrungen als Frau, vor denen ich nun wieder ein Stück weniger Angst habe, und ich fühle mich auch gestärkt für mein Leben als Mann.
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© Jula 2005
Toll gemacht, alle Achtung
Vielen Dank!