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Big city life

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Mein Berlintagebuch 2006

Januar

Unverhofft kommt oft. Plötzlich möchte mein Arbeitgeber, dass ich einen Teil meiner Arbeitszeit in Berlin verbringe. Nicht auf Dauer, nicht die ganze Woche, nur so ca. drei Tage pro Woche. Hatte ich mir nicht so etwas erträumt? Eine Zeit weg von daheim, in der ich befreit von den Fesseln der Nachbarschaft Frau sein kann. Noch ist das weit weg und ich kann es mir nicht vorstellen, wie es sein könnte. Im Web habe ich zumindest schon mal geforscht, wo und wann sich Berliner Mädels treffen.

Februar

Mein Kundschaftermonat. Die ersten fünf Tage Berlin.

Für die ersten drei Tage habe ich ein Hotelzimmer. Aus Angst dort Kollegen zu treffen, aber auch um erst mal einen Überblick zu kriegen, habe ich keine Frauensachen mitgenommen. … und es prompt bereut als ich abends allein durch Neukölln latschte. Wieso hänge ich hier als Mann rum?

So langsam kann ich mir vorstellen, wie das sein könnte, in dieser Stadt ein kleines Zweitleben zu haben. Etwas zum wohnen brauche ich ab März, damit ich nicht immer in Hotelzimmern kampieren muss und vor allem, damit ich nicht dauernd so große Koffer hin und her wuchten muss. Aber da ist schon was in Aussicht. Abwarten. Nun kann ich schon mal daran gehen, mir zu überlegen, was ich überhaupt mit den Möglichkeiten anfangen will. An- und Abreise und Arbeit als Mann. Klar. Aber den Rest der Zeit? Alles als Frau? Oder nur bestimmte Unternehmungen? Soll ich mir konkrete Ziele setzen? In der Freizeit (so viel wird es ja nicht sein) ausschließlich als Frau rausgehen? Die Gelegenheit nutzen, was gegen meine Gesichtshaare zu tun? Andere Trannies treffen?

Das Wohnproblem ist gelöst! Eine Kollegin aus Berlin sucht für ihre Wohnung in Charlottenburg einen Mieter für die Wochentage. Sie selbst ist fast ausschließlich am Wochenende da. Zusammen mit der Entscheidung, die Wohnung zu wollen, reift auch der Entschluss, dass ich mich da nicht verstecken will. Dazu müsste ich ihr allerdings sagen, dass ich eine kleine Besonderheit habe.

Das folgende Outing war sowohl was seine Rahmenbedingungen als auch was sein Tempo betrifft eine neue Liga für mich. In der einen Minute habe ich mich noch mit der Kollegin gesiezt und in der nächsten habe ich ihr schon erklärt, warum sie sich nicht wundern muss, wenn in dem an mich vermieteten Zimmer Frauensachen rumliegen. Bei der Mitteilung war ich so sachlich wie möglich. Ganz bewusst habe ich auf irgendwelche Fachbegriffe verzichtet. Ich habe nur gesagt, dass ich einen Teil meiner Zeit als Frau lebe. Keine Details. Und ich habe, abgesehen davon, dass ich vorher zum du übergegangen bin, die Sache so tief wie nur möglich gehängt. Es war so etwa der Ton in dem man fragt, wo es in der Nähe einen Supermarkt gibt.

Die Reaktion entsprach in Ton und Sprache in etwa meiner Vorgabe. Hmm, ich hatte schon den Eindruck, die Thematik interessierte sie. Doch mein selbstverständlicher Umgang ließ für große Verblüffung nicht viel Raum. Sie gab sich keine Blöße und reagierte weltgewandt, tolerant und sachlich.

Natürlich nutze ich das vereinbarte „Probewohnen“ bei Gabi um meinen ersten Jula-Abend in Berlin zu verbringen. Direkt nach dem Ankommen ziehe ich mich um. Und dann bin ich auch schon zu Fuß unterwegs durch die nasskalte Dunkelheit Richtung Ku’damm. Als ich komplett durchgefroren am Europacenter angekommen bin,. schaue ich zur Kontrolle in einen Spiegel: ich sehe furchtbar aus! Dass der Wind trotz des Regenschirms meine Haare zerzaust hat, habe ich gemerkt, aber dass es so schlimm ist, schockiert mich doch. Mein Selbstbewusstsein sackt in den Keller. Misstrauisch gucke ich, wie die Menschen auf mich reagieren. Hat da nicht gerade jemand „Transvestit“ gesagt? Zwei kurze Kaufhausbesuche bringen mich wieder halbwegs ins Lot. Nein, keiner kümmert sich groß um mich. Abendessen in einer Trattoria ist langweilig und unspektakulär.

Kurz nach 9 Uhr liege ich auf dem Sofa in der Wohnung. Der Regen hat mir zusammen mit der Abwesenheit interessanter Kneipen die Lust auf Action genommen. So probiere ich ein ganz anderes Leben aus: kein Fernsehen, keine Musik, kein Bierchen. Ich habe mir einen Tee gemacht, schreibe ein wenig und lese dann noch etwas. Still, langsam, natürlich noch weiblich gestylt. Normalerweise unternehme ich dann immer etwas. Mal sehen, wie es ist, einfach zu sein.

Nach dem ich auf dem Sofa ins Koma gefallen bin und die ganze Nacht nicht richtig geschlafen habe, ist mir klar, wieso ich gestern so lahm drauf war und die Haare trotz Unmengen Gel nur immer doofer ausgesehen haben. Ich bin massiv erkältet und schleiche mit Kopfweh und Muskelschmerzen an die Arbeit. 

März

Da hatte es mich wirklich schwer erwischt. Nach dem öden Abend war ich eine Woche krank. Jetzt, wieder gesund und Dank Skiurlaub prima erholt, sieht die Welt bzw. Berlin schon anders aus.

Zu meiner Freude ließen sich die Haare, die frisch geschnitten und ziemlich kurz sind, einfach zu einer frechen Frisur zurechtstrubbeln. Obwohl mir noch immer unheimlich und unglaublich ist, dass die so gut funktioniert.

Diesmal bin ich für die drei Tage mit einem größeren Trolley angereist. Ich will ein paar Sachen hier lassen. Da macht sich das mit der Wohnung doch schon positiv bemerkbar.

Bloß die eigens mitgeschleppten, braunen Stiefeletten sehen zu dem wadenlangen Cordrock doof aus. Wie gut, dass ich als Alternative meine halbhohen (fast!) Männerschuhe habe. Mit umgekrempeltem Schaft haben sie einen schicken Fellrand und passen zu meinem Winteroutfit.

Als erstes war ich gerade noch rechtzeitig vor Ladenschluss ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Verunsichert hat mich nur der starke Wind, dessen mögliche Auswirkungen auf meine Haare mir gleich wieder finstere Gedanken verschaffen. Auf dem Weg nach Hause und während ich dort die Sachen ablade wird mir klar, dass ich längst einen Vorsatz für Berlin habe, der mehr umfasst als

1. Unbedingt in eine Vorstellung der Blue Man Group gehen

Nämlich auch

2. Die freie Zeit möglichst komplett Frau sein. Einfache Regel: An- und Abreise sowie die Arbeit erledigt der Mann, der Rest ist Frauensache. Einkaufen, Freizeitgestaltung, jeder Schritt in der Freizeit vor die Tür als Frau. Ich sehe es als kleinen Alltagstest. Wenn ich dauerhaft als Frau leben wollte, müsste ich mich der Welt schließlich auch konsequent stellen.

Okay, ich bin nicht 100 % konsequent. Direkt um die Ecke ist eine Filiale meines Fitnessstudios. Im Ernstfall müsste ich auch da als Frau hingehen, doch das spare ich mir. Kein Regelbruch, in Berlin wird also trotz günstiger Gelegenheit nicht trainiert.

Das Einhalten der Regel hat bis jetzt gut geklappt. Na gut, ist auch erst der 2. Abend.

Als ich losgehe, um mir ein Abendessen und evtl ein, zwei Drinks zu suchen treffe ich an der Haustür eine Frau, die wohl hier wohnt. Vielleicht frage ich Gabi mal, wer das war. Nach dem Essen (wieder mal bin ich bei einem Italiener gelandet) will ich eigentlich noch eine nette Bar finden. Weil ich nichts sehe, was mich zum Eintreten animiert, wird es ein ausgedehnter Abendspaziergang, bei dem ich „meinen Kiez“ etwas erkunde. Obwohl die Schuhe bequem sind, bin ich schließlich froh, auf dem heimischen Sofa anzukommen.

Am Donnerstag bleibe ich auch nicht daheim. Nach 10 Stunden harter Arbeit verdient die Frau etwas Spaß. In einem Verein für Homosexuelle findet eine Veranstaltung für Transgender statt und zeitgleich wird auf einer Großleinwand der deutsche Vorentscheid zum Grand Prix de la Chanson übertragen. Das schwule Äquivalent zum Endspiel im DFB-Pokal! Da will ich hin. Das bedeutet eine ewig weite Reise mit der U-Bahn bis weit nach Prenzlauer Berg. Wer Frau sein will muss auch mit U-Bahnen fahren, wo die Sitzreihen so angeordnet sind, dass sich praktisch alle gegenübersitzen und anstarren.

Etwas später bereue ich die Nachlässigkeit, keinen Stadtplan mitzunehmen und mir nicht mal die Hausnummer gemerkt zu haben. Diese Kombination beschert mir einen langen Fußmarsch im Schneetreiben.

Ich weiß nicht genau, was ich erwartet habe. Also nicht gerade einen roten Teppich oder so, aber zumindest den einen oder anderen netten Gesprächspartner. Was ich vorfinde, ist das übliche NGO-Ambiente aus abgewohnten Möbeln und haufenweise Leute, die mich für einen angenehmen Abend nicht brauchen. Niemand beachtet mich oder hat gar Lust mit mir zu reden. Zumindest greife ich Broschüren und Veranstaltungspläne ab. Die Kneipe und die ÖPNV-Odyssee zurück vermitteln mir zum ersten Mal nach meinem Frauenkurzurlaub im letzten Jahr ein Gefühl, dem nachzuspüren diese ganze Aktion dient: Normalität. Weder in den diversen Zügen noch im Lokal bekomme ich irgendwelche besondere Beachtung. Ich bin wie ich bin und niemanden kümmert es. Normalität.

Ein Mailpartner, dem ich von Berlin und davon, dass ich die Zeit dort für so etwas wie einen individuellen Alltagstest nutzen will, erzählt habe, reagiert mit einer unerwarteten Frage: „Demnach trägst Du Dich doch irgendwie mit dem Gedanken an eine gaOP?“ Stimmt, der von mir gewählte Begriff ist eindeutig durch das TSG belegt. Aber bringen mich meine bisherigen Erfahrungen näher die Transsexualität mit all ihren Folgen? Nicht im Mindesten! Wozu denn? Alles, was ich mir an „Vorteilen der Weiblichkeit“ und Akzeptanz der Mitmenschen erwarten kann, kriege ich offensichtlich auch so hin. Also wieso sollte ich einen hohen Preis für etwas bezahlen, dass ich auch viel günstiger in mein Leben integrieren kann. Keine gaOP der Welt kann aus mir eine vollfunktionale, unauffällige Frau machen! Ich bleibe so groß wie ich bin (Länge insgesamt, Hände und Füße im besonderen) und riskiere zudem meine Gesundheit und vor allem mein soziales Umfeld. Was ich aufschneiderisch „Alltagstest“ nannte, ist meine ganz persönliche Version davon: ich will einfach so viel Frau sein, wie es nur geht, um festzustellen, dass ich mehr (vor allem körperlich mehr bzw. da wäre teils wohl besser von weniger die rede) nicht brauche. Wenn ich so wie ich aktuell rumlaufe, weiblich genug rüberkomme und auf hinreichende Akzeptanz treffe, was ich eben austeste, dann fällt doch gerade der Druck weg, körperlich noch weiter zu gehen. Wie ich (soweit man Selbstbeobachtung trauen kann) immer wieder feststelle, kommt es mir in erster Linie auf die Rolle bzw. die Akzeptanz als Frau an und nicht auf den Körper. Und für ersteres braucht es keine Hormontherapie und auch keine Schnibbeleien an sensiblen Organen.

Der nächste Mittwoch. Langsam setzt die Routine ein: heimkommen, umstylen, losziehen. Beim Schminken habe ich das Gefühl, als wollte der Bartschatten sich überhaupt nicht übertünchen lassen. Der Gedanke „für Berlin reicht es“ taucht kurz auf, ist aber mehr Selbstcoaching als Überzeugung. Ich habe immer Angst vor negativen Reaktionen der Leute, wenn ich weiblich unterwegs bin, aber ein frecher Gedanke hilft, das nötige Selbstbewusstsein aufzubauen. Los geht es. Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass mir jemand begegnet? In der Tauentzienstraße kommt mir einer der Vorstände meiner Firma entgegen. Ich verzichte spontan auf einen Gruß und wir gehen ohne Notiz zu nehmen aneinander vorbei. Nach Noteinkäufen am Ku’damm (Strumpfhose, schwarzes Shirt) lande ich – nein, nicht schon wieder italienisch – in einem kleinen Thai-Restaurant mit Garküchencharakter. Stilvoll und das Essen ist auch lecker. Die Frauen am Nebentisch finden mich ebenso uninteressant, wie die Leute im Bus oder irgendwer sonst. Alles okay und … normal. Bloß die Absätze meiner Stiefel verleiden mir ein wenig den Spaziergang nach Hause. Knöchel und Ballen schmerzen nun doch heftig.

Was gestern ein finsterer Verdacht war, ist heute nicht mehr zu übersehen: nicht rasierbare Bartstoppel en masse. Ich vermute, das kommt von der Epi am Dienstag. Die ausgebrannten Haarkanäle stehen hoch wie kleine Hügel, so dass ich mit der Klinge an die wachsenden Haare nicht rankomme. Ich überlege tatsächlich kurz, nicht weg zu gehen. Aber dann greife ich beherzt zu Camouflage-Makeup. Was bei Brandmalen hilft, färbt locker Barthaare. Die Farbe stimmt dann zwar, doch das Gesicht sieht aus wie eine Hügellandschaft. Lächeln, Mädel! Los geht’s.

Heute will ich die Gegend rund um den Nollendorfplatz erkunden. Queer-Country. Fachgeschäfte für Lack & Leder und Ärzte, die schon auf dem Praxisschild darauf hinweisen, dass sie sich mit HIV-Behandlungsmethoden auskennen.

Der Barkeeper in der Schwulenkneipe, die ich auf Empfehlung von Gabi besuche, redet mich charmant, charmant als Mann an. Frust! Und dafür habe ich mich so hübsch gemacht, wie es grad ging. Da in der hochgelobten Szenekneipe zu der frühen Zeit (21.00 Uhr), als ich sie beehre, noch nichts los ist und der Barkeeper meine Gesellschaft wegen seiner Unsensibilität nicht verdient hat, endet der Abend früher als gedacht auf dem Sofa.

Als ich am Freitag abreise, bin ich froh, dass ich Gabi gleich gesagt habe, was mit mir los ist. Denn da ist inzwischen schon einiges an Zeug in meinem Zimmer, das einen Mann verdächtig machen würde. Schuhe, Pullover, Röcke, Abschminktücher, ich bin froh das nicht verstecken zu müssen. Frauensachen offen rumliegen lassen, auch das ist ein kleiner Luxus, den ich mir hier in Berlin gönne.

Seit ich gestern Abend in Nürnberg im Kino in Transamerika war, ist die Kurze-Röcke-Saison eröffnet. Na gut, viele werden abstreiten, dass ein knielanger Rock wirklich kurz ist, aber für mich ist es eine kleine Mutprobe, auch wenn der Oberschenkel bedeckt bleibt. An der Bushaltestelle weht mir ein unangenehm kalter Hauch um die Beine. Ich bin mit der U-Bahn nach Spandau gefahren und erkunde die Shoppingmöglichkeiten. Nicht schlecht. Ein großes Center und weitere Kaufhäuser.

Bei Douglas kaufe ich einen neuen Mascara. Wir Trannies (oder bloß ich?) sind schon klasse Kundinnen. Ich nehme ohne groß nachzufragen den ersten, der mir empfohlen wird. Und falle an der Kasse fast in Ohnmacht. 25 €! Für 1 schwarzen Mascara, den ich nicht mal getestet habe. Ohne zu maulen zahle ich. Ich nehme die Kreditkarte, was den Schmerz etwas mindert. Aber im Nachhinein ärgere ich mich tierisch und daran ändern auch die Parfümproben und das kleine Topfblümchen, die es als Dreingabe gab, nix. Ich habe mir aus Feigheit mal wieder was Teures andrehen lassen, habe mich nicht getraut, nach etwas preiswerterem zu fragen. Lassen sich die anderen Trannies auch immer wieder teures Zeug aufschwatzen? Falls ja, wundert es mich nicht, dass ich immer freundlich und zuvorkommend bedient werde.

Jetzt hatte ich auch meinen ersten nicht-geschäftlichen Gesprächskontakt: ein Berliner ist mir nachgelaufen, um mir zu sagen, wie mutig er mich findet und bei der Gelegenheit gleich zu fragen, ob ich „umgebaut“ bin. Ich lasse ihn ziemlich kalt abtropfen. Im Weggehen ruft er mir trotz meiner Sprödigkeit noch mal hinterher, wie toll mutig er mich findet. Nun grübele ich darüber nach, ob ich die Begegnung unangenehm fand, weil der Typ auf offener Straße hinter mir hergerufen und (sowieso) mich beim Vorbeigehen gleich „entlarvt“ hat, oder ob die Bestätigung das Wichtigere ist. Eher letzteres, denn mir ist ja bewusst, dass ich nicht die unauffällige Frau sein kann, die ich gerne wäre. Solche Situationen sind zwar einkalkuliert, aber angstbesetzt. In meinen Fantasien sind es proletarische, alkoholisierte Jungmänner, die mir in der Öffentlichkeit laut Sachen wie: „Ey, du bist doch ein Mann?!“ hinterherschreien und mich zum Zentrum allgemeiner Aufmerksamkeit machen. Im Prinzip bin ich gerne bereit, meine Besonderheit zu erläutern und finde es nur am Rande und weil ich spitzfindig bin, etwas beleidigend, wenn ich „mutig“ genannt werde. Bloß auf der Straße nachschreien lasse ich mir nicht gerne. Obwohl: ist das nicht etwas, dass Frauen nun mal passiert? Hey, ich gehöre zum Club! Bloß am Text muss noch gefeilt werden.

Zwischendurch: in meiner Nähe gibt es zwei Asia-Imbisse. Der eine heißt „Tu-Long“ und der andere „Sing-le“ 🙂

Gerade sitze ich in einer Restaurant/Bar in Prenzelberg, wo es ein schönes Abendbrotbüffet gibt. Obwohl ich heute mit meinem Schminkergebnis sehr zufrieden war und die ganze lange U-Bahnfahrt niemand merklich Anstoß an mir genommen hat, ist da doch immer diese Unsicherheit, ob ich auch wirklich auf Akzeptanz treffe. Es ist inzwischen normal für mich, mich nach der Arbeit zu stylen und los zu ziehen. Normal ist aber leider auch die beständige Unsicherheit. Ob ich die jemals in den Griff kriege? Heißt Normalität für mich, dass die Betroffenheit und das miese Gefühl bei jedem längeren Blick dazugehört? Oder habe ich die Chance, dass ruhige Selbstverständlichkeit Teil der Normalität wird?

Nun ja, falls Normalität bedeutet, dass man anfängt schludrig zu werden, dann klappt das schon recht gut. Jetzt habe ich schon zum 2. Mal in zwei Wochen den Lippenstift zuhause vergessen! Ärgerlich, wenn man so wie ich dauernd Angst hat sich eine Blöße zu geben und möglichst perfekt sein will.

Etwas später am selben Abend, sitze ich mit Grete, Vespa-Moni und Erika am Tresen der „Together Bar“ und geben uns mit einem süßen Likör die Kante, den Grete, die Wirtin, fröhlich „Catherine Deneuve“ nennt. In dieser Bar treffen sich am letzten Freitag jedes Monats Transgender, doch heute bin ich die Einzige. Überhaupt sind wir vier die gesamte Belegschaft. Schnell bin ich „die Jule aus Nürnberg“ und es wird ein richtig netter Abend. Wir süffeln dieses französische Zeug und reden über Gretes Jugend, unsere Familien und Transgender. Selbst Gretes Einschätzung, ich könne nur deshalb unbeachtet durch die Straßen wandeln, weil Berlin so weltstädtisch tolerant sei, wirft mich nicht aus der Bahn. Nein, ich finde, da liegt sie falsch, doch sie liebt nun mal ihre Stadt.

Die letzte Woche im März.

Heute abend bin ich mit Gabi verabredet, die ausnahmsweise gleichzeitig mit mir in Berlin ist.

Weil im Job nicht viel anliegt, ich fast einen Monat hier bin und immer noch keine Schuhe gekauft habe und vor allem weil es mich verlegen machen würde, mich unter Gabis Augen zu stylen oder gar in Unterwäsche an ihr vorbeizuhüpfen, habe ich schon um 16 Uhr Schluss gemacht. Mit einem für das Regenwetter nicht ganz angemessenen knielangen Rock bekleidet fahre ich mit der U-Bahn nach Steglitz. Da gibt es ein neues Shopping-Center und die Hoffnung auf zwei Schuhgeschäfte für Übergrößen. Zwar ist das eine unauffindbar, aber im anderen finde ich bequeme Sommerlatschen. Obwohl ich, wie gewohnt nur vereinzelt irritierte Blicke ernte, fühle ich mich etwas unsicher. Das liegt wohl an ein wenig Angst vor Gabi. Ob ich in ihren Augen akzeptabel bin? Wie wird sie reagieren? Bis jetzt hat sie nicht mal nach meinem Frauennamen gefragt.

Hmm, meinen Frauennamen habe ich ihr regelrecht ranreden müssen und so richtig vertraut ist er ihr auch nicht geworden. Als ich vor der Tür stand musste sie lachen, als sie mich sah. Doch das war mehr Unsicherheit als Belustigung. Sie hat mich praktisch sofort normal und unaufgeregt behandelt. Nach den erwarteten Komplimenten und der Feststellung, dass sie auf der Straße an mir vorbeigelaufen wäre ohne mich zu erkennen oder irgendwie auffällig zu finden, sind wir schnell zum Essen aufgebrochen. Es ist nach Mitternacht, als wir nach Tapas und Cocktail und vielen Worten wieder zu Hause eintreffen.

Den nächsten Abend bin ich wieder alleine unterwegs. Heute auf dem Entdeckungsplan: Kreuzberg. Ich hatte vorher schon so eine Ahnung und die U-Bahnstation Cottbusser Tor beschert mir eine lange erwartete Premiere: ein angetrunkener Eckensteher macht laut seine Kumpel auf mich aufmerksam und brüllt mir „Schwuchtel“ hinterher! Es irritiert mich verblüffend wenig. Ich gehe weiter, ohne ihn einer Reaktion zu würdigen. Nach dem ich mich vorhin im Bus noch gefreut hatte, dass nicht mal 7-jährige Mädchen, die mich ansehen, irgendeine erkennbare Reaktion zeigen, ist das schon eine Ernüchterung.

Obwohl ich erst noch in einem Imbiss etwas esse, bin ich für das berühmte „Roses“ zu früh. Also suche ich mir erst noch eine andere Kneipe für ein Bier.

Als ich damit um halb 10 Uhr fertig bin ist das „Roses“ immer noch zu und Gretes Bar, in die ich flüchten will schließt gleich. Nicht meine Nacht.

Na gut, dann habe ich mehr Zeit über einen neuen Gedanken zu grübeln. Okay, ganz neu ist er nicht, aber für mich ist er ungewohnt. Darauf gebracht hat mich gestern die Spanierin in der Tapas-Bar: die war stolz an der Grenze zur Arroganz. Wieso bin ich nicht stolz auf das, was ich bin und tue? Statt immer misstrauisch auf die Missbilligung anderer Menschen zu warten, könnte ich genau so gut und vielleicht mit mehr Berechtigung erwarten, dass sie mich toll finden.

Mal ernsthaft: Wieso diese blöde Scham? Weil ich es nicht schaffe, mich aufs pure Mannsein zu beschränken? Weil ich mehr will? Es ist weder ein Grund sich zu schämen, eine Frau zu sein, noch sich das zu wünschen. Im Gegenteil! Ich kann so stolz auf mich sein, wie jede andere Frau, wie jeder Mensch. Vielleicht sogar mehr. Ich kann stolz darauf sein, die selbe Kleidung zu tragen wie Frauen, stolz sein, ihnen sehr ähnlich werden zu können. Vielleicht sogar ein wenig schön zu sein. Wenn Frausein so etwas begehrenswertes ist, wie ich meine, wenn Frauenkleidung so viel schöner ist als männliche, müsste es mich gerade stolz machen, sie in der Öffentlichkeit zu tragen. Ich müsste stolz darauf sein entweder für eine Frau gehalten zu werden oder als Mann erkannt zu werden, der seine Weiblichkeit lebt. Sich auf die Seite der Frauen zu schlagen mag ungewöhnlich sein, doch es ist kein Grund für Scham.

So die in diesem Fall schöne Theorie. In meiner Realität ist es schwieriger. Immer noch wirkt die jahrelange Versteck“spielerei“ nach. Ich muss endlich lernen, stolz auf die Weiblichkeit in mir und meine Fähigkeit, sie ein Stück weit Realität werden zu lassen. Vielleicht auch gerade deshalb, weil ich versuche, diese weitere Seite zu leben, ohne die männliche Existenz und den Männerkörper zu zerstören. Wie entwickle ich Stolz? Stolz, das ist praktisch für mich, braucht keine Voraussetzungen. Er ist eine Einstellung zu der ich mich entschließen kann. Stolz braucht keine Gründe außerhalb meiner Person. Ich muss bloß den Glauben, dass andere mich kritisch sehen müssten, durch den Glauben ersetzen, das vernünftige Leute mich und was ich tue zumindest respektieren wenn nicht sogar bewundern werden.

April

So langsam könnte es ruhig etwas wärmer werden. Da haben die Modegöttinnen ein Einsehen gehabt und in diesem Jahr sind Röcke und Kleider so in wie schon lange nicht mehr – und dann ist es selbst kurz vor Ostern noch so kalt, dass man sich in kurzen Röcken Rheuma in die Knie holt.

Heute will ich die selbstbewusste Coolness ausprobieren, über die ich letzte Woche nachgedacht habe. Auf jeden Fall werde ich einen höchstens knielangen Rock anziehen. Als ich den Koffer auspacke, kriege ich einen kleinen Schock: Wo ist mein Kulturbeutel? Die Schminksachen habe ich, aber die „Männersachen“ fehlen. Aaah! Wo ist mein Gilette? Daheim. Frust und Verunsicherung. In meinem Beauty-Case ist ein Einwegrasierer. Puh, nicht ideal, aber wird schon gehen. Ich hatte schon überlegt, als Mann einkaufen zu müssen. Nun ja, suboptimal rasiert nehme ich einen Klacks mehr Makeup und bin schließlich ausgehfertig. Der ursprüngliche Frechheit-zeigen-Plan hat zwar kleine Schrammen gekriegt und mein Einkaufszettel ist um eine Zahnbürste erweitert, doch ich ziehe sehr positiv gestimmt los. Ziel: Karstadt Charlottenburg, Aufgabe: jedem der kritisch guckt wird ins Gesicht gelacht, Ergebnis: keines. Es lag nicht daran, dass ich versagt hätte, sondern daran, dass einfach keiner mich besonders interessiert angeschaut hat. Na, immerhin habe ich mit einigen Beinahestürzen wegen der ultraglatten Sohlen meiner Pumps wohl zumindest einigen hinter mir gehenden eine Freude gemacht.

Mittlerweile bin ich regelrecht vernarrt in die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Gerade weil die Menschen einem dort nahe sind und schauen können. Weil ich sitze, fällt meine Körpergröße nicht auf und ansonsten auch nichts. Niemand schaut mich genauer an. Die Blicke treffen mich und wandern weiter ohne eine erkennbare Reaktion. Wunderbar! Ich mag die Busse, aber noch lieber sind mir die U-Bahnen mit ihren gegenüber angeordneten Sitzreihen. Balsam für mein Selbstbewusstsein.

Dank meines GPS und auf Kosten meines Billigschirmes, den die Windböen zerhauen, habe ich es an mein Ziel in Friedrichshain geschafft. Das Viertel hat viele Kneipen, gepflasterte Straßen und breite Bürgersteige. Im Sommer bestimmt wunderschön. Die Bar, in die ich wegen einer ominösen Veranstaltung namens „Gay hump day“ mit zwei österreichischen Tunten-DJs (darf ich das so sagen? Jedenfalls nennen sie sich die „Kassler Zwillinge“ und sind trashig auf Frau gestylt) gegangen bin, erweist sich als kahle Hütte mit Billigmöbeln und dem Charme eines Lagerraums. Fast alle Männer haben eine Glatze oder einen Haarschnitt knapp daneben und auffällig viele tragen Adidas-Trainingsklamotten. Ich schätze, ich hebe den Altersschnitt gewaltig. Während sich die „Zwillinge“ gar nicht ähneln, sieht der Barkeeper fast genau aus, wie mein Neffe Bjarne. Die Spiegel in der Toilette sind solche Spiondinger, so dass man vom Lokal aus schemenhaft sehen kann, was da vor sich geht. Lustige Idee.

Der nächste Abend beginnt nicht verheißungsvoll. B., eine Trannie mit der ich verabredet war, gibt mir kurz vorher einen Korb. Nun ja, ich hätte auch keine große Lust, als Mann mit einer Trannie, die ich kaum kenne, durch Berlin zu ziehen. Dass es immer noch lausig kalt ist und ich ein wenig Halsschmerzen habe, macht es nicht besser.

Bevor ich mich ins Nachtleben stürze, gehe ich zum Essen in die Trattoria an der Ecke. Meine Kleidung ist vom Stil her „Bürooutfit“: knapp knielanger Kostümrock, einfarbiger Pulli und zum Ausprobieren Pumps mit ca. 6-8 cm Absatz. In den hautfarbenen Strümpfen, dem knappen Rock und den Schuhen komme ich mir etwas obszön vor, doch es ist ein schönes Gefühl so draußen zu sein.

Habe ich gerade obszön gesagt? Was soll das denn? Millionen Frauen fühlen sich in hautfarbenen Strumpfhosen und einem Rock nicht „obszön“. Nein, wenn ich darüber nachdenke, dann ist es ein Gefühl, dass ich als Mann nie habe. Es ist ein schönes Gefühl, das ich erst durch weibliche Kleidung und Styling kennengelernt habe: ich fühle mich sexy! Wow!

Die nette Bedienung fragt mich beim gehen, ob ich ins Theater (gleich gegenüber) will. Aha, so wirkt also meine Ichkommgradvombüro-Kleidung. Gehtechnisch bin ich froh, dass es nur 100m sind. Wieder daheim bin ich froh die Schuhe ausziehen zu können. Eindeutig nur kurzstreckentauglich.

Obwohl ich auf dem Sofa fast eingeschlafen bin, raffe ich mich auf. Für die Latscherei an frischer Luft, in die meine Kneipenerkundungen immer ausarten, habe ich mich für den wadenlangen schwarzen Rock und flache Schuhe entschieden. Heute auf dem Plan: der Mehringdamm. Gleich mehrere Szenekneipen auf einen Haufen. Mein Weg führt mich in die „Barbie Bar“, die ihrem Namen alle Ehre macht. Barbies als Deko, Clubsessel, in verschiedenen Rottönen gestrichene Wände, gedämpftes Licht und zivile Getränkepreise. Bisher zusammen mit Gretes Laden der netteste, den ich in Berlin gefunden habe. Das „Rauschgold“, das ich danach noch beehre, fällt vom Interieur etwas ab. Gespräche an diesem Abend – außer mit den Bedienungen – keine. Okay, ein Betrunkener in einer U-Bahnstation wollte sein Bier mit mir teilen, aber da habe ich nicht mal das Gehtempo verändert. Später finde ich mich in der U-Bahn plötzlich zwischen einer Horde Kids auf Klassenfahrt. Selbst dieses kritische Publikum findet mich keinen zweiten Blick wert.

Ostern ist vorbei und ich mache eine andere Berlinerfahrung. Mein Sohn ist mitgekommen und so bin ich in diesen Tagen rein männlich unterwegs. Wir ziehen gemeinsam durch Berlin. Fehlt mir etwas? Nur wenig. Ich erlebe es nicht als Beeinträchtigung, nicht Frau sein zu können. Nur ein wenig traurig bin ich. Vor allem weil mir die Hürde, die da zwischen mir und ihm ist, dauernd vor Augen steht. Gabi hat zur Vorbereitung des Besuchs alle meine Frauensachen verräumt. Jetzt ist es wie zu Hause. Mit meinem Sohn zusammen besuche ich die Blue Man Group. Wow, was für eine Show!

Am Freitag besuchen wir die Ausstellung „Melancholie“ in der Nationalgalerie. Obwohl es für unseren Geschmack zuviel „alte Schinken“ und zu wenig moderne Kunst ist, sind wir beide tief beeindruckt.

Die letzte Woche im April.

Als ich mein Zimmer betrete, freue ich mich. Gabi hat alle meine Sachen wieder hingeräumt! Schuhe, Röcke, Pullover, alles ist wieder da!

Kaum zu fassen, es braucht nur zwei Wochen „Abstinenz“ und einen Haarschnitt bei einer Vertretungs-Friseuse und ich bin beim Weggehen verunsichert. Meine Frau hatte mir zwar zuhause noch versichert, dass die Frisur bestimmt auch weiblich gut wäre, trotzdem habe ich jetzt wieder einen deutlich spürbaren Klumpen im Bauch. Gabi ist am Knie verletzt, so dass meine heimliche Hoffnung auf Begleitung sich zerschlug und ich wieder alleine unterwegs bin.

Es ist warm und ich gehe zum Abendessen in ein Lokal am Ernst-Reuter-Platz, weil man da draußen sitzen kann. Meiner Psychose zum Trotz beachtet mich niemand. Weil ich immer noch unsicher bin, aber auch, weil ich den schlechtesten Salat der Welt serviert bekomme, kann ich nur wenig essen. Wie war das mit dem Stolz auf mich und meine Besonderheit? Ich bin adäquat angezogen, habe so wenig Bartschatten wie nie zuvor, eine unauffällige Kurzhaarfrisur und in der Not bin ich immer noch 1,90 m groß und halbwegs gut trainiert. Also wieso die Verunsicherung? Warum brauche ich immer wieder die Erfahrung, dass die Leute mich nicht weiter beachten? Ich versuche, die Situation bewusst zu genießen und mich zu entspannen.

Mein Ziel für heute abend ist das Barbie Deinhoff’s in Kreuzberg und meine Erwartungen sind groß. Die Fahrt dahin in der knallvollen U-Bahn ist wie erwartet Balsam für meine Seele: keinerlei Reaktionen auf mich. Als ich gegen 20.30 Uhr dort bin, ist das berühmte Lokal noch zu. Durch die Scheiben erkenne ich, dass ich meine Hoffnung auf schickes Mobiliar und stilvolles Ambiente auf jeden Fall beerdigen kann. Warum sind so viele Läden der Queer-Scene so schmuddelig? Und warum schreiben die nie ihre Öffnungszeiten außen hin? Ich gebe der Bar eine Chance und suche mir bei der milden Luft noch einen Biergarten, um die Zeit bis zu einem zweiten. Versuch zu überbrücken.

Eine Stunde später hat das Barbie Deinhoff’s auf. Es ist tatsächlich so abgewrackt, wie es von außen aussah. Der Barkeeper, zwei Lesben, davon eine die DJane sind lange zusammen mit mir die komplette Belegschaft.

Weshalb ich Queer-Lokale doof finde: es ist nicht die verranzte Einrichtung. Die finde ich meist sogar originell. Es ist die fehlende Referenz. Wenn sich in einem „normalen“ Laden keiner um dich kümmert, dann weißt du, dass du okay bist (oder in einem Blindenheim). Um in einem Queerladen irgendeine Beachtung zu kriegen, müsstest du schon riesige Titten auf dem Rücken tragen und ein Minikleid aus Neonröhren tragen. Mindestens! Unterhalb dieser Schwelle beachtet dich niemand. Das fast ist wie Ausgehen ohne Leute zu treffen.

Immerhin im Barbie D. ist eine Fotoausstellung mit Bildern auch von Trannies. In der Beschreibung werden wir wegen unserer sexuellen Uneindeutigkeit „heavenly creatures im Alltagsgrau“ genannt. Na also! Geht doch!

Am nächsten Abend komme ich erst spät von der Arbeit und bin ziemlich geschafft. Ich mache mich trotzdem hübsch. Sehr sogar, wie ich finde; mit dem Pulli mit Netzmuster, dem schwarzen Rock und den gestreiften Strümpfen, die meine Beine endlos aussehen lassen. Ich bleibe dann aber bei Gabi und wir schwatzen bis Mitternacht. Zwischendurch mache ich nur einen kleinen Spaziergang um den Block, um der Welt da draußen die Chance zu geben, mich schön zu finden. Doch sie hat kein Interesse. Niemand guckt.

Mai

Endlich ist es warm und sonnig. Ich bin zwar früh aus dem Büro geflüchtet, aber es ist doch schon kurz vor 7 Uhr bis ich in der U-Bahn Richtung Potsdamer Platz sitze. Heutiges Abendprogramm: Kino!

Wann war ich eigentlich das letzte Mal shoppen? Muss ewig her sein. Für die Zeit bis der Film anfängt zieht es mich, trotz des wunderbaren Wetters in die Einkaufspassage. Ein tief ausgeschnittenes T-Shirt später bleibt doch noch eine halbe Stunde, die ich bei einem Glas Wein in einem Straßencafe verbringe. Wie gewohnt ziehen die Passanten an mir vorbei ohne mich zu beachten. Da geht es dem Autofahrer, der die Vespa angefahren hat ganz anders.

Ein neuer Gedanke, immer noch auf der Spur des Stolzes: ich vermute immer, die Leute fänden mein Verhalten merkwürdig und seltsam, vielleicht sogar lächerlich. Wie wäre es denn, wenn sie mich in Wirklichkeit dafür bewundern? Wahlweise für meinen Mut oder meine Fähigkeit, eine ganz passable Frau zu sein. Solange die Leute uneindeutig reagieren, und das ist in den meisten Fällen so, kann das doch sein. Wieso interpretiere ich Aufmerksamkeit trotzdem immer nur negativ? Na gut, heute kriege ich gar keine, also ist es egal.

Ganz entspannt

Aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, bin ich am nächsten Abend ziemlich unsicher. Dabei ernte ich kaum mehr irritierte Blicke als sonst und in der Straßenbahn hatte ich sogar ein kurzes, nettes Gespräch mit einem Touristenpärchen. Trotzdem fühle ich mich angestarrt. Da gucken wirklich mehr Leute auf mich!

Ein Teil der Verunsicherung kann von dem starken Wind kommen. Seit ich nur mit meinen eigenen Haaren unterwegs bin, habe ich bei Wind ständig Bedenken, dass er meine Geheimratsecken freiweht. Das Rumpfuschen an meiner Frisur ist fast schon so was wie ein nervöser Tick.

Nachdem ich die Hackeschen Höfe besichtigt und einen öden Salat zum Abendessen hatte, fahre ich quer durch die Stadt zu Gretes Bar. Wieder ist kaum was los und die Atmosphäre herzlich. Ich erfahre, dass das „Together“ gar keine reine Frauenbar ist: montags und mittwochs sind auch Männer zugelassen! „Memmentage“ wie Grete diese Ausnahmen nennt.

Zuhause treffe ich noch auf Gabi und die liefert mir eine weitere Erklärung für die von mir gespürte erhöhte Aufmerksamkeit: während sie bisher meine Outfits eher emotionslos zur Kenntnis genommen hatte, ruft sie bei meinem Anblick diesmal spontan „Hey, sexy!“ Zusammen mit den Komplimenten, die ich in der Kneipe bekommen habe ist das ein guter Punkt, warum ich auch auf der Straße interessierter betrachtet wurde. Ein kurzer schwarzer Rock und ein armfreies Shirt, das ein wenig Decollete ahnen lässt, reichen schon für erhöhte Aufmerksamkeit.

Meine letzte Woche in Berlin beginnt schon mit einem Erlebnis am Flughafen in Nürnberg. Ich werde zur Gepäcknachkontrolle gerufen. Verdacht auf Sprengstoff. Die beiden Männer von der Sicherheit inspizieren mit immer verblüffterem Gesichtsausdruck mit mir zusammen den Inhalt meines Koffers. Wir unterhalten uns nett über ihre schwierige und verantwortungsvolle Arbeit im Dienst der Flugsicherheit. Die Frage „Sind das Ihre Sachen?“ kann sich der eine dann aber doch nicht verkneifen. Weil die beiden mich nett finden, beruhigt sie meine Behauptung, es wären Sachen meiner Frau, so sehr, dass sie nicht auf die naheliegende Frage kommen, wo denn dann meine Sachen sind. Ich komme mir wegen der Lüge zwar etwas feige vor, will mit den beiden aber lieber ihren Job als meine Unterwäsche diskutieren. So vergeht die Zeit bis zum Abflug unerwartet schnell und ich weiß jetzt, dass man Bombenalarm auslösen kann, wenn im Koffer ein klingenloser, batterieunterstützter Nassrasierer blöderweise im Röntgenbild über 2 Brustprothesen liegt, und irgendeines meiner Kosmetika zudem die chemischen Detektoren anschlagen lässt.

Diese Woche ist nicht bloß der Schluss meiner Berlinzeit, sie ist auch länger, weil ich bis Sonntag bleibe. Vor allem aber ist sie nicht einsam, weil ich meine Frau dabei habe. Das freut mich, fordert aber Kompromisse, weil sie natürlich auch was von ihrem Mann haben möchte. Außerdem war sie bisher selten mit Jula unterwegs und es hat sie in der Vergangenheit teils verunsichert.

Nach einem Mittwochabend im Männermodus, ziehen wir am Donnerstag als Damenteam los. Weil es am Abend immer noch sommerlich schön ist, genieße ich die Vorteil weiblicher Kleidungsmöglichkeiten. Ein ausgeschnittenes, ärmelloses Shirt, ein knielanger Rock und Ballerinas an den bloßen Füßen. Ist das angenehm! Den Pullover für später habe ich in der Handtasche dabei.

Handtasche! Wie kommen Männer bloß dauerhaft ohne Handtaschen aus? Mich nervt es jedenfalls total, dass mich die Konvention zwingt, eckige und schwere Sachen in Taschen an meiner Kleidung zu zwängen. Nie weiß man wo alles ist und ob noch alles da ist. Als Frau habe ich meine Handtasche, da ist alles drin, beult nicht die Kleidung und fertig.

Zu meiner Freude verläuft der Abend sehr locker und harmonisch. Keinerlei blöde Blicke oder gar Bemerkungen stören unseren Kreuzbergbummel. Wir gehen eingehängt wie Freundinnen durch die Straßen und sitzen entspannt in Restaurant und Bar, während wir das bunte Straßenleben genießen. Sie nennt mich sogar einmal „meine Süße“! Was für ein wunderschöner Abend.

Am Freitag hat Jula äußerlich Pause, weil wir gleich von meinem Büro aus die touristischen Aktivitäten starten. Endlich, am Ende meiner Berlinzeit, schaffe ich es ins jüdische Museum. Das Gebäude selbst ist so beeindruckend, dass die Ausstellung (aktuell um eine gute Sonderausstellung über Freud ergänzt) für mich fast zur Nebensache verkommt.

Beim Abendessen wird Jula aus heiterem Himmel sehr präsent. Wir haben ein langes und ernstes Gespräch über die Frage, wie offen oder versteckt ich zukünftig mit meiner Neigung umgehen will und kann. Schwere Kost für einen sonnigen Urlaubstag. Erst später am Abend haben wir die bedrückte Stimmung überwunden.

Am Hirschfeld-Denkmal

Der Samstag ist mein erster und einziger ganzer Frauentag in Berlin. Ach ja, und er ist auch mein vorläufig letzter. Nach dem Frühstück in einem Cafe gleich nebenan fahren wir zum Ku’damm und starten unsere Shoppingtour. Manchmal ist ein Schluchzen zu hören. Das stammt von meiner überstrapazierten EC-Karte, doch ich höre nicht hin. Martina übt sich zu meiner Freude in weiblicher Anrede und sagt so oft „Jula“ wie noch nie zu vor. Ich mag es, wenn ich in der Öffentlichkeit so gerufen werde. Natürlich bloß, wenn ich gerade auch so aussehe. Nach knapp sieben Stunden pflastertreten, sind wir mit schmerzenden Füßen wieder in der Wohnung.

Für den Abend habe ich eine tolle Idee. In einem nicht näher beschriebenen Veranstaltungszentrum in Friedrichshain findet eine Veranstaltung des Studiengangs Gender Studies mit anschließender Party statt. Schon der Fußweg ab der Warschauer Straße erweist sich als unangenehm, weil die anderen Passanten alle sehr jung und sehr punkig aussehen.

Und als sich die Location als heruntergekommenes Gewerbegelände erweist, auf dem haufenweise Punks in schwarzen abgerissenen Klamotten rumhängen, komme ich mir total deplaziert und vor allem overdressed vor. In meinem neuen Outfit von Peek & Cloppenburg bestehend aus einem sandfarbenen Rock mit einer großen Paillettenstickerei, der hellen Strickjacke mit den hübschen Bändchen mit Federn am Ende und den schwarzen Riemchen-Ballerinas bin ich hier eindeutig falsch. Ein Trupp Leute liegt mit Bierflaschen in der Hand auf alten Matratzen und starrt mich an. Ich fühle mich wie eine Gestalt gewordene Provokation. So ähnlich wie ich jetzt, muss sich ein Punk bei einer Premiere in der Staatsoper fühlen.

Martina und ich verzichten spontan auf die weitere Erkundung des Geländes und den Besuch der Veranstaltung. Wir essen dann gut und preiswert in einer nahegelegenen Flanierstraße, aber der Schock wirkt nach. Der Fußweg zurück zur S-Bahn führt wieder an vielen nun schon angetrunkenen jungen Männern vorbei. Erst als wir in der Bahn sitzen, entspannen wir uns und sind froh, als wir dann in Charlottenburg auf bürgerliches Publikum stoßen, wo ich in meinem Lady-Outfit und mit meinen klappernden Absätzen nicht wie ein Alien wirke und alle Blicke auf mich ziehe. Mit leckeren Cocktails und angenehm ereignislos klingt der Abend aus.

Vorbei

10 halbe Wochen in 3 Monaten war ich in Berlin. Nun ist diese Zeit vorbei.

Ich habe die Zeit gut genutzt und war so häufig Frau, wie noch nie zuvor. Auf andere Weise war es eine ebenso intensive Erfahrung wie mein Frauenkurzurlaub letztes Jahr.

Berlin war toll. Die Zeit ist mir lieb und wichtig und ich werde sie in bester Erinnerung behalten.

Und es gibt ein paar spezielle Aspekte, die mir besonders wichtig sind.

  • Dressing auf Vorrat

Will ich eventuell gar nicht so häufig Frau sein, wie ich es in Berlin konnte?

Habe ich in Berlin vielleicht sogar „über Bedarf“ bzw. „auf Vorrat“ „konsumiert“?“

Die Antworten lauten: „nein“ und „nein“.
Im Gegenteil, ich werde in Erinnerung an die Berliner Freiheiten mit meinen üblichen Restriktionen schlechter zurechtkommen. Ich habe die Freiheit dort genossen und sie war mir keinesfalls mengenmäßig zu viel.

Vorratshaltung kriege ich schon gar nicht hin. Kann das jemand? Kannst jemand Crossdressing „auf Halde“ betreiben und dann entsprechend länger „ohne“ auskommen? Ich kann es definitiv nicht. Egal wie viel Jula ich war, wenn ich wieder ausschließlich Mann sein muss, wird die Sanduhr umgedreht und die Zeit läuft. Es ist eher sogar so, dass es mir genossene Freiheiten schwerer machen, mich mit einer geringerem Menge an gelebter Weiblichkeit abzufinden.

  • Selbsterkenntnis

Macht mich weibliche Kleidung per se glücklich bzw. kann ich nur noch schwer in meinen männlichen Alltag zurück?

Letzteres ist eine Thematik, die ich von allen meinen transsexuellen Freundinnen kenne. Je mehr und je länger sie in der weiblichen Rolle waren, umso schwerer fällt der Abschied von ihr und als um so belastender erleben sie das Mannsein-Müssen.

Dieses Thema, das ich auch kurz mit der Frage „Bin ich transsexuell?“ benennen könnte, beschäftigt mich ebenso lange, wie ich mit meiner Besonderheit ringe. Und seit diesen ewigen Zeiten ist auch die Antwort immer die gleiche: Nein, mit ziemlicher Sicherheit nicht!

Dabei steigt zwar mit jeder Auseinandersetzung mit der Frage die Sicherheit, dass das auch wirklich so stimmt, doch ABSOLUT sicher kann man sich in der Selbstwahrnehmung nie sein.

Wenn ich so häufig und problemlos wie gehabt als Frau unterwegs sein kann, dann steigt die individuelle Zufriedenheit nicht linear mit den Ausgehmöglichkeiten, sondern bleibt dahinter zurück. Es stellt sich erwartungsgemäß eine gewisse Routine ein. Ich kann einfach nicht dauernd mit einem seligen Grinsen durch Berlin latschen, weil ich einen Rock anhabe und mich trotzdem niemand beachtet. Die Frage „was wäre jetzt gerade anders, wenn ich als Mann unterwegs wäre?“ müsste ich in vielen Fällen mit „nichts“ beantworten.

Zumindest ist für mich die weibliche Rolle nicht das „eigentliche“ oder „richtige“ Leben, sondern nicht mehr und nicht weniger als ein wichtiger Teil, auf den ich nicht verzichten kann, der aber auch keinen Alleingültigkeitsanspruch hat.

Vieles in meinem Leben kann ich gut und gerne als Mann tun, ohne dass ich unter dieser Situation leide. Für das allermeiste in meinem Leben ist mein Geschlecht bzw. meine aktuelle Geschlechtsrolle sowieso irrelevant und für den Rest komme ich mit einer Teilung ganz gut zurecht.

  • Mehr Selbstbewusstsein

Unter der Parole „Stolz statt Scham“ wollte ich meine immer noch vorhandene Befangenheit bearbeiten, die mich bei meinen Auftritten als Frau doch beeinträchtigt.

Ich bin mir meiner Wirkung auf die Umwelt trotz aller Erfahrungen nicht sicher und habe, zumindest in der Anfangsphase, aber auch wenn ich bemerke, dass Leute auf mich reagieren, ein schlechtes Gefühl. Angst, Unsicherheit und Scham sind dabei Aspekte.

Dabei habe ich es in der Hand bzw. besser gesagt im Kopf meine Besonderheit als etwas positives zu verstehen und mich nicht als Freak, sondern als „heavenly creature“ zu sehen, die Aufmerksamkeit lächelnd und positiv zur Kenntnis nimmt.

An diesem Punkt, an dem ich mir Durchbrüche erwartet hatte, habe ich sie noch nicht geschafft. Okay, ich habe auch nicht so professionell und zielgerichtet an mir gearbeitet, wie ich das theoretisch könnte. Vor allem weil ich hoffte, das würde mir mit viel Ausgehpraxis einfach so zufallen. Das ist aber nicht passiert, jedenfalls nicht im erhofften Maße. Was als weiteren Lernpunkt die tiefe Erkenntnis bringt (die jeder Depp durch schlichtes Nachdenken auch haben kann), dass sich Kopfprobleme nun mal nur im Kopf lösen lassen und nicht in der Außenwelt.

Immerhin hat sich die Routine doch so bemerkbar gemacht, dass ich mich im Lauf der Zeit sehr viel selbstverständlicher und mit gesteigertem Selbstbewusstsein durch Berlin bewegt habe.

  • Unbefangenheit

Auf Befragen von anderen habe ich bisher diese Berlinerfahrung immer als erste genannt. Wer nicht meine Situation, die von jahrelanger kompletter Heimlichkeit und immer noch bestehender Heimlichkeit gegenüber Kind, Nachbarn, vielen Freunden und Verwandten geprägt ist, aus eigenem Erleben kennt, wird wohl gar nicht nachvollziehen können, was für eine große Sache Unbefangenheit sein kann. Es war eine neue und tolle Erfahrung für mich, mit meiner weiblichen Seite so offen sein zu können.

Basis dieser Unbefangenheit war in diesem Fall natürlich mein Verhältnis zu Gabi. Sie hat mich wie selbstverständlich so sein lassen wie ich wollte, war weder von meiner männlichen noch von meiner weiblichen Seite irgendwie irritiert. Ich musste mir ihr gegenüber weder sprachliche noch verhaltensmäßige Vorsicht auferlegen.

Diese Selbstverständlichkeit hatte zur Folge, dass ich offen leben konnte. Ich hatte noch nie (klingt pathetisch, ist aber wirklich so!) die Möglichkeit, meine Sachen im Zimmer einfach rumliegen lassen zu können! Es war für mich einfach toll, nach der Arbeit in mein Zimmer zu kommen und dort deutlich sichtbar und selbstverständlich meine Frauenkleidung zu sehen. Der Schmuck stand auf dem Tischchen, Röcke und Handtasche hingen einträchtig mit dem Anzug am Kleiderständer unter dem auch offen die Schuhe standen.

Das Einschränken und Verstecken, die Ordnung und Aufmerksamkeit, die es erfordert, bestimmte Teile meines Lebens daheim weitgehend unsichtbar zu machen, brauchte ich in Berlin nicht. Ebensowenig wie die dauernde Selbstzensur, bestimmte Fakten nicht zu erwähnen.

Es war eine Freiheit, die mir die Last, die zu Hause dauernd auf mir liegt, erst richtig bewusst gemacht hat und die ich gerade deshalb, weil sie mich so unerwartet erfreut hat, unglaublich genossen habe.

Deshalb ist für mich die liebste Berlinerinnerung auch nicht ein Bild von mir in weiblichem Styling. Nein, es ist das Bild vom Kleiderständer, an dem meine Röcke einträchtig neben dem Anzug hängen!

© Jula 2006

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