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Meine Amsterdamreise

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Anlass und Vorbereitungen

In dem Augenblick, in dem zum ersten Mal andere Bookcrosser bei unserem monatlichen Bookcrossing-Meetup davon erzählten, dass die jährliche World Convention im April 2010 in Amsterdam stattfinden würde, wusste ich, dass ich da hin wollte. Als Frau natürlich, denn bei den Bookcrossern gibt es nur Jula und keinen Mann.

Also würde Jula an der Convention teilnehmen. Das war für mich ein aufregender Gedanke, denn es ist doch etwas anderes, als Frau in einer kleinen Runde zu agieren oder ob man als Frau auf einen internationalen Kongress geht, wo ein paar hundert Leute aus aller Welt zusammenkommen.

Die Convention fand von Freitag bis Sonntag statt. Aber bloß für knapp drei Tage den ganzen Aufwand? So nah ist Amsterdam nun auch nicht, und wenn ich schon mal da bin … Amsterdam ist eine tolle Stadt. Allein die Gelegenheit für ausführliche Einkaufsbummel im Land mit den durchschnittlich größten Frauen der Welt und dem, wie ich hoffte, entsprechend reichhaltigen Angebot an schicker Kleidung in meiner Größe rechtfertigte einen längeren Aufenthalt. Also hängte ich vorne und hinten jeweils etwas dran und plante die Hinreise schon für Donnerstag und die Rückreise für den Montagabend.

Als Verkehrsmittel wählte ich das Flugzeug. Natürlich hätte ich mit der Bahn fahren können. Es gibt eine recht gute Verbindung und im Vergleich ist eine Flugkarte doch noch ein wenig teurer als ein früh gekauftes Bahnticket. Aber ich wollte fliegen, endlich auch mal als Frau und nicht bloß als Mann mit meinen Frauensachen im Koffer.

Freundinnen von mir waren schon in weiblicher Version geflogen, also wusste ich, dass das grundsätzlich geht. Es geht auch in Zeiten von immer schärferen Sicherheitskontrollen und Diskussionen über Nacktscanner an Flughäfen. Das Problem ist im Grunde nur, dass man sich überwinden muss, den Flug auf den männlichen Namen zu buchen und dann als Frau den Flug zu machen. Das mit dem männlichen Namen muss sein, denn für das Einchecken braucht man einen gültigen Personalausweis. Bei der Flugbuchung gönnte ich mir zumindest die kleine Extravaganz, das Ticket für „Frau <Männername>“ zu buchen.

Abflug

Weil es meine erste Flugreise als Frau werden sollte, war ich sehr aufgeregt. Schon beim Packen war ich hektisch wie ein aufgescheuchtes Huhn. Zig Mal bin ich hin und her gerannt und habe trotzdem oder gerade deshalb nichts zusammenbekommen. Aber der anfangs zu groß scheinende Koffer füllte sich irgendwie dann doch.

Drei Stunden vor dem Abflug stand ich mit einem schweren Trolley und pochendem Herzen in der Halle des Flughafens. Dort hatte ich mich mit einer Bookcrossing-Freundin verabredet. Doris arbeitet am Checkin. Was das für ein Glück für mich war, wusste ich noch nicht. Wir tranken Kaffee und schwatzten ein wenig und verabredeten uns für den nächsten Tag, an dem Doris zur Convention nach Amsterdam kommen wollte.

Checkin-Schalter. Der erste Moment der Wahrheit. Mit ein paar Schmetterlingen im Bauch legte ich den männlichen Personalausweis auf den Tresen. Falls der Dame etwas auffiel, ließ sie es mich nicht spüren. Bis auf die Tatsache, dass ich in einem schicken Rock vor dem Schalter stand, war alles wie immer. Mein Flug sollte zunächst nach Frankfurt gehen und von dort nach kurzem Aufenthalt weiter nach Amsterdam. Also habe ich mein Gepäck gleich nach Amsterdam eingecheckt.

Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, es so gut wie geschafft zu haben. Bloß noch durch die Sicherheitskontrolle, die Bordkarte vorzeigen und die Reise wäre gestartet.

Zweieinhalb Stunden vor dem geplanten Abflug ahnte ich noch nicht, was auf mich zukam und so hatte ich viel Zeit. Es freute mich, dass meine Frau anrief und fragte, ob sie noch auf einen Kaffee in den Flughafen kommen sollte. Klar sollte sie. Während wir zusammensaßen, wurde mein Flug nach Frankfurt plötzlich als verspätet angezeigt.

Also ging ich zum Schalter, um zu fragen, ob ich meinen Anschlussflug noch bekomme. Die Antwort war verblüffend. Der Flug nach Frankfurt funktioniert, aber der Flug nach Amsterdam ist abgesagt! Nichts geht nach Amsterdam. Am Vorabend hatte ich die Berichte gesehen, dass wegen des Vulkanausbruches auf Island der Flugverkehr in Schottland ausfiel. Dass die Aschewolke bis Amsterdam kommen würde, hätte ich nie gedacht. In den Wochen davor hatte ich gebangt, dass meine Flugpremiere ausfallen könnte, weil die Lufthansa-Piloten für meinen Reisetermin einen Streik angekündigt hatten. Dann war der abgewendet und nun die Asche.

Die Dame am Lufthansaschalter war sehr hilfsbereit, doch sie hatte schlechte Nachrichten. Ich könne zwar nach Frankfurt, aber von dort müsse ich mit dem Zug weiter. Und das auch selbst bezahlen und auf spätere Erstattung hoffen, weil ein Vulkan höhere Gewalt ist, für die die Lufthansa nichts kann. Immerhin würde der abgesagte Flug Frankfurt – Amsterdam erstattet.

Während ich noch darauf wartete, dass mein Gepäck zurückkam, um nach Frankfurt umgebucht zu werden, sah ich auf die Anzeigetafel: KLM fliegt um 15 Uhr direkt nach Amsterdam – und kommt so wohl noch der Aschewolke zuvor. Eine schnelle Nachfrage bei Doris brachte Gewissheit: ja, die fliegen noch. Allerdings nehmen sie nur Passagiere mit, die Amsterdam als Zielflughafen haben. Schiphol wird geschlossen. Doris wusste auch, dass es in der Maschine noch freie Plätze gab. Wieder zurück bei der Lufthansa buchten die mich direkt um auf die KLM. Einchecken würde mich Doris und mir auch einen guten Platz geben.

Jetzt fehlte bloß noch mein Gepäck, das schon vor einer Weile bestellt worden war. Am Checkin der Lufthansa wartete ich auf den Koffer. Und wartete. Noch ein Anruf und einige Minuten später bog ein Mann mit einem Trolley um die Ecke. Leider war es nicht meiner. Der da sollte nach Peking! Zweiter Anlauf, wieder warten. Inzwischen hatte mir Doris schon eine Bordkarte für die KLM ausgedruckt. Aber was tue ich, wenn der Koffer nicht rechtzeitig herangeschafft würde? Jetzt rannte ich wieder nervös hin und her und diesmal hatte ich allen Grund dazu. Endlich kam der Mann wieder, diesmal mit dem richtigen Trolley. Ab zu Doris, alte Labels weg, neue dran und weg war er wieder.

Flugticket
Mein Ticket

So kompliziert hatte ich mir meine erste Flugreise als Frau nicht vorgestellt. Statt schlicht einzuchecken, hatte ich mittlerweile mit dem halben Lufthansa-Büro am Flughafen geredet und noch ein paar weitere Leute beschäftigt. Alle hatten sich wirklich bemüht mir zu helfen. Und was mir noch wichtiger war: niemand schien mich auch nur ansatzweise ungewöhnlich zu finden.

Auf zur Sicherheitskontrolle. Obwohl ich bei meiner Kleidung auf Metallfreiheit geachtet hatte, piepte es doch. Das hatte ich eigentlich vermeiden wollen und durch die Aktion zuvor war ich mit den Nerven ganz schön runter. Wie selbstverständlich wurde ich von einer Frau abgetastet. Es gab auch hier keine Irritation. Kaum war ich am Gate angekommen, wurde mein Flug auch schon aufgerufen. Nochmal den Perso zusammen mit der Bordkarte vorzeigen. Weiterhin stört sich niemand an meinem Ausweis oder meinem Aussehen.

Beim Einstieg ins Flugzeug sah ich meinen Koffer zur Beladung bereitliegen. Alles wird gut. Hoffte ich zumindest. Die Stewardessen der KLM, die nach Hause wollten, kreuzten ihre Finger, dass der Flug noch funktioniert.

Ergebnis der Aktion: ich war drei Stunden früher am Ziel als mit der Lufthansa.

Angekommen

In Amsterdam schien bei meiner Ankunft die Sonne. Keine Spur von einer Aschewolke war erkennbar. Doch ein Blick auf die Anzeigetafel zeigte, wie viel Glück ich gehabt hatte: Praktisch alle rein- und rausgehenden Flüge waren abgesagt. Puuh.

Die nächste Herausforderung nahte in Form des Holländischen Personennahverkehrssystems. Natürlich gibt es gute Verbindungen von Schiphol in die Stadt. Fast alle Automaten, an denen man eine Zugfahrkarte nach Amsterdam kaufen konnte, funktionierten mit einer Karte, die ich nicht hatte. Immerhin, nach einiger Suche fand ich einen, der Münzen nimmt. Der Zug stand schon bereit und ich wurde meinem Ziel entgegengefahren. Während die Amsterdamer Vorstädte an mir vorbeizogen, entspannte ich mich. Ich war trotz aller Widrigkeiten angekommen, die Sonne schien und es lagen schöne Tage vor mir.

Auf dem Fußweg vom Bahnhof zum Hotel bekam ich im Vorbeigehen Kokain angeboten. Als Mann ist mir das in vier Tagen Amsterdam kein einziges Mal passiert.

Das Hotel empfing mich mit einer guten Nachricht. Ich wurde auf den 4-Sterne-Teil des Hotels „upgegradet“. Gibt es dafür ein deutsches Verb? Ja klar: ich wurde hochgestuft. Das Zimmer war trotzdem klein, hatte aber eine Menge Luxus. Von einer Klimaanlage bis zu einer Minibar, die automatisch petzt, wenn man was rausnimmt, war alles vorhanden.

Ein Blick in den großen Spiegel zeigte mir, dass ich gar nicht so schlimm aussah, wie ich nach dem Anreiseabenteuer vermutet hätte. Also verzichtete ich auf Renovierungsmaßnahmen und machte mich auf eine erste Spaziertour. Das Hotel liegt direkt am Rembrandtsplein und nach einem Kaffe beginne ich meine Wanderung durch die Stadt.

Ein letztes Mal

Gegen 21 Uhr zog ich noch mal los. Noch hatte ich keine Ahnung, was ich wollte. Abendessen? In eine Bar, ein Cafe, einen Coffeeshop?

Irgendwann entschied ich mich gegen Essen und für einen Coffeeshop. Ich möchte ja sowieso weniger essen. Meinen letzten Joint hatte ich vor über 20 Jahren geraucht und der war mir gar nicht gut bekommen. An die Atemnot kann ich mich immer noch gut erinnern. Vielleicht konnte ich die schlechte Erfahrung ja durch eine gute ersetzen. Warum also nicht mal wieder probieren? Ich suchte mir einen netten, etwas vornehmer aussehenden Coffeeshop und bestellte mir einen Fruchtsaft und etwas später einen fertig gerollten Joint für 4,50 Euro.

Beim Rauchen merkte ich erst mal gar nichts außer einem trockenen Gefühl im Hals. Der Rauch halt. Nach der Hälfte ließ ich den Joint ausgehen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich schon, meine THC-Rezeptoren seien im Laufe der Zeit verloren gegangen. Da haute das Zeug voll rein. Leichte Atemnot, Schweißausbruch, Benommenheit, Zittern und ein wenig Übelkeit. Ich konnte mich kaum noch auf dem Barhocker halten. Der nette Weed-Dealer kümmerte sich rührend um mich. Er gab mir Wasser und Würfelzucker. Der Zucker sollte helfen, weil meine Reaktion angeblich auf einer Unterzuckerung beruhte. Ich lutschte den Zucker und wartete, dass es mir besser ging. Eine halbe Stunde später ging es mir tatsächlich etwas besser, aber die Kekse, die er mir noch hingelegt hatte, konnte ich nicht essen. Den Fruchtsaft kriegte ich auch nicht runter, sondern bloß etwas Wasser.

Eine weitere gute halbe Stunde später hing ich immer noch ziemlich angeschlagen auf dem Barhocker. Wahrscheinlich sah ich total verwüstet aus. Etwas später fühlte ich mich fit genug um aufzustehen und so wankte ich zum Hotel. Die frische Luft half zwar nicht viel, schadete aber auch nichts.

Insgesamt langte die Erfahrung für einen fetten Eintrag in der Kategorie „Das mache ich nie mehr!“

Freitag: Einkaufs- und Bummeltag

Das Fernsehen informierte mich nach dem Aufstehen, dass jetzt alle norddeutschen Flughäfen inclusive Frankfurt gesperrt waren. Ich hoffte sehr, dass sich das bis Montag wieder legen würde.

Appetit hatte ich immer noch keinen und ich fühlte mich leicht unfit. Vielleicht sollte man Weed als Diätmittel bewerben? Mehr aus Trotz als aus Hunger frühstückte ich in einem Straßencafe.

Weil mir von dem ausgedehnten Spaziergang am Vortag noch die Füße wehtaten, kaufte ich mir als erstes eine Tageskarte für den Nahverkehr und gondelte ein wenig mit der Tram herum.

Schon seit gestern suchte ich nach einem Nagelstudio. Für die Zeit in Amsterdam wünschte ich mir endlich mal schön lackierte Nägel. Nach dem Flug sollte das nämlich mein zweites „erstes Mal“ auf dieser Reise werden. Ich hatte mir nämlich noch nie die Fingernägel machen lassen. Ich selbst kriege das nie so richtig hin und weiß auch nicht, was ich eigentlich falsch mache. Wenn man etwas sucht, dann versteckt es sich! Deshalb dauerte es lange, bis ich nicht bloß ein Nagelstudio fand, sondern vor allem eines, wo ich sofort drankam. Nach einer guten dreiviertel Stunde erstrahlten meine Nägel in einem glatten Roserot. Und das kostete bloß 15 Euro. So viel war mir schon die Lektion im richtigen Umgang mit dem Nagellack wert.

Nagellack

Nun war es Zeit, die Kalverstraat gründlich zu erforschen. In dieser großen Fußgängerzone gab es alle möglichen Modegeschäfte von Ketten, die ich kannte, aber auch solche, die es in Deutschland nicht gibt. Natürlich wurde ich fündig. Neben zwei weißen Shirts kaufte ich ein tolles Kleid, das ich ergänzt um eine graue Leggins in den nächsten Tagen viel anhatte.

Die Convention

Um 17 Uhr traf ich dann Doris und Christine, die mit dem Zug aus Nürnberg angekommen waren. Unsere Nürnberger Delegation war damit komplett und es war Zeit, sich der Veranstaltung zuzuwenden.
Ein wenig mulmig war mir schon bei dem Gedanken an die Convention, weil ich dort nur wenige Leute kennen würde, denn ich bin anders als meine Begleiterinnen im Bookcrosser-Forum wenig aktiv und auf größeren Treffen war ich auch noch nicht. Mich würde wohl niemand dort kennen. Doch man würde mir ansehen, dass ich eine Besonderheit habe. Würde ich das zu spüren bekommen?

Zu dritt führen wir mit der U-Bahn raus nach Amstelveen, wo die Convention in einem Kultur- und Veranstaltungszentrum stattfand. Schon in der Bahn trafen wir andere Bookcrosser. Und auf dem Weg zum Tagungszentrum waren wir fast schon eine kleine Karawane.

Doris und Christine kennen viele und begrüßten gleich verschiedene Menschen. Insgesamt war es ein großes Hallo. Bookcrosser aus aller Welt waren da: Australien, USA; Skandinavier, viele Deutsche, Holländer natürlich auch. Ich lernte auch viele Leute kennen, denn Bookcrosser sind kommunikativ.

Spätestens beim Kennenlernspiel war ich sogar sehr gefragt, weil ich in eine der dort gesuchten Kategorien passte: ich habe ein Motorrad! Weniger schmeichelhaft fand ich, dass ich mehrfach gefragt wurde, ob ich Enkelkinder habe. Das war nämlich eine andere, sehr gesuchte Kategorie.

Falls ich Leute auf der Convention irritiert hatte, dann fiel es mir nicht auf. Dabei hatte ich versucht – ich gebe es zu – in der Menge Reaktionen auf mich einzufangen. Zwei von den Männern redeten von mir als „er“, aber es ging mir doch viel zu gut, um mich darüber richtig zu ärgern.

Samstag

Wieder frühstückte ich bei strahlendem Sonnenschein am Rembrandtsplein. Unvorstellbar, dass bei diesem Himmelblau keine Flugzeuge fliegen durften.

Zunächst begleitete ich Christine und Doris ein Stück bei ihrer Tour durch die Stadt. Gemeinsam bewunderten wir den Beginenhof, eine Oase in der lauten Stadt, der auch heute noch nur von Frauen bewohnt wird.

Dann zog ich alleine weiter, denn mich lockte das Tropenmuseum. Trotz der vielen Exotik war ich vom Konzept etwas enttäuscht. Viel Tropenidylle, aber wenig kritische Auseinandersetzung. Es war doch eher eine Sammlung zur Kolonialgeschichte der Niederlande als eine völkerkundliche Sammlung.

Danach besuchte ich noch den Botanischen Garten mit seinem tollen Gewächshaus. Das war ein schönes Erlebnis, das ich mit einem Kaffee und einem Stück Apfelkuchen im Bistro des Gartens krönte. Herrlich. Dieses in der Sonne sitzen und die Wärme auf der Haut spüren habe ich in dem langen Winter vermisst. Natürlich holte ich mir dabei Rallyestreifen, denn das Shirt hatte einen weiten Ausschnitt und ließ die BH-Träger frei. Na und? Ich konnte schließlich nicht auf Alles Rücksicht nehmen.

Bevor ich wieder mit den beiden anderen zusammentraf, besuchte ich noch den Buddhistischen Tempel im Chinesenviertel. Der Weg zurück zum Hotel führte mich direkt durch das Rotlichtviertel. Da fühlte ich mich in meinem Jeansmini plötzlich gar nicht mehr so wohl. Die Frauen hinter den Fenstern interessierten sich nicht für mich. Das war wohl eindeutig, dass mit mir kein Geschäft zu machen war. Aber die Männer auf der Straße starrten mich unverhohlen an. Ich wollte gar nicht wissen, was die von mir dachten.

Im Gewusel der Convention

Wir drei Nürnbergerinnen trafen uns dann zum Abendessen, bevor wir zur Abendveranstaltung der Convention wieder nach Amstelveen rausfuhren.
Als Ehrengast und Geschenkeverteiler trat zu meiner großen Überraschung „Sinterclaasâ“ auf, der holländische Nikolaus, der zudem der Patron von Amsterdam ist. Die Holländer stimmten sofort ein Weihnachtslied an und schmissen mit Pfeffernüssen, die plötzlich überall rumgereicht wurden.

Natürlich wurden auch Heather und Bruce geehrt, die Gründer und Betreiber von Bookcrossing.com. Dann stellte sich Dublin als Bewerberin für die Convention 2012 vor und wurde von uns als Veranstaltungsort gewählt – naja, es gab auch keine Alternative!

Nachdem uns die Washingtonerinnen für die Convention im nächsten Jahr („BC in DC!“ mit Lesezeichen, Münzen und Stickern bestochen hatten, war die Veranstaltung auch schon vorbei.
Wieder hatte ich viele Gespräche, aber mein „Genschaden“ war kein Thema. Eine Holländerin wollte wissen, woher ich meine Schuhe kriege, Schon am Vortag hätten ihr meine Ballerinas gefallen und jetzt hätte ich schon wieder so schöne an. Frauen mit großen Füßen haben doch überall die gleichen Probleme!

Beim Absackerdrink in der Hotelbar trafen wir dann noch eine Bookcrosserin. Es war eine Deutsche, die seit 20 Jahren in England lebt. Überhaupt scheinen wir Deutschen im Ausland sehr bookcrossing-affin zu sein. Eine Australierin erinnerte sich nach kurzem Zögern an ihre Muttersprache und die einzige Irin, die es trotz Vulkanausbruch nach Amsterdam geschafft hatte, war erst vor zwei Jahren aus Deutschland dorthin gezogen.

Sonntag

Selfie mit Komiker im Hintergrund


Der Sonntag begann wieder mit einem Frühstück auf dem sonnnigen Rembrandtsplein. Der Routineblick auf die Abflughinweise in der Hotellobby verhieß nichts Gutes: Nur wenige Flüge, keiner innerhalb Europas. Immerhin hatte BBC News gemeldet, dass die Lufthansa Testflüge macht. Sicherheitshalber bestellte ich mir beim Universum für Montagnachmittag meinen Rückflug. Universum, das ist deine Chance einer Skeptikerin etwas zu beweisen!

Gegen 11 Uhr trafen wir uns mit den anderen Bookcrossern in Bahnhofsnähe zum großen, abschließenden Release- Spaziergang. Diese typische Bookcrosser-Veranstaltung muss man sich so vorstellen, dass eine Gruppe von Leuten einen Spaziergang macht und dabei viele bei Bookcrossing.com registrierte Bücher in die freie Wildbahn entlässt. Ich wurde von einer Engländerin als „amateur“ geneckt, weil ich bloß eine kleine Tasche mit wenigen Büchern dabei hatte. Die meisten anderen schleppten riesige, prall gefüllte Taschen mit sich herum, die sich aber unterwegs schnell leerten. Plötzlich standen in Fenstern, auf Vorsprüngen, an Mauern, Hydranten, Brunnen und Skulpturen, aber auch in Fahrradkörben oder wo immer es möglich war, Bücher herum.

Ich war heilfroh, dass ich mir am Vortag Einlagen für die Schuhe gekauft hatte. Das Amsterdamer Pflaster ist auf Dauer sehr unbequem, wenn man – wie ich – in dünnsohligen Ballerinas unterwegs ist. Aber immerhin hatte ich mir das so ausgesucht und ich war trotz der brennenden Fußsohlen glücklich. Nichts hätte ich jetzt lieber angehabt, als mein neues weißes Top, den Jeansrock und meine Blümchenballerinas.

Das Programm endete an der Westerkerk in der Nähe des Anne-Frank-Hauses. Hier war genug Publikum für den abschließenden Flashmob.

Wir ca. 50 Bookcrosser liefen anweisungsgemäß möglichst unauffällig auf dem Platz herum. Auf einen Pfiff nahmen wir ein Buch und begannen darin zu lesen. Nach etwa einer Minute ertönte wieder ein Pfiff und wir gingen weiter, nicht ohne das Buch einem verdutzten Passanten in die Hand zu drücken oder es irgendwo abzulegen. Für mich war es das erste Mal, dass ich an einem Flashmob teilgenommen habe. Ich weiß zwar nicht, ob die Leute um uns herum überhaupt bemerkt hatten, was da vor sich ging, aber immerhin habe ich das Video später im Internet gefunden.

Dann war Zeit zum Abschiednehmen und ich bemerkte, was mir vorher nicht aufgefallen war, vielleicht weil ich es verdrängt hatte. Auch einige der Frauen, mit denen ich mich in den letzten Tagen gut unterhalten hatte, waren durch mich etwas verunsichert und wussten nicht, ob sie mich denn nun als Mann oder Frau einordnen sollten. Schade, denn ich dachte es wäre klar gewesen, wie ich gesehen werden wollte. Trotz dieser kleinen Verunsicherungen war es ein schöner, etwas rührseliger Abschied.

Etwas später verließen mich auch Doris und Christine, weil sie ihren Zug nach Hause erwischen mussten und ich war wieder allein in der großen Stadt.

Mit der Tram fuhr ich zum Museumsplein. Allerdings war der Sonnenschein viel verlockender als das Van-Gogh-Museum und statt Bilder zu bewundern setzte ich mich mit einem Cappuccino in die Sonne und genoss das Treiben in dem Park.

Die Toilette unter dem Cafe-Pavillon kostete 50 Cent und bot eine Überraschung. Als ich hineinging war ich zunächst verwirrt. Alle Kabinen waren zu und ich überlegte, welche davon wohl frei war und woran man das erkennt. Ich sah nur graue Türen. Dann bemerkte ich, dass eine Tür nicht wirklich grau war, sondern ich durch sie hindurch ins leere Innere sehen konnte! Aha! Etwas verunsichert ging ich hinein und verriegelte die Tür, die prompt undurchsichtig wurde … hoffentlich auch von außen. Dass an der Kabinenwand ein riesiger Spiegel angebracht ist, verstärkte das verstörende Raumgefühl zusätzlich, denn ein wenig konnte man doch noch durch die Tür hindurchsehen.

Am Abend wollte ich die Gelegenheit nutzen und das queere Amsterdam erkunden. Also fuhr ich zunächst wieder zur Westerkerk, wo es nicht nur ein großes Denkmal für die Homosexuellen gibt, sondern auch einen Infopoint.

Ein Blick auf die Karte zeigte mir, dass ich eigentlich bloß zurücklaufen musste, um an einigen Lokalen mit der Regenbogenflagge vorbeizukommen. In der Reguliersdwarsstraat war viel los und alle Lokale voll.

Schließlich war ich wieder fast am Hotel und suchte immer noch nach einem passenden Lokal. Aus einer Bar, in die ich nicht reinsehen konnte, drang gute Musik auf die Straße. Also riskierte ich einen Blick. Drin war eine bunte Mischung verschiedener Leute und zu meiner Freude sah ich sofort auch zwei Dragqueens. Also ging ich an den Tresen und bestellte erst mal ein Bierchen.

Während ich süffelte dämmerte mir langsam, dass irgendetwas ungewöhnlich war. Der Raum war geschmückt, viele der Gäste hatten komische Tiermasken aus Plastik und es lief eine Leuchtschrift, die sehr nach 50. Geburtstag aussah. Ich fragte den Barkeeper: Ja genau, der Inhaber der Bar feierte seinen 50, und deshalb musste ich auch nichts für mein Bier bezahlen. Dann kam eine der Dragqueens zu mir und sagte, ich solle doch bleiben, denn nachher gäbe es auch ein Live-Programm. Also blieb ich und es wurde ein netter Abend. Es tröstete mich, dass auch einige andere Gäste das mit der Feier nicht kapiert hatten und es erst mitbekamen, als sie bezahlen wollten. Der Liveauftritt kam nicht – wie ich erwartet hatte – von einer der Dragqueens, sondern von einem jungen Sänger, der eine wirklich geniale Stimme hatte. Er hieß Nigel und schien in Holland oder zumindest bei den Gästen dieser Bar sehr bekannt zu sein.

Bei einem kurzen, nächtlichen Internet-Check im Hotel stellte ich fest, dass das Universum meinen Heimflug voraussichtlich nicht liefern würde. Na gut, eine Nacht hatte es noch um zu beweisen, dass es was drauf hat.

Montag

Am nächsten Morgen war ich von der Liefertreue des Universums echt enttäuscht. Kein Flug! Schiphol sollte zwar um 14 Uhr wieder aufmachen, aber Frankfurt frühestens um 20 Uhr. Und das bedeutete, dass es keinen Heimflug für mich geben würde.
Bevor ich mich dem drohenden Stress stellte, ging ich erst mal in Ruhe Frühstücken und genoss ein letztes Mal, der Stadt beim aufwachen zuzusehen.

Meine Versuche, die Lufthansa in Holland zu erreichen waren sinnlos. Alle Leitungen waren belegt. Mit der Servicenummer in Deutschland war es nicht anders. Es war nicht mehr zu ignorieren: das Universum würde nicht liefern und ich musste mir einen anderen Weg nach Hause suchen.

Also fuhr ich mit der Tram zum Bahnhof. Beim Warten am Fahrkartenschalter erwischte ich doch noch jemanden bei der Hotline der Lufthansa. Meine Entscheidung war richtig, denn der Flug war annulliert. Die Dame am Schalter konnte mir kein Ticket nach Nürnberg verkaufen. Sie schickte mich an den Internationalen Schalter. Dort angekommen traf mich der Schlag. Kurz hinter mir wurde die Halle wegen Überfüllung geschlossen.

Die Wartezeit betrug, wie ich mit einem Ohr hörte, etwa vier Stunden. Es waren nur vier Schalter offen und nach zehn Minuten war noch nicht einer der Kunden dort mit einer Fahrkarte weggegangen. Vor mir waren hunderte von Leuten und ich war fast die letzte in der Schlange. So würde ich heute bestimmt nicht mehr nach Hause kommen und ein Hotelzimmer hatte ich nicht mehr.

Ich änderte den Plan: dann würde ich mir eben ein holländisches Ticket bis zu einer Stadt in der Nähe der deutschen Grenze kaufen. Also eines nach … äääh, tja? Wie heißen die Städte da noch mal? Eindhoven? Egal, die am Schalter würden es ja wohl wissen, welche Stadt an der Bahnlinie nach Köln liegt. Nach kurzer Wartezeit an den nationalen Schaltern probierte ich es einfach: Konnte mir die Dame vielleicht ein Ticket nach Köln verkaufen? Sie konnte! Aber der Computer verweigerte sich meiner Kreditkarte. Also zahlte ich den Fahrschein mit meinem letzten Bargeld.

Während ich mir vor dem Bahnhof noch eine halbe Stunde Wartezeit vertrieb, kam ich mit einem Arbeiter ins Gespräch. Die Leute in Amsterdam waren – wie ich finde – alle nett und sie konnten alle gut Englisch. Deutsch wollte ich nicht ausprobieren, weil ich wusste, dass es da in den Niederlanden immer noch gewisse Vorbehalte gibt. Wir redeten über mein Problem mit der internationalen Fahrkarte.

Als der Zug kam, war ich überrascht. Ich hatte einen Kampf um einen erträglichen Stehplatz erwartet, doch der Zug war so gut wie leer und ich bekam einen prima Platz allein an einem Vierertisch. Außerdem war es ein deutscher ICE. Als der Schaffner kam, verkaufte er mir zum Preis eines gebrauchten Kleinwagens ein Ticket bis nach Nürnberg und auch meine Kreditkarte wurde genommen.

Auf der Rückfahrt bekam ich durch die Telefoniererei eines Mitreisenden mit, was sie Aschewolke aus einem Rockfestival und der Europatournee einer Band gemacht hatte und das zwei Amerikaner ein Boot gemietet hatten, um nach Hause zu fahren.

Etwas später setzte sich mir gegenüber dann ein Typ mit seinem riesigen Schäferhund hin, der nicht nur wie ein alternativer Bauwagenbewohner aussah, sondern tatsächlich einer war. Er war etwas sauer, weil ihn der deutsche Zoll aus einem anderen Zug herausgeholt hatte, in dem er mit vier kleinen Haschischpflänzchen auf dem Weg nach Hause war. Ein stundenlanges Verhör und vor allem die Beschlagnahme hatten ihm die Laune gründlich versaut. Trotzdem unterhielten wir uns nett bis er in Köln ausstieg. Fast pünktlich kam der Zug in Nürnberg an und meine Amsterdamreise war beendet.

Danach

Am Dienstag war ich froh, dass ich noch Urlaub hatte. Der Vormittag verging mit Wäschewaschen und Aufräumen. So lange es ging, drückte ich mich darum, den roten Nagellack abzumachen, denn das war für mich das Symbol, das ich komplett wieder in meinem männlichen Leben zurück war. Es war ein wenig seltsam, dass ich plötzlich wieder ein Mann war und in dieser Rolle von allen Menschen akzeptiert wurde, nachdem ich so viel in weiblicher Rolle erlebt hatte.

Das komische Gefühl steigerte sich am nächsten Tag, also ich mit Hemd, Krawatte und Anzug wieder an der Arbeit war.

Besonders skurril finde ich es selbst jetzt noch, wenn ich Leuten (als Mann) von meiner Amsterdamreise erzähle und weiß, dass die mich dort natürlich in männlicher Version vorstellen.

Resümee

Im Nachhinein stellt sich mir immer die Frage, was ich von meinen Erlebnissen profitiere. Obwohl ich mittlerweile einiges an Erfahrungen als Frau in der Welt habe, war doch einiges neu oder besonders:

  • So viel Alltagsstress und damit auch so viel Notwendigkeit als Frau meinen Kram geregelt zu bekommen wie auf dieser Reise hatte ich noch nie. So viele Gespräche und Verhandlungen mit so vielen Leuten. Und nie hatte ich das Gefühl, dass meine Gegenüber irgendetwas Besonderes an mir gesehen hätten.
  • So viele nette Leute, die mich problemlos akzeptierten
  • Aber auch die Erkenntnis: ich muss offener zu mir stehen und das Offensichtliche weniger verdrängen, damit ich Leuten eventuelle Verunsicherungen nehme. Das ist eine schwierige Sache. Wo reden und wo schweigen? Tja, zumindest muss ich doch häufiger über mich reden. An dieser Stelle werde ich in Zukunft etwas experimentieren.
  • Es macht keinen Unterschied für mich Frau oder Mann zu sein, ich bin immer die gleiche Person … aber die Frau darf eindeutig die hübschere Kleidung tragen!

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© Jula 2010

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