Vortrag auf dem „CSD am See“, Konstanz 13. Juli 2013
Ich möchte mit einem Geständnis beginnen: ich bin ein wenig neidisch auf die Situation der Schwulen und Lesben in Deutschland.
Im Vergleich zu uns Transgendern haben die Homosexuellen es weit gebracht. Mit ihrer zunehmenden Akzeptanz in der Gesellschaft (von Entkriminalisierung über Sichtbarwerdung, Nicht-Diskriminierung bis hin zum noch nicht zu Ende geführten Kampf um Partnerschaft und Ehe um Gleichstellung in allen Belangen) haben sie dafür gesorgt, dass das Klima und das Verständnis in der Gesamtgesellschaft sich änderte. Es wurde in die Breite der Gesellschaft getragen, dass es viele Menschen gibt, die nicht dem heteronormativen Modell entsprechen. Sie haben erreicht, dass Homosexuelle inzwischen weitgehend ein normaler Teil der Vielfalt sind.
So weit sind wir Transgender mit unseren Anliegen noch lange nicht.
Unsere Lebenssituation in Deutschland ist heute immer noch davon geprägt, dass wir Exot/innen sind. Die glücklichen unter uns können ihr Anderssein verbergen. Diejenigen, denen dass nicht gelingt, haben mit vielfältigen Schwierigkeiten und Diskriminierungen zu kämpfen.
Die Gesellschaft denkt heutzutage so über Geschlecht, wie sie es in den letzten 200 Jahren von der Wissenschaft, allen voran der Biologie über Geschlecht gelernt hat. Danach gibt es die Menschen in zwei unterschiedlichen Formen: männlich oder weiblich. Beide Gruppen sind strikt getrennt und über ihren Körper definiert.
Wir Transgender werden als krankhafte Abweichung von dieser Norm pathologisiert. Ziel der therapeutischen und rechtlichen Maßnahmen war (und ist auch heute immer noch) eine möglichst reibungsarme Integration der betroffenen Individuen in das herrschende Zweigeschlechtermodell.
Erst 2011 hat das Bundesverfassungsgericht mit der vom TSG vorgeschriebenen Zwangskastration vor einer Personenstandsänderung Schluss gemacht und die deutsche Situation an das europäische und internationale Menschenrechtsverständnis angepasst.
Heute stehen wir in Deutschland an einer Stelle, wo das TSG nicht mehr als eine ausgebombte Ruine ist. Auch die fangen Intersexuellen an, für ihre Forderungen nach Aufweichung des Geschlechtsbegriffes Gehör zu finden.
Die Durchlöcherung des TSG hat Präzendenzfälle geschaffen, die einerseits eine Entkoppelung des Personenstandes vom körperlichen Geschlecht belegen und andererseits hergebrachte Institutionen wie die heterosexuelle Ehe logisch unterminieren.
Doch scheint das alles in Deutschland noch kein Anlass zu sein, über grundlegende Änderungen nachzudenken.
Was muss sich ändern?
Ein gutes Leben werden wir Transgender erst dann haben, wenn wir nicht mehr leugnen müssen, wie wir sind. Wenn wir uns nicht mehr als krankhafte Abweichungen einer rigiden Geschlechternorm verstecken müssen.
Dazu braucht es mehr als nur sozialrechtliche Normen, die die Bezahlung von medizin. Anpassungsmaßnahmen regeln.
Änderung auf Ebene der Gesellschaft: Flexibilisierung des Zweigeschlechtermodells
Wir brauchen ein flexibleres Modell, das sowohl die strikte Bindung der sozialen Geschlechtsrolle an die körperliche Beschaffenheit überwindet als auch akzeptiert, dass es Zwischentöne gibt, die eben nicht glatt der einen oder anderen Kategorie zugeordnet werden können.
Änderung auf Ebene des Staates: Anpassung der einfachen Gesetze an die Geschlechtssicht des Verfassungsrechtes
Wie im Verfassungsrecht müssen auch die einfachen Gesetze sich daran orientieren, dass nicht allein der Körper das Geschlecht definiert. Sondern dass es daneben auch die Identität gibt, die die Geschlechtszugehörigkeit definiert. Manchmal auch in Abweichung von den körperlichen Merkmalen. Diese Sicht muss konsequent in den Gesetzen übernommen werden. PersonenstandsG, PassG, EheG, GleichstellungsG, AGG und andere mehr müssen sich dafür öffnen, dass Geschlecht sich aus der Identität ergibt und nicht zwangsläufig aus dem Körper. Und der Staat muss die daraus folgenden Lebenskonzepte akzeptieren. Die eben nicht zwangsläufig so aus, dass man ein Geschlecht lebenslang lebt, sondern dass sich das ändern kann, auch situativ oder auch dass sich Menschen der binären Einordnung komplett entziehen.
Anderungen auf persönlicher Ebene: Keine Selbstpathologisierung mehr
Schließlich müssen aber auch wir Transgender selbst etwas dazu tun. Vor allem und zunächst aber müssen wir Transgender aufhören, uns als individuelle Ausreißer aus seiner universell gültigen Norm zu verstehen. Wir sind nicht krank, sondern wir sind der vielfache, individuelle Beleg dafür, dass die Norm nicht stimmt. Nichts ist “normal” in der Natur, alles ist fließend. Nicht wir sind falsch, sondern die binären Normen, denen wir uns unterwerfen müssen.
Danke für eure Aufmerksamkeit.
© Jula 2013