Der Abbé de Choisy in Frauenkleidern, Memoiren
Der Originaltitel lautet: Les Mémoires de L’Abbé de Choisy habillé en femme
Zum letzten Mal ist der Text 1969 auf deutsch veröffentlicht worden. Als kleines Büchlein im Insel-Verlag.
Was findet man darin? De Choisy sagt es gleich zu Anfang: „Sie befehlen mir, Madame, die Geschichte meines Lebens aufzuschreiben; aber wahrlich, wo denken Sie hin? Sie werden mit Sicherheit weder eroberte Städte noch gewonnene Schlachten zu sehen bekommen; Politik wird hier so wenig ihren Glanz verbreiten wie der Krieg. Bagatellen, kleine Vergnügungen, Kindereien, mehr dürfen Sie nicht erwarten; ein glückliches Naturell, süße Neigungen, ein Geist ohne Düsterkeit, Freude überall, der Wunsch zu gefallen, heftige Leidenschaften, Schwächen eines Mannes, Tugenden des schönen Geschlechtes: Sie werden sich schämen beim Lesen, und wie wird es mir erst gehen beim Schreiben?“
Ich möchte die Lektüre dieses Buches zum Anlass nehmen, ein wenig über den extravaganten Abbé de Choisy zu erzählen.
Was mich daran am meisten verblüfft hat, war neben der fast schon dreisten Selbstverständlichkeit, mit der sich Choisy als Frau kleidet und öffentlich auftritt, die Reaktion seiner Umwelt.
Niemand scheint groß etwas dabei zu finden! Er wird weder von der Kirche getadelt noch von anderen. Alle scheinen ihn zu mögen! Trotz oder vielleicht sogar wegen seiner Besonderheit.
Die Jugend
Francois-Timoléon de Choisy wurde am 16. August 1644 in Paris als jüngster Spross einer vornehmen Familie geboren.
Der Vater von Choisy, ein hoher Beamter verstarb früh. Seine Mutter erzog ihn von jungen Jahren an „en demoiselle“. Dies könnte eventuell nicht ohne Hintergedanken geschehen sein, denn sie war Hofdame Ludwigs, des XIV. Und Francois Timoléon war der Spielgefährte von dessen Bruder, Philippe d’Orléans. Der wiederum kleidete sich häufig und gern als Mädchen, was Choisys Mutter wohl bewog, ihr Söhnchen ebenfalls in Mädchenkleider zu stecken.
Dass diese frühkindliche Travestie allerdings dazu führte, dass Choisy wie es im Nachwort heißt „die Gewohnheiten und Gelüste eines Transvestiten“ annahm, wage ich zu bezweifeln. Da braucht es schon mehr als eine ehrgeizige Mutter.
Mit 18 Jahren wurde er, weil für die geistliche Laufbahn bestimmt, Abbè der Abtei Saint-Seine in Burgund.
Im Alter von etwa 20 Jahren ging Choisy einige Monate lang nach Bordeaux, um dort in weiblicher Rolle Theater zu spielen.
Nach dem Tod seiner Mutter, im Jahr 1666, hat er auf Grund der Erbschaft die finanziellen Mittel um wie er es gerne nennt „die Schöne spielen“ zu können.
Choisy als Madame de Sancy
„Ich kaufte mir zu diesem Zweck ein Haus im Faubourg Saint-Marceau, mitten unter dem Bürgertum und dem Volk, um mich ganz nach Laune kleiden zu können, unter Leuten, die an meinem Tun und Treiben nichts würden auszusetzen haben.“
Das war 1672!!!
Er gewöhnt die Leute dort nach und nach an eine immer weiblichere Kleidung. Schritt für Schritt verwandelt er das Habit eines Abbé in die zeitgenössische Damenkleidung. Mit Erfolg!
Eines Abends beim Souper spielt sich folgende Szene ab: „Von nun an“, sagte Madame d’Usson, „werde ich sie Madame nennen.“
Sie drehte mich mehrmals vor Monsieur le Curé im Kreise herum und sagte zu ihm:
„Ist dies nicht eine schöne Dame?“
„Das ist wahr“, antwortete er, „aber sie ist verkleidet.“
„Nein, Monsieur“, sagte ich, „nein; künftig werde ich mich nicht mehr anders anziehen; ich trage nur schwarze, weiß gefütterte Gewänder oder weiße, schwarz gefütterte; man wird mir nichts vorzuwerfen haben. Die Damen raten mir, wie Sie sehen, zu meiner Kleidung und versichern, dass sie mir nicht schlecht stehe; ich möchte Ihnen übrigens sagen, dass ich vor zwei Tagen bei Madame de la Marquise de Noailles soupierte; ihr Herr Schwager kam zu Besuch und lobte meine Kleidung außerordentlich, und in seiner Anwesenheit nannte mich die ganze Gesellschaft Madame.“
„Gut!“ sagte Monsieur le Curé, „solcher Autorität füge ich mich und gestehe, Madame, dass Sie sehr gut aussehen.“
…
Von da an besuchte ich ihn und zögerte nicht mehr, überall hin im Morgenrock zu gehen, und alle Welt gewöhnte sich daran.“
Auf die Frage, ob er jemals einem Menschen begegnet sei, der sein Verhalten verurteilt hätte, erzählt Choisy: „Aber ja, Monsieur, das bin ich; ich hatte einen Onkel namens M…, der Staatsrat war und der, als er erfuhr, dass ich mich als Frau kleidete, eines morgens zu mir kam, um mich tüchtig auszuschimpfen; ich war bei meiner Toilette und hatte gerade mein Hemd angezogen; ich erhob mich. „Nein“, sagte er, „setzen Sie sich und ziehen Sie sich an.“ Sogleich setzte er sich mir gegenüber. „Da Sie es mir befehlen, lieber Onkel“, antwortete ich, „gehorche ich Ihnen, Es ist elf Uhr, es ist Zeit zur Messe.“ Man zog mir ein auf dem Rücken zu schnürendes Mieder an, ein Gewand aus schwarzem, geschnittenem Samt, einen ebensolchen Rock mit einem gewöhnlichen Unterrock darunter, eine Halsbinde aus Musselin und ein schwarzgoldenes Brusttuch; ich hatte bis dahin meine Nachthaube aufbehalten; nun setzte ich eine sehr gelockte und sehr gepuderte Perücke auf. Der gute Mann sagte kein Wort. „Ich werde gleich fertig sein, lieber Onkel“, sagte ich zu ihm; „ich muss nur noch meine Ohrgehänge anlegen und fünf oder sechs Schönheitspflästerchen“, was ich eben in dem Augenblick tat. „Nach dem, was ich sehe“, sagte er, „muss ich dich meine Nichte nennen. Wirklich, Du bist überaus hübsch.“ Ich fiel ihm um den Hals und küsste ihn zwei oder dreimal; er machte mir keine anderen Vorhaltungen, ließ mich in seine Kutsche einsteigen und führte mich in die Messe und dann zum Diner bei sich zu Hause.“
In der Kirche darf Choisy eines Tages die Frauen vorbehaltenen Aufgaben übernehmen, das geweihte Brot darzureichen und die Kollekte zu sammeln. Er tat das den ganzen Tag lang. Und genoss es! „Gewiss ist, das viele von außerhalb der Gemeinde kamen, da sie wussten, ich würde sammeln, und ich gestehe, dass ich dies am Abend beim Ave besonders genoss.“
Choisy präsentierte sich den Gläubigen mit dem größten Vergnügen. Und das Ergebnis war lobenswert: „Ich will mich nicht rühmen, aber nie hat man so viel Geld in Saint-Médard zusammenbekommen.“
Auch kleinere berufliche Konflikte konnten ihn nicht aus der Bahn werfen. Der Kardinal, der sein Vorgesetzter war und dem sein Treiben hinterbracht worden war, wurde von ihm trickreich und charmant eingewickelt, ohne dass er seine Neigung zu Frauenkleidung dabei verleugnete.
Als sich Choisy in die Nichte einer Nachbarin verliebt, schafft er es nicht nur, dass das Mädchen bei ihm schlafen darf, er verwandelt sie nach und nach in einen Jungen, mit dem er sich dann in einer Schauveranstaltung „verheiraten“ lässt. Unnötig zu sagen, wer da die Braut war. In der Folge präsentieren sich die beiden sowohl privat als auch in der Öffentlichkeit als Ehepaar, jedoch ist alles bloß Spiel. Die Geschichte endet, als sich Choisys „Monsieur Maulny“ wirklich mit einem Mann verheiratet und wieder Frau wird. Das Ende der Episode schildert Choisy spröde: „Ich stimmte der Heirat zu, ich schickte ihr alle ihre Briefe zurück und machte ihr viele Geschenke; aber sobald die Hochzeit gefeiert war, sah ich sie nicht mehr; ich habe verheiratete Frauen nie leiden können.“
Choisy wird zur Comtesse des Barres
Einige Jahre später lebt er unter der erfundenen Identität der Comtesse des Barres, als angebliche Witwe in Bourges. „… so beschloss ich, drei oder vier Jahre in einer Provinz zu leben, wo man mich nicht kannte und ich die Schöne spielen könnte, solange es mir gefiel.“
Er kauft dort ein kleines Schloss und lebt einige Zeit als adelige Witwe. Wobei diese natürlich schnell in die örtliche High Society aufgenommen wird. Mütter drängen ihr ihre Töchter geradezu auf, damit sie bei ihr wohnen, natürlich in ihrem Bett schlafen und von der Comtesse bzw. ihrer Dienerin die Schauspiel- und Frisierkunst lernen können.
Eine junge Schauspielerin, die Choisy dort kennenlernt und unter seine Fittiche nimmt, wird aber wohl doch gemerkt haben, dass die Comtesse ein Mann ist, denn sie wurde von ihm schwanger. Später verheiratet er sie mit einem Kollegen. Das Kind versorgt er bis hin zu einer standesgemäßen Heirat.
Als er die Bourges-Episode beendet, redet seine Familie ein ernstes Wort mit ihm. Mit fatalen Folgen: “ Meine Verwandten missbilligten, dass ich immer noch eine Rolle spielte, die man meiner großen Jugend verziehen hatte; sie kamen zu mir und sprachen so ernsthaft mir mir, dass ich beschloss, die ganze Tändelei aufzugeben, und dafür reiste ich nun wirklich nach Italien. Eine Leidenschaft verjagt die andere; ich begann in Venedig zu spielen, ich gewann viel, aber ich habe es reichlich zurückzahlen müssen.
Die Spielwut hat mich gepackt und mein Leben in Unruhe gebracht. Hätte ich nur immer die Schöne gespielt, selbst wenn ich hässlich gewesen wäre! Lächerlichkeit ist besser als Armut.“
Choisy wird ein (fast!) normaler Priester
Nachdem Choisy seinen gesamten Reichtum seiner Spielleidenschaft geopfert hatte, wurde er in späteren Jahren doch noch ein respektabler Priester. 1685, während einer Reise nach Siam entdeckte er den Glauben für sich. Allerdings blieb er bei einer sehr extravaganten Interpretation geistlicher Kleidung. Er schrieb eine große Kirchengeschichte, wurde Dekan der Kathedrale von Bayeux und sogar Mitglied der Académie Francaise.
Ein Zeitgenosse beschreibt ihn im Alter: „Vielleicht würde es für die Würdigung seiner Kirchenannalen genügen, sich einen Augenblick lang diesen siebzigjährigen Priester vorzustellen, in einem Gewand, das so wenig für sein Alter und seinen Stand gemacht ist, arbeitend an der Geschichte der Märtyrer und der Einsiedler und mit derselben Hand sich weltlichen Putz anlegend, mit der er sie Beschlüsse des Konzils niederschrieb.“
Er starb im Alter von 80 Jahren am 2. Oktober 1724
Choisy über seine Leidenschaft
Abschließend möchte ich den Abbé nochmals selbst zu Wort kommen lassen. „Ich habe überlegt, woher mir eine so bizarre Lust kommt, und dies ist das Ergebnis: es ist das Wesen Gottes, geliebt und angebetet zu werden; der Mensch trachtet, soweit es ihm seine Schwäche erlaubt, nach demselben Ziel; da es nun die Schönheit ist, die Liebe erregt, und da sie gewöhnlich das Erbteil der Frauen ist, versuchen die Männer, wenn es vorkommt, dass sie ein wenig Schönheit, die Liebe erwecken könnte, besitzen oder zu besitzen glauben, diese durch weiblichen Putz, der sehr vorteilhaft ist, zu vergrößern. Sie fühlen dann die unaussprechliche Freude, geliebt zu werden. Ich habe mehrmals das, was ich sage, in süßer Erfahrung selbst empfunden, wenn ich mit einem schönen Morgenrock, Diamanten und Schönheitspflästerchen auf Bällen oder im Theater war und ganz nahe habe sagen hören: „Das ist wirklich eine schöne Frau“, dann habe ich ein Vergnügen empfunden, das mit nichts anderem verglichen werden kann, so groß ist es. Ehrgeiz, Reichtum, selbst die Liebe kommen ihm nicht gleich, denn wir lieben uns selbst immer mehr, als wir die anderen lieben.“
Alle Zitate nach: Der Abbé de Choisy in Frauenkleidern, Memoiren, Insel Verlag 1969
- Die Geschichte der Chevaliere d’Eon
- Eine noch viel ältere Crossdressing-Geschichte: Ulrich v. Liechtenstein
© Jula 2006