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Als Frau wahrgenommen werden

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Kennst du einen Crossdresser?
Wirklich nicht?
Bist du sicher?

Nun, das kann daran liegen, dass es so wenige von uns gibt. Es kann daran liegen, dass wir so unauffällige Frauen sein können, dass niemand den genetischen Mann ahnt.

Es kann aber auch daran liegen, dass wir uns so gut verstecken.

Ich selbst habe mich auch viele Jahre vor aller Welt versteckt. Doch mittlerweile hat sich meine Meinung, in welchem Maße ich meine weibliche Seite anderen Menschen zeigen kann und will, drastisch geändert.

Nach meinem eigenen Erleben gibt es im Leben von Crossdressern zwei Phasen, die im Lauf der Zeit durchlebt werden. Während der ersten Phase bleibt der Crossdresser für sich allein und versucht und erträgt eine Menge, um nicht als Crossdresser erkannt zu werden. Erst später tritt er dann in eine 2. Phase ein, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Crossdresser offensiv, manchmal sogar allzu naiv offenherzig seine Besonderheit offenbart.

Nicht alle erreichen Phase 2, vielleicht nicht einmal die meisten, aber doch eine bemerkenswerte Anzahl. Der nach meinem Wissen häufigste Zeitpunkt für den Wechsel der beiden Phasen liegt zwischen 35 und 45 Jahren, doch das ist sicher keine feste Regel. Ich kenne Crossdresser, die schon in jungen Jahren zu dem stehen, was sie sind, aber auch „Spätberufene“.

Ich spreche hier dezidiert von Crossdressern und nicht von Transsexuellen, die meist schon sehr früh und entschieden ihr Recht auf Weiblichkeit einfordern.

Phase 1: Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein – Der unsichtbare Crossdresser

Fantasien vom Mädchen-Sein hatte ich eigentlich schon so lange, wie ich bewusst denken konnte. Damit verbunden war die feste Überzeugung, dass das etwas ist, womit ich für immer allein bleiben muss. Ich war, wie viele andere Transgender, die ich kenne, davon überzeugt, etwas zu tun, das auf komplettes Unverständnis in Familie, Bekanntenkreis und Gesellschaft stößt.

Entsprechend wurde das Versteckspiel zum ständigen Begleiter in meinem Leben. Ich habe mich vor allen versteckt: Eltern, Freunden, Fremden, Partnerin, Kind… sogar vor mir selbst. Lange Zeit war ich nicht mal in der Lage, ernsthaft das Wort „Transvestit“ zu mir selbst zu sagen, geschweige denn, es vor jemandem anderen zuzugeben, dass ich so einer bin. Was habe ich nicht alles getan, um als ganz normaler Mann zu gelten und vor allem: was habe ich um des Verstecktbleiben willens alles NICHT getan! Ich habe meine Besonderheit verdrängt mit aller Kraft, die ich hatte, nur um festzustellen, dass ich mich nicht ändern konnte.

Das alles, um vor Menschen, die mich nicht kannten und Menschen, die mich gern hatten, den Schein einer männlichen Normalität zu wahren, die es nie gab. Ich möchte schwören, da sind nicht nur Hunderte, sondern Tausende von „ganz normalen“ Männern, die sich ebenso verstecken und quälen, wie ich das getan habe. Es ist natürlich immer eine tückische Falle zu vermuten, dass ein Problem das man selbst hat, auch ganz viele andere haben. Und es ist schwierig den Umfang eines Phänomens zu schätzen, dessen Protagonisten sich verstecken. Doch es gibt Hinweise. Immer wieder werden Berichte (z.B. aus Notfallaufnahmen von Krankenhäusern) kolportiert, die darauf schließen lassen, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Männern eindeutig feminine Unterwäsche bevorzugt.

Wie dem auch sei. Die kürzer oder länger, bei vielen eventuell das ganze Leben andauernde der Phase des Versteckens vor der Welt scheint ein verbreitetes Phänomen in Transgenderkreisen zu sein. Diejenigen, die eine Partnerin oder sogar Kinder haben, haben noch die zusätzliche Option, auch innerhalb der eigenen Wohnung den „schönen Schein“ aufrechtzuerhalten. Kinder sind (aus psychologischen Gründen) tendenziell leichter zu betrügen, aber auch clevere Ehefrauen kann man mit genügend Disziplin und Einfallsreichtum jahrzehntelang über die eigenen Bedürfnisse hinwegtäuschen.

Das alles kostet natürlich eine Unmenge an Energie und braucht folglich eine starke Motivation. Meine großen Motivatoren waren Angst und Scham. Ich habe mich sehr lange für das geschämt, was ich bin. Doch meine Haupttriebkraft zum Versteckspiel war die Angst: die Angst vor dem Verlust meines bürgerlichen Lebens, meiner Frau, meiner Freunde.

Phase 2: Augen auf, ich komme! – Der sichtbare Crossdresser

Einige kommen irgendwann in eine neue Phase, in der sie plötzlich das Gegenteil von dem tun, was ich gerade beschrieben habe. Sie zeigen sich, gehen nach draußen. Sie wollen gesehen und wahrgenommen werden. Manche als schrille Paradiesvögel, aber viele auch als ganz normale, unauffällige Frauen.

Bei mir hat sich der Schwenk vor ein paar Jahren vollzogen. An die Stelle der Angst trat mehr und mehr der Wunsch nach Akzeptanz. Ich kann nicht sagen, woran es lag. Teils fehlte mir wahrscheinlich die Kraft, so weiter zu machen wie bisher, doch das erklärt nicht, warum es mir wichtiger und wichtiger wurde auch von anderen mit meiner weiblichen Seite wahrgenommen zu werden. Mag sein, es war die Erkenntnis, dass es mir passieren könnte zu sterben, ohne die Dinge, die mir in meinem Leben als das erstrebenswerteste erschienen und die für Millionen Menschen (allerdings Frauen) alltäglich waren, jemals getan zu haben. Wie dem auch sei, ich bemerke an mir mittlerweile, dass es mir inzwischen ebenso wichtig ist, als Frau oder zumindest partiell weiblich wahrgenommen zu werden, wie es mir früher wichtig war, genau das zu vertuschen. 

Wenn ich mit anderen Trannies zusammen bin, ob virtuell oder auch in der Realität, dann geben wir uns gegenseitig das Gefühl der wohlwollenden Wahrnehmung. Wir loben uns für unser gutes Aussehen, wir sprechen uns mit unseren weiblichen Namen an, wir erlauben uns dezidiert weibliche Attitüden. Ein prima Geschäft auf Gegenseitigkeit, doch leider nicht das „wahre Leben“.

Wenn ich mich in weiblichem Styling in die Öffentlichkeit begebe, dann formuliere ich damit (nonverbal) eine bestimmte Erwartungshaltung. Ich erwarte nämlich, dass ich entsprechend meiner Präsentation als Frau behandelt werde. Bzw. zumindest erwarte ich, dass ich als Mensch gesehen und behandelt werde.

Dazu gehört, im Idealfall dass ich mit „Frau … “ angesprochen werden möchte, dass ich selbstverständlich die Damentoiletten benutze.
Eventuell werden mir sogar typisch weibliche Vorzüge, wie Türenöffnen und „in den Mantel helfen“ gewährt. Das ist aber eigentlich schon eine Dreingabe!

Auf einer Ebene darunter geht es darum, einfach bloß als Mensch akzeptiert und ohne großes Getue einfach „normal“ behandelt zu werden. Also keine besondere Aufmerksamkeit hervorzurufen und so wie man gerade aussieht akzeptiert zu werden.

Diese Erwartung wird zu 98% (geschätzt! Der genaue Wert ist egal) erfüllt. Bis auf Besoffene und Gruppen von Teenagern, überschreitet niemand die Grenzen des Anstands und redet mich „schräg“ an. Die vielen Leute, die an mir vorbeigehen und mich kurz und ohne weitere Reaktion anschauen, sind Quelle meines Hochgefühls: Juchu! Ich kann eine Frau sein!

Die meiste Zeit jedoch wirke ich oberflächlich betrachtet wie das, was ich immer vorgegeben habe zu sein, nämlich wie ein ganz normaler Mann. Wie gesagt: oberflächlich betrachtet. Es gäbe so viel an mir für aufmerksame Beobachter zu bemerken und ich wünsche mir manchmal, dass es tatsächlich solche Beobachter gäbe. Über Schuhe, Hosen, Shirts, Fuß- und Fingernägel bis hin zum Lippenstift gibt es viele kleine Äußerlichkeiten zu entdecken, von meinem Verhalten, meinen Interessen und Ansichten ganz zu schweigen.

Ich verstelle mich nicht mehr (na ja, jedenfalls nicht mehr so bemüht) … doch niemand scheint diese femininen Kleinigkeiten an mir zu bemerken. Vielleicht stimmt das aber auch gar nicht und meine Weiblichkeit wird bemerkt, aber niemandem ist das wichtig genug, um mir zurückzumelden, dass man es bemerkt hat.

In Phase 1 hätte es mich enorm beruhigt, wenn ich gewusst hätte, wie weit man gehen kann, ohne dass es jemanden schert. Aber nun, in Phase 2, bin ich doch etwas enttäuscht. Jetzt wo die Frau sich nach ewigen Jahren in die Öffentlichkeit wagt, wird sie schnöde ignoriert. Ist es vielleicht das, was einige von uns nach langen Jahren des unauffälligen Crossdressing zu Transsexuellen „macht“? Der Wunsch, dass die innere Frau endlich nicht mehr ignoriert werden kann, von niemandem mehr? Das man einen rechtlich garantierten Anspruch darauf hat, als Frau akzeptiert zu werden? (Ohohoh, gefährliches Eis…..schnell zurück zum eigentlichen Thema).

Ich habe jetzt zunächst nur von mir gesprochen. Ich meine aber, diese Tendenz zur Außendarstellung, den Wunsch endlich (auch) als Frau gesehen und akzeptiert zu werden, bei anderen ebenso wahrgenommen zu haben. Statt mit dem zufrieden zu sein, was man für sich selbst hat und weiß, strebt man zum Kontakt und damit auch möglichen Konflikt mit der Außenwelt. Und so wie vorher jeder kleine Riss in der perfekten Tarnung die Angst auf den Plan rief, führt jetzt das ständige Übersehen zu Verärgerung, weil niemand sich die Mühe macht, genauer hinzusehen.

Das Bedürfnis ist eigentlich trivial: ich möchte in den anderen Menschen das Bild wiedererkennen, das ich selbst von mir habe. Und da ich mich selbst zu einem guten Teil als weiblich sehe, möchte ich mich auch so von anderen gesehen fühlen.

In der Folge tue ich inzwischen mehr und mehr das, was ich mir früher nie vorstellen konnte: ich sage anderen Leuten, in erster Linie guten Bekannten, denen ich absolut vertraue, was sie an mir bisher übersehen haben, aber wissen sollten, wenn sie mich verstehen wollen. Dahinter steht vor allem eine schlichte Erkenntnis: wenn ich mich nicht mehr schäme für das was und wie ich bin, warum soll ich es dann nicht vertrauten Menschen sagen und zeigen können?!

Was bleibt?

Früher habe ich mich von anderen Menschen abhängig gemacht und mich deshalb eingeschränkt.

Jetzt schränke ich mich nicht mehr (so stark) ein und würde gerne wahrgenommen werden, aber das passiert nicht.

Hätte ich früher gewusst, was ich heute weiß….ich hätte mir eine Menge Stress beim Versteckspiel gespart.

Querverweise

© Jula 2006

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