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Berlinurlaub 2007

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Zusammen ist man weniger allein

Es ist einer der frühesten und beständigsten Träume während meiner Beziehung zu meiner Frau: mit ihr gemeinsam als Frau in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein.

Die Realisierung erwies sich auch dann noch als schwierig, als meine Frau schon lange wusste, dass ich in weiblicher Version draußen unterwegs war.

Ja, es gab einige zaghafte Versuche, aber die waren sehr selten und häufig auch nicht unproblematisch, weil es für meine Frau eine sehr verunsichernde Situation war, plötzlich in der Öffentlichkeit neben einer anderen Frau (und einer auffälligen noch dazu) gesehen zu werden. Es war anstrengend und verängstigend für sie und deshalb häufig auch für mich stark verunsichernd.

Nun hatte ich diesen Urlaub in Berlin geplant. Ich war subjektiv in der letzten Zeit zu wenig als Frau in der Öffentlichkeit gewesen und wollte deshalb unbedingt diese Zeit in meinem Sommerurlaub unterbringen. Zu meiner Überraschung und Freude wollte Martina mitkommen.

Natürlich freute ich mich, denn ich laufe zwar auch alleine als Frau durch die Welt, aber es macht nun mal mehr Spaß, wenn man seine Erlebnisse mit einem Menschen teilen kann, mit dem man sich gut versteht. Zu zweit ist es einfach schöner.Ein wenig Angst hatte ich aber schon. Mein letzter Versuch davor, mit Martina als Frau etwas zu unternehmen, hatte einen für mich ziemlich frustrierenden Verlauf genommen. Und nun gleich vier Tage? Würde Martina das durchhalten? Würde ich im Zweifel genug Selbstbewusstsein nicht nur für mich, sondern auch für sie haben?

Samstag 25.8.

Leider hatte Martina Bedenken, also trat ich die Reise nach Berlin in meinen Männerklamotten an. Schade eigentlich, aber ich hatte immer noch drei Tage und den Rest des Samstags vor mir. Eine Menge Zeit.

Meine Fußnägel hatte ich schon am Freitagabend rouge noir lackiert und meine Fingernägel in zartrosa. Unauffällig genug für ein Abschiedswinken zu den Nachbarn.

Die Queerboot Party war der Höhepunkt des ersten Tages und ein absolutes Highlight.

Das Problem war bei Martina und bei mir das Gleiche: was zieh ich bloß an? Wie sich später herausstellte, vermutete ich vollkommen zu Recht, dass kurze Röcke und hohe Hacken angesagt waren. Na gut, ich hatte meine mit Glitzersteinchen besetzen Pantoiletten mit 3 cm Absatz. Aber mit unbestrumpften Beinen und meinem wadenlangen grünen Kleid war ich zwar für das Wetter und den Anlass superbequem gekleidet, aber den Wettbewerb um das aufregendste Outfit hatte ich damit schon im Vorfeld aufgegeben. Die Trauben, sprach der Fuchs, sind mir zu bitter. Ein wenig habe ich mich später zwar geärgert, dass ich zwischen all den Männerträumen auf Highheels mal wieder das Trudchen gegeben habe, aber so bin ich wohl nun mal.

Entgegen jedem Verhalten einer anständigen Transe waren wir viel zu früh an der Anlegestelle. Abfahren sollte das Schiff um 20 Uhr, Einsteigen war für 19.30 Uhr geplant. Weil Martina und ich die Anfahrt mit dem Bus und zu Fuß vollkommen falsch eingeschätzt hatten, waren wir schon um kurz nach 19 Uhr am Anleger.

Das Boot war da, aber natürlich noch keine andere Transe. Wir setzten uns in ein Buswartehäuschen und warteten. Um 19:20 war immer noch niemand außer uns dort. Dann kam eine der Organisatorinnen und gegen halb Acht noch einige weitere Dragqueens. Gäste blieben spärlich. Als wir gegen 20 Uhr das Schiff betraten, waren etwa ein gutes Dutzend Leute da. Einige kannte ich, und es waren sogar welche da, die mich kannten.

Es dauerte bis nach 21 Uhr, bis das Schiff ablegte und wir waren wohl kaum mehr als 20 Leute. Das änderte aber nichts daran, dass die Aktion genial war. Auf einem Spreedampfer zu Discomucke durch das abendliche Berlin tuckern und den Leuten am Ufern zuwinken, das war einfach klasse!

Abgesehen davon, dass wir ein sehr kleines Grüppchen waren, war es eine Veranstaltung, die ich nicht missen möchte.

Vielleicht, weil ich eher der Typ „übergroßes Mauerblümchen“ bin und solche Veranstaltungen noch nicht oft mitgemacht habe, fand ich es superklasse! Wann hat man mal die Chance mit anderen Mädels durch das abendliche Berlin zu tanzen und dabei den Leuten am Ufer zuzuwinken und zu wissen, dass man für einen kleinen Moment von anderen begafft und vielleicht auch beneidet wird? Es war einfach toll und der Erinnerungswert ist für mich höher als der Eintrittspreis.

Wann habe ich für 35 Euro schon mal etwas getan oder gekauft, das mir soviel Spaß gemacht hat?
Selten.

Der Kick dabei war, dass man nicht wie sonst bei einer Trannie-Party in einem verrauchten Keller gewesen ist, in dem die Transengemeinde und ihre Bewunderer sich gegenseitig toll findet, sondern laut und sichtbar durch Berlin geschippert ist. Selbst die Leute, die bei der „Langen Museumsnacht“ das Bodemuseum besichtigt haben, haben sich für einige Augenblicke die Nasen an den Fenstern in Richtung Spree plattgedrückt. Wann kriegen so viele Leute schon mal mit, dass wir Spaß daran haben, wir selbst zu sein?

Für mich war das Queerboot mehr Spaß als fünf Parties in Clubs oder Diskos!

Es war eine tolle Mischung aus Demo und Party!
Schade nur für die Veranstalterinnen, dass bloß so wenig Leute gekommen sind. Die Veranstaltung hätte größeres Publikum verdient gehabt.

Gegen Mitternacht sind wir wieder am Anleger. Die Party soll in einer Disco in Wedding weitergehen. Aber wie kommt man da hin? Martina und ich waren offensichtlich die Einzigen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist waren. Ein Taxi nehmen? Fragen, ob jemand Platz im Auto hat? Wir entschließen uns, zu Fuß bis zum Charlottenburger Schloss zurückzugehen und dort zu zweit noch eine Kleinigkeit zu trinken. Guter Plan. Der Abend ist mild und bei einem Absacker beobachten wir das nächtliche Treiben. Schließlich gehen wir dann zu Fuß bis nach Hause. Okay, das war nicht trendy aber nett.

Sonntag 26.8.

Heute ist mein erster richtiger Frauentag in Berlin. Das Frühstück, zu dem ich natürlich schon in Rock, Shirt und voller Bemalung erschienen bin, zieht sich lange hin und so ist es bereits etwa 13 Uhr als wir zum Flohmarkt am Tiergarten aufbrechen.

Von dort aus fahren wir mit der S-Bahn zum Hackeschen Markt, ein wenig Schaufensterbummel betreiben und in den Hackeschen Höfen sind sogar Geschäfte offen. Zum Glück für Konto und Kreditkarte zwar mit schicken Sachen, aber in den falschen Größen.

Etwas später hat uns die Tram mitten nach Prenzlauer Bergtransportiert. Wir besichtigen die Kulturbrauerei und trinken am Kollwitzplatzeinen Cappucino.

Danach wandern wir durch den Mauerpark nach Wedding.

Der Tag endet bei meinem Lieblings-Spanier in der Nähe des Savignyplatzes.

Auf dem Fußweg von dort nach Hause spüren wir beide unsere Füße in vielen kleinen Details. Schon erstaunlich, wieviele schmerzende Stellen Füße haben können.

Montag 27.8.

Morgens beim zurechtmachen fühle ich mich schon toll. Hey! Gestern hat sich niemand um mich geschert und heute wird ein weiterer schöner Tag als Frau. Schade nur, dass es wieder etwas kälter geworden ist. Da braucht es schon eine Jacke und ich trage sogar eine Strumpfhose zu meinem Rock. Das Thema des heutigen Tages ist „Shopping“.

Eigentlich bin ich bloß aus Gewohnheit in den Schuhladen im Europacenter gegangen. Wirklich gebraucht habe ich keine Schuhe. Und wie es dann so geht, habe ich absolute Traumschuhe gefunden. Soll ich sie beschreiben? Ach Quatsch, hier ist ein Bild.

Sagen sollte ich aber, dass sie traumhaft bequem sind. Trotz der für mich schon bemerkenswert hohen Absätze oder vielleicht sogar deshalb? Keine Ahnung. Jedenfalls habe ich sie gleich anbehalten und bin den Rest des Tages in ihnen unterwegs gewesen.

Die Schmuckgeschäfte am Hackeschen Markt, die wir dann noch besucht haben, hatten keine ernsten Versuchungen für mich parat. Mal abgesehen von der einen Kette, die mir der Verkäufer, als er mein Interesse erkannte, gleich probehalber um den Hals legte und dazu sagte, dass diese Form „besonders für die große Frau sehr geeignet“ sei. Da war ich ernsthaft gefährdet. Wie gut, dass die Kette nicht bloß wunderschön, sondern auch preislich deutlich über meinen Vorstellungen war. Aber schon für 50 Euro weniger …

Beladen mit Tüten erreichen wir das Kino in der Kulturbrauerei in der Schönhauser Allee (Prenzlauer Berg). Der Film? „Zusammen ist man weniger allein!“
Aahhh, Sitzplätze ohne eine Reihe direkt davor. Schööön. Obwohl die Schuhe mich schon über einige Kilometer bis hier her gebracht haben, ist es doch eine Erholung, sie auszuziehen und die Zehen auszustrecken.

Der Abend endet bei einem schicken Italiener ein paar Straßen weiter. Der Versuch, Martina noch auf einen Drink ins „Schmutzige Hobby“ zu schleifen, wird zu einer Stippvisite. Es sind vorne keine schönen Sitzplätze mehr frei und so schleichen wir uns mit unseren Tüten zur Tram.

Dienstag 28.8.

Martina hat ein schönes Ausflugsziel gefunden: Marzahn! Da wäre ich wirklich nicht alleine drauf gekommen. Wir fahren mit der S-Bahn bis raus aus Berlin. Die Gegend wird immer „östlicher“. Wir steigen an einer Station mit haufenweise Plattenbauten am Horizont aus. Unseren Bus können wir noch sehr schön von hinten sehen. Der nächste kommt in 20 Minuten.

Wir vertreiben uns die Wartezeit mit einem Kurzbesuch in einem „Kaufland“-Laden. Ujujui, wenn das schwarze Brett mit den Kundenverkaufsangeboten repräsentativ für die Lage der Leute hier ist, dann wohnt hier nicht die Luxusklasse. Naja, das hätte ich angesichts der Plattenbautristesse auch nicht geglaubt. So richtig wohl fühle ich mich hier in meiner schicken Hose und meinem glänzenden Sakko nicht.

Eine kurze Busfahrt durch die „Allee der Kosmonauten“ und andere Straßen, die von großen grauen Gebäuden gesäumt sind, und ein Kilometerchen Fußmarsch bringen uns an unser Ziel: Die Gärten der Welt. 3 Euro Eintritt pro Nase und ein weiterer Euro für einen Plan bringen uns in einen tollen Park. Eine Reise in Gartenlandschaften aus aller Welt. Wir schlendern von China nach Japan und von dort nach Korea und über Birma in den Orient.

Die Rückfahrt mit dem Bus bringt uns an den S-Bahnhof Marzahn. Ehrlich, wenn ich dort auf der Hinreise ausgestiegen wäre, ich hätte die nächste S-Bahn zurück genommen. SOFORT! Wieso es da kein riesiges Schild „No Go Area“ gibt, ist mir unbegreiflich! Aber ich bin bloß eine Transe und kein Schwarzafrikaner und es ist hell.

Mittwoch 29.8.

Die letzten auffälligen Weiblichkeitsattribute werden beseitigt. Sowohl meine auffälligen Zehennägel als auch meine zartrosa schillernden Fingernägel werden entfärbt. Schade drum, denn mir war der Lack zu meiner Verblüffung recht gut gelungen gewesen.

In dem kleinen Cafe, in dem wir auch die letzten beiden Tage gefrühstückt haben, nehmen wir noch eine letzte kleine Mahlzeit vor der Abreise. Keine Ahnung, was die Betreiberin denkt, als ich jetzt plötzlich als Mann erscheine. Ach egal, schade, dass die Zeit vorbei ist. Ich bin ein wenig traurig.

Nachher

Was war nun eigentlich das besondere?

Zum einen die Selbstverständlichkeit, mit der ich in der Öffentlichkeit Frau war. Ich habe mir bei dieser Reise sehr viel weniger „einen Kopf gemacht“ als jemals zuvor. Ich wurde so beachtet, wie ich das erwartet hatte: gar nicht! Nur extrem wenige Menschen fanden mich einen zweiten Blick wert. Gut so.

Zum anderen: ich war nicht allein! Martina war bei mir und wir haben das Abenteuer gut überstanden. Gut, es gab schon Momente der Verunsicherung, in denen spürbar wurde, dass die Situation für Martina nicht immer purer Genuss war. Doch diese Momente waren die Ausnahme. Die schönen Erlebnisse überwogen bei weitem.

Und es gibt noch eine Dreingabe: Martina und ich können gemeinsam und zu 98% offen von unseren Tagen in Berlin erzählen und wir tun das auch. Wir erzählen von Orten und Erlebnissen. Dass wir dabei ein anderes Bild im Kopf haben, als die Leute, denen wir erzählen, spielt keine Rolle. Wir erzählen von den Gärten in Marzahn und der Bootsfahrt durch Berlin zu Disco-Mucke. Wir können unsere Freude teilen, ohne dass jemand etwas dabei fände. Wir erzählen bloß nicht, was ich in der entsprechenden Situation angehabt habe …. Aber wer tut das schon?

Was ist mir besonders wichtig gewesen in den Tagen in weiblicher Rolle?
Die Freude mit meiner Frau teilen zu können natürlich!

Und es gibt ein paar Kleinigkeiten, die ich echt vermissen werde, weil ich mich in den vergangenen so an sie gewöhnt habe. Im Grunde waren es drei Dinge: Lippenstift, baumelnde Ohrringe und Handtasche! Von all den vielen Dingen, die üblicherweise Frauen vorbehalten sind, sind es besonders diese drei, die mir wichtig gewesen sind.
Lippenstift ist einfach angenehm.
Lang herunterbaumelnde Ohringe erinnern einen daran, dass man Schmuck trägt.
Und wie soll ich als Mann bloß wieder ohne Handtasche auskommen?

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© Jula 2007

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