Über Trans-Charaktere in Filmen und Büchern
Wenn man wissen möchte, wie es um die gesellschaftliche Situation von bestimmten Gruppen bestellt ist, dann sind die Medien, insbesondere Film und Fernsehen gute Indikatoren. Tauchen bestimmte Personengruppen überhaupt auf? Wie werden sie dargestellt?
Wie sieht es dann für uns Transgender aus? Schlecht, um nicht zu sagen verheerend! Wenn wir als Figuren in Büchern oder Filmen auftauchen, dann sind wir mit hoher Wahrscheinlichkeit am Ende tot.
Update 2023: in letzter Zeit hat sich einiges zum Besseren verändert. Deshalb gibt es einen Beitrag mit einigen empfehlenswerten, neueren Produktionen.
Konkreter Anlass: ein dänischer Krimi
Gerade habe ich ein Buch gelesen und mich unfassbar geärgert. Weil ich der Autorin keine Verkäufe gönne, nenne ich es nicht konkret.
Die Handlung in Kurzfassung:
Teil 1: Eine ältere Dame (Judith) ärgert sich über den Briefträger, weil er sie nicht genug beachtet. Sie beschließt ihn umzubringen. Ihr Pudel wird mit rätselhaftem Gefrierfleisch gefüttert.
Teil 2: Judith freundet sich mit den drei Trinkern des Dorfes an. Alle drei haben ein schweres Schicksal, das sie aus der Bahn geworfen hat. Es wird deutlich, dass Judith sie verachtet und irgendetwas plant.
Teil 3: Die Kindheit und Jugend des kleinen Jørgen wird geschildert. Er hat eine lieblose Mutter und Probleme der Schule. Er ist gefühlskalt, manipulativ und tötet gerne Tiere. Folgerichtig wird er Schlachter und ist in dem Beruf erfolgreich. Seine Mutter verweigert ihm die Anerkennung und sagt als Ausdruck ihrer Enttäuschung, dass sie besser ein Mädchen gehabt hätte.
Teil 4: Wieder auf der Zeitebene von Teil 2. Judith war früher Jørgen. Dass sie jetzt eine Frau ist, ändert nichts an der Verachtung der Mutter. Es wird klar, dass Judith zwei ältere Nachbarn getötet hat, um die sie sich scheinbar liebevoll kümmerte. Sie nutzt die Säufer um den Leichnam ihrer Mutter zu stehlen. Angeblich um sie im Garten zu begraben, in Wahrheit ist die Grube für die drei Trinker, die sie umbringt.
Teil 5: Wieder die Zeitebene des Teil 1. Der Postbote wird nicht getötet. Dafür wird klar, dass Judith die Mutter portionsweise an den Pudel verfüttert. Alles fliegt auf und Judith begeht Selbstmord.
So weit, so eklig.
Was mich erschüttert, ist vor allem, dass Transgender mal wieder als Metapher für kompletten Wahnsinn genutzt werden. Widerliche Verbrechen werden von scheinbar sympathischen Menschen begangen. Doch sie sind gar nicht „normal“. Sie sind Transgender! Die körperliche Verwandlung vom Mann zur Frau dient als äußerer Marker der psychischen Abartigkeit.
Die Transperson als Täter_in
Es liegt vermutlich nahe, dass eine Person, die nicht einmal in der Lage ist, ihr körperliches Geschlecht als Faktum zu akzeptieren und andere Menschen über so etwas wichtiges wie ihre Genitalien täuscht, auch bezüglich der sonstigen moralischen Einstellung unheimlich ist. Das prädestiniert uns vermutlich als wahnsinnige Mörder*innen.
Wenn trans* Personen Täter*innen sind, dann töten sie nicht aus üblichen Motiven wie Rache, Geldgier oder Eifersucht. Das wäre zu normal. Transgender sind als Täter*innen Monster, die am Ende des Films aus der Gesellschaft entfernt werden müssen („Psycho“, „Das Schweigen der Lämmer“, „Dressed to kill“ …).
In der Serie Tatort wird das Narrativ von der Folge „Die Amme“ (2021!) in besonders widerlicher Form bedient.
Die Transperson als Opfer
Doch wir sind nicht nur Täter*innen, die erst am Ende der Geschichte sterben.
In vielen Fällen endet die Präsenz von Transpersonen in Krimis schon viel früher, weil wir nämlich das Opfer waren. Beispiele: Tatort „Blick in den Abgrund“, Polizeiruf 110 „Der Tod macht Engel aus uns allen“, Donna Leon „Venezianische Scharade“.
Weder Täter noch Opfer? Egal!
Doch es gibt nicht nur Thriller. Es gibt auch Dramen. Selbst hier sind unsere Überlebenschancen eher mies.
In Geschichten, wo eigentlich niemand hätte sterben müssen, sind wir durch Krankheiten (häufig AIDS) dem Tode geweiht und werden auch von ihm ereilt („Schlechte Erziehung”, „In einem Jahr mit 13 Monden“, „Dallas Buyers Club“, “Agnes und seine Brüder”, Tatort “Altes Eisen”).
Die Transe muss also sterben!
Ebenso, wie in alten Western die Bösen immer schwarze Hüte trugen, kann man sich mit ziemlicher Gewissheit darauf verlassen, dass im Verlauf der Handlung auftauchende Transpersonen am Ende tot sind. In den meisten Krimis muss genrebedingt mindestens eine Person sterben. Aber warum eigentlich immer die Transe? Und warum müssen wir selbst dann am Ende tot sein, wenn der Film gar kein Krimi ist?
Auf der Opferseite liegt es vermutlich daran, dass das Sujet eines braven Bürgers, der in Strapsen tot in einer Mülltonne aufgefunden wird, die ultimative Form des peinlichen Doppellebens ist. Da kann man ahnungslose Ehefrauen und unschuldige Kinder, die „von nichts eine Ahnung“ hatten, ebenso mit hineinbringen, wie verantwortungsvolle Polizist*innen, die die Familie vor der Offenbarung dieser Peinlichkeit bewahren. Zugleich lässt eine tote Transe sogleich eine Vielzahl von möglichen Motiven möglich werden, die von Erpressung, über Drogensucht und Prostitution bis hin zu echter Perversion reichen. Ein weiterer Punkt mag sein, dass die Tat interessante Einblicke in das „Transvestitenmilieu“ (so die Beschreibung zu dem Donna Leon Film) ermöglicht. Ich weiß zwar nicht genau, was das ist, aber es hat etwas mit Halbwelt, Prostitution, Drogen und plüschigen Etablissements zu tun.
Als Mörder*innen sind wir interessant, weil jemand, der so verrückt ist, sich dem anderen Geschlecht zuzuordnen, in den Augen von Filmemacher*innen besonders gut und glaubwürdig dazu eignet, ihr noch weitere, absolut unmenschliche Handlungen unterzujubeln.
Meine Vermutung ist, dass der Tod der Transperson (selbst dann, wenn sie selbst nichts Böses getan hat) einer Kombination aus Dramatik und Happy End geschuldet ist. Über den Tod der Person, die eklatant die Gendernormen verletzt, wird trotz des eventuell hervorgerufenen, persönlichen Mitgefühls die Welt im Endeffekt ein bisschen besser. Eine konfliktträchtige Abweichung von der guten Ordnung der Geschlechter ist verschwunden. Man hat einen Blick auf die Abartigkeit werfen können, muss sie aber nicht fürchten, da die Transpersonen verschuldet oder unverschuldet am Ende tot ist. Mit dem Ende der Geschichte ist die Welt wieder in Ordnung, zumindest das kleine Stück Welt, das sie dargestellt hat.
Besonders deutlich ist mir das in dem ansonsten sehr ansprechenden Film “Agnes und seine Brüder” in Erinnerung geblieben, wo sich die sterbende Agnes an ihre glückliche Kindheit als kleiner Junge erinnert. Wäre sie doch Junge bzw. Mann geblieben … sie hätte vermutlich das Ende des Filmes überleben dürfen. Andererseits wäre sie dann gar nicht Heldin des Filmes geworden.
Sowohl als Opfer, wie auch als am Ende meist sterbendes Mord-Monstrum läuft es also darauf hinaus, dass der Tod der Transe als Wiederherstellung der natürlichen Ordnung erscheint. Egal, ob Täter*in oder Opfer, der Tod der Transperson hat seine Rechtfertigung in deren Verhalten bzw in ihrer Andersartigkeit, die zu zwangsläufigen Konflikten mit der Umwelt führt.
Die Ausnahme von der Regel: Komödien
Halt! Jetzt hätte ich doch fast das Genre vergessen, in dem wir nicht sterben müssen! Die Komödie. Vermutlich hätte ich das gerne verdrängt, weil ich jedesmal vor Scham in den Boden sinken möchte, wenn das Thema Crossdressing in einer Komödie behandelt wird. Angefangen bei Charleys Tante über die schlimmen „Tantenfilme“ der 70er bis hin zu Dutzenden von Amerikanischen Produktionen ist der Mann im Fummel immer ein Garant für maximale Lächerlichkeit.
Das Gute daran: es handelt sich hier immer um irgendwie erzwungenes Wechseln des Gender. Die Figur selbst will den Genderwechsel nicht, sondern muss ihn aus irgendwelchen seltsamen Gründen vollziehen. Es wird also in keiner Weise nahegelegt, die Person sei irgendwie trans.
Ich fand es trotzdem schlimm, weil ich die Botschaft heraushörte: „Mit einem männlichen Körper wirst du als Frau immer lächerlich sein!“ Und das war für meine Chancen auf ein glückliches Leben eine sehr schlechte Nachricht.
Trans* im Film ist nicht unbedingt Transgender
Das einzige, was mich etwas tröstet ist die Tatsache, dass die Personen, die dem Publikum in Büchern oder Filmen als trans* verkauft werden, dies meist gar nicht sind. Während in der Realität die allermeisten Personen, die die Gendergrenzen überschreiten, dies aufgrund zwingender, innerer Bedürfnisse tun, ist das in der Fiktion anders.
Dort gibt es selten oder nie eine halbwegs realistische Begründung für den Wechsel des Gender.
In Komödien wird meist ein äußerer Zwang bemüht. In Thrillern wird zwar auf innere Beweggründe abgestellt, doch ist die Transidentität meist nicht selbst Ursache, sondern einfach nur sichtbares Symptom einer anderen Ursache, die meist schwere geistige Abartigkeit ist.
Das sind also gar keine echten Transgender. Doch ist das ein Trost? Bleibt bei den Konsument*innen nicht hängen, dass Transgender tendenziell verrückt sind?
Im Ergebnis führte das bei mir dazu, dass ich immer geschockt war, wenn ich diese angeblichen Transgender in Filmen sah. Denn so war ich nicht, so wollte ich nicht sein.
Und heute?
So war es bis vor relativ kurzer Zeit. An den Transgenderrollen in aktuellen Produktionen kann man sehen, dass sich etwas verändert hat. In neuen Serien wie „Transparent“, „Boy meets girl“ oder auch „Orange is the new black“ wird mit der Tradition gebrochen, die bisher den Umgang mit Transpersonen in Filmen sehr verlässlich prägte.
Es tauchen nicht nur echte und ernstzunehmenende Transgender auf, sondern sie dürfen inzwischen auch viel häufiger das Ende des Films als lebende Figur mitbekommen.
Für einen Überblick über die Vielfalt von Transgender-Darstellungen in Filmen und Fernsehshows empfehle ich die sehr gut gemachte Netflix-Dokumentation Disclosure. Neben klugen Gedanken findet man dort eine riesige Menge von Filmbeispielen.
Inzwischen gibt es noch mehr sehenswerte, queere Produktionen. Einen Überblick dazu findet ihr in dem Beitrag „Neue Filme und Serien“.
Resumee
Wenn ich den aktuellen Trend zu realistischerer Darstellung mal außen vorlasse, dann sind Transgender (bzw. ganz allgemein Menschen, die sich warum auch immer nicht an das Gender halten, das ihr Körper nahelegt) in Filmen und Büchern mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder
- Psychopatische Mörder_innen oder
- Verbrechensopfer
- und am Ende der Geschichte tot.
Wir sind nicht wirklich präsent, sondern nur ein schlimmes Zerrbild, mit dem niemand von uns wirklich identifiziert werden möchte.
© Jula Böge 2016/2020/2021/2023