Hinweis August 2024: durch das neue Selbstbestimmungsgesetz ist der Inhalt dieses Artikels (zum Glück!) überholt.
Für einige Zeit gab es auch für Transgender auf Basis des § 45b Personenstandsgesetz eine einfache, schnelle und günstige Möglichkeit, einen als falsch empfundenen Personenstandseintrag korrigieren bzw. beseitigen zu lassen.
Das BMI, das eine solche Möglichkeit neben bzw anstelle des demütigenden Verfahrens nach dem TSG nicht zulassen wollte, hat schnell versucht, das mit Weisungen zu unterbinden. Das hat, je nach Standesamt und Bundesland, eher so mittelgut geklappt.
Aber nun ist die Tür wieder zu.
Beschluss vom 22. April 2020, Aktenzeichen XII ZB 383/19
Schon im Leitsatz bringt der BGH die Sache auf den Punkt:
a) Der Anwendungsbereich der §§ 45 b, 22 Abs. 3 PStG ist auf Personen beschränkt, die körperlich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuzuordnen sind. Personen mit lediglich empfundener Intersexualität sind hiervon nicht erfasst.
b) Personen mit einer lediglich empfundenen Intersexualität können aber entsprechend § 8 Abs. 1 TSG erreichen, dass ihre auf „weiblich“ oder „männlich“ lautende Geschlechtsangabe im Geburtenregister gestrichen oder durch „divers“ ersetzt wird.
Der entscheidende Satz in der Begründung:
„Die von § 45 b PStG vorausgesetzte Variante der Geschlechtsentwicklung ist nur dann gegeben, wenn das Geschlecht nicht eindeutig anhand angeborener körperlicher Merkmale als weiblich oder männlich bestimmt werden kann. Eine lediglich empfundene Intersexualität ist hierfür nicht ausreichend.“
Die Argumente des BGH
Der BGH kommt zu dieser Festlegung vor allem im Hinblick auf die Diskussionen während der Entstehung des 45b (Ermittlung des Willens des Gesetzgebers). Zwar gesteht er zu, dass man anderer Meinung sein kann, aber im Ergebnis ist er eindeutig.
Ein weiteres Argument ist gesetzessystematischer Natur. Es beruht auf der Tatsache, dass der Gesetzgeber das TSG unverändert weiter gelten ließ. Wenn nun Transgendern auch der Weg über § 45b offenstände, wäre das ein systematischer Widerspruch.
Der BGH geht auch auf die Position des BVerfG ein. Das vertritt die Position, dass das Geschlecht neben der physischen Konstitution auch wesentlich vom selbstempfundenen geschlechtsempfinden abhängt. Für solche Fälle hält der BGH die Regelungen des TSG für hinreichend und zumutbar.
Meine Meinung
Ich bin über die Entscheidung des BGH enttäuscht, kann sie aber fachlich nachvollziehen. Dass da in Deutschland plötzlich ein einfacher Weg zur Personenstandsänderung für Transgender zur Verfügung steht, war vom Gesetzgeber wohl nicht gewollt. Zumindest haben sie es nicht bedacht. Insofern hat der BGH den Willen des Gesetzgebers wohl schon richtig interpretiert.
Das finde ich zwar schlimm, kann es aber akzeptieren. Ich glaube, der BGH hat sich ernsthaft bemüht, den Willen des Gesetzgebers zu erforschen. Was der dachte mag altbacken und nicht auf dem Stand der Wissenschaft sein, aber es war sein Wille. Auch wenn ich das nicht gut finde, aber als Juristin und Bürgerin möchte ich nicht, dass unsere Richter*innen das entscheiden, was sie für gut halten. Sie sind an die Gesetze gebunden und sollen sich an sie halten. Und bei der Auslegung sollen sie die rechtstaatlichen Regeln beachten.
Trotzdem halte ich die Entscheidung für falsch. Der BGH hängt offensichtlich immer noch den alten Überzeugungen an, nach denen es so etwas wie ein „objektives“ sich an körperlichen, sichtbaren Merkmalen festmachendes Geschlecht gibt, und eine subjektive Geschlechtsempfindung, die ggf. in krankhafter Weise die Gegebenheiten nicht akzeptieren will. Die medizinische Wissenschaft und ihr folgend auch das Bundesverfassungsgericht haben sich davon schon lange gelöst.
Dreh- und Angelpunkt der Argumentation dies die Unterscheidung zwischen körperlichem Geschlecht einerseits und empfundenem Geschlecht andererseits. Diese Unterscheidung halte ich für falsch. Insbesondere halte ich die Formulierung „lediglich empfundene Intersexualität“ für mehr als zweifelhaft. Woher kommt denn die Empfindung, wenn sie nicht auf körperlichen Gegebenheiten beruht? Und was heißt da „lediglich“, wenn die Empfindung für Betroffene so ist, wie Schmerzen? Empfindungen sind Teil der Körperlichkeit, auch wenn man sie nicht organisch sehen kann.
Man weiß zwar immer noch nicht genau, woher Transidentität genau kommt. Doch weil sicher ist, dass sie (ebenso wie Homosexualität) nicht erworben ist, muss sie angeboren sein. Was zwingend dazu führt, dass sie irgendwelche (genetische, epigenetische oder hormonelle), aber damit auf jeden Fall körperliche Ursachen hat.
So bleibt uns weiter das TSG.
Was nun?
Natürlich kann man weiter den Weg über § 45b gehen. Dazu braucht es aber einen Arzt, der eine körperliche (!) Variante der Geschlechtsentwicklung bescheinigt. So etwas kann man sicher bekommen. Ich persönlich weiß jedoch nicht, ob ich meinen Hausarzt, zu dem ich ein vertrauensvolles Verhältnis habe, hier in Verlegenheit bringen würde.
Es hilft also nichts. Wenn wir gesellschaftlich korrekt eine Lösung für uns haben wollen, dann muss das TSG weg und durch eine fortschrittliche Lösung, gerne auch im Personenstandsgesetz ersetzt werden.
Querverweise
- Weil es immer noch da ist: Weg mit dem TSG
- näheres zu § 45b PersonenstandsG: m/w/d
- Mehr Recht: Recht transident
- Ein externer, kritischer Artikel zur Entscheidung: https://verfassungsblog.de/der-biologische-essentialismus-hinter-lediglich-empfundener-intersexualitaet/
© Jula Böge 2020