Ein Appell an Journalist_innen zum N-Wort im Transbereich
Immer wieder schreiben Journalist*innen von „Geschlechtsumwandlung“ und immer wieder regen wir Transgender uns mehr oder weniger öffentlich darüber auf. Und in der Folge regen sich andere darüber auf, dass wir uns darüber aufregen. Jetzt reicht es mir. Damit meine Argumente etwas mehr Bodenhaftung haben, halte ich mich an einem aktuellen Fall fest.
Am 14. September 2016 habe ich in der Zeit online folgenden Artikel gefunden:
„Chelsea Manning: Whistleblowerin beendet Hungerstreik
Vor fünf Tagen hatte Chelsea Manning aus Protest gegen ihre Haftumstände aufgehört zu essen. Nun sagte ihr das US-Militär eine OP zur Geschlechtsumwandlung zu.“
Beginnen wir mit dem Positiven: „Whistleblowerin“, „ihre Haftumstände“ und „sagte ihr das US-Militär“ soweit alles prima richtig gegendert. Nichts deutet darauf hin, dass der Text etwas anderes will, als sachlich zu berichten. Doch am Ende der Zusammenfassung kommt noch das böse Wort.
Kurz darauf die Reaktion im Kommentarbereich.
„Es wäre toll, wenn zumindest die sogenannten Qualitätsmedien sich von dem Begriff „Geschlechtsumwandlung“ verabschieden könnten.
Es geht um eine körperliche Angleichung an das empfundene Geschlecht – die auf hormoneller und ggf. auch operativer Ebene stattfinden kann.“
Das Wörtchen „sogenannte“ im Zusammenhang mit „Qualitätsmedien“, deutet trotz der ansonsten freundlichen Formulierung an, dass da jemand sauer ist.
Zur Recht verhasst
Vermutlich ist das Wort „Geschlechtsumwandlung“ der von Transpersonen am meisten gehasste Begriff. Er steht in kompletten Widerspruch zu unserem Selbstverständnis und wird von uns als krass falsch empfunden. Unser Körper ist nicht mit unserem Geschlecht identisch, er ist nur ein Aspekt davon, der nicht stimmig ist.
Mehr noch: wir empfinden den Begriff als beleidigend, weil da unserer Meinung nach ein Anklang von Erzeugung etwas vorher nicht Vorhandenem drinsteckt. Sowie bei der alchemistischen Umwandlung von Blei in Gold.
Nicht nur wegen der Befindlichkeiten sondern überhaupt ist Angleichung ist die korrekte und bessere Terminologie.
Trotzdem verwenden selbst Journalist*innen von arrivierten und hochprofessionellen Medien das „böse Wort“. Warum tun sie das nur, wenn sie es nicht nur besser wissen müssten, sondern vermutlich sogar wirklich besser wissen? Das frage ich mich schon lange.
In den Antworten zu dem Kommentar kommt bald darauf eine Erklärung:
„Ich finde es gut wenn Dinge so benannt werden das die Mehrheit sich etwas darunter vorstellen kann und es gleichzeitig eine korrekte Beschreibung des Vorganges ist.
Das ist übrigens die wichtigste Funktion der Sprache.
Bei Geschlechtsumwandlung ist dies definitiv der Fall. Es spricht also für diese Medien nicht gegen sie.
Es ist nicht die Funktion der Sprache im öffentlichen Raum es jeder Minderheit recht zu machen. Das ist nicht möglich.
Wenn Sie es für sich als eine Angleichung und nicht als eine Umwandlung verstehen wollen, steht Ihnen ja diese Freiheit zu. So wie es der Mehrheit zusteht es so zu benennen wie sie es für richtig hält.“
Da werden gleich mehrere Argumente vorgetragen, die einzeln oder gemeinsam dazu führen mögen, das Journalist*innen das fachlich falsche Wort verwenden. Ich denke, es sind die Wesentlichen.
Argumente gegen den Begriff
Dinge so benennen, dass die Mehrheit sich etwas darunter vorstellen kann.
Das ist vermutlich das wichtigste Anliegen der journalistischen Profis: das Volk da abholen, wo es steht.
Ungefähr so, wie jede*r rechtlich gebildete weiß, dass das Delikt in § 142 StGB „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“ heißt, aber jede*r darüber als „Fahrerflucht“ oder noch ein wenig falscher als „Unfallflucht“ schreibt, weil das nun mal bekannter ist. Der Unterschied: „Fahrerflucht“ ist tatsächlich ein kürzerer, griffigerer Begriff, „Geschlechtsumwandlung“ jedoch nicht.
Wobei ich genau sein möchte: ist es wirklich der Ort wo „das Volk“ steht oder doch viel mehr der Ort vor die Journalist*innen glauben, dass es steht?
Würde die Verständlichkeit des Textes wirklich leiden, wenn nicht der lange überholte sondern der sachlich und politisch korrektere Begriff Geschlechtsangleichung verwendet würde? Ich behaupte mal: nein! Wer noch nie von Transsexuellen und den diesbezüglichen Behandlungsmethoden gehört hat, wird das eine wie das andere seltsam finden. Wer jedoch davon gehört hat wird beides gleichermaßen verstehen.
Ein schönes Argument hierzu taucht im weiteren Verlauf des Kommentarstrangs auf:
„Wenn „die Mehrheit“ sich nichts darunter vorstellen kann, ist es umso wichtiger diesen Begriff zu verwenden und der „Mehrheit“ beizubringen, worum es geht. Vielleicht hilft das auch, Vorurteile abzubauen sowie Anfeindungen und Ausgrenzung zu verhindern.“
Eine korrekte Beschreibung des Vorganges
Vielleicht denken sie, es sei egal. Für Journalist*innen sind die beiden Begriffe tendenziell synonym. Das ist jedoch nach dem aktuellen Stand der Meinung und nicht erst seit gestern, sondern schon eine gefühlte Ewigkeit lang falsch. Das wird schon bei einer Analyse des Ausgangstextes über Chelsea Manning deutlich. Von ihr wird (korrekt ;-)) im Präsenz als Frau geredet. Also ist sie eine Frau. Wie kann sie dann erst in der Zukunft umgewandelt werden? Das setzt doch logisch voraus, dass sie keine ist. „Angleichung“ macht es ohne logischen Widerspruch deutlicher: Sie ist eine Frau, aber der Körper muss erst noch angeglichen werden.
Selbst im schon angejahrten Gesetz, dem TSG wird im (inzwischen vom BVerfG aus anderen Gründen wegen Verfassungswidrigkeit insoweit aufgehobenen) § 8 formuliert: „einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff …, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist.“ Okay, das ist jetzt noch mal ein anderes Wording, aber sprachlich sehr viel näher an Angleichung als an Umwandlung.
Im medizinischen Diagnoseraster ICD 10 steht an der einschlägigen Stelle (F64.0) die Formulierung: „Es besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen.“
Also: medizinisch und rechtlich-politisch korrekt ist die Angleichung.
Ethik und Moral
„Es ist nicht die Funktion der Sprache im öffentlichen Raum es jeder Minderheit recht zu machen.“
„Korrekt“ hat noch eine zweite Ebene neben der Richtigkeit und Logik. Das ist die ethisch-moralische Korrektheit. Kann es wirklich in Ordnung sein, einen Begriff zu verwenden, von dem man weiß, dass er die von ihm Betroffenen schmerzlich berührt und sie ihn als falsch empfinden? Ich kann eigentlich nicht vorstellen, wie die Journalist*innen es schaffen, die häufig nach Verwendung des Begriffes in den Kommentarsträngen artikulierte Verbitterung der Transgender nicht wahrzunehmen. So leise sind wir in diesem Land nicht mehr und noch nicht wieder.
Ich habe das Gefühl, dass Journalist*innen sich aus einer lauwarm gefühlten Volksnähe heraus trotz besseren Wissens bewusst der falschen Begrifflichkeit bedienen. Ob sie dabei verkennen, wie verletzend das für Transgender ist, oder ob es ihnen schlicht egal ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Es wirkt ein wenig wie die bewusste Verweigerung gegen einen als unangemessen betrachteten, imaginären „volkspädagogischen Auftrag“. So in dem Sinn: „Ich belehre jetzt mal nicht, sondern verwende bewusst einen falschen Begriff, das macht mich sympathisch unkorrekt!“ Wird den Journalist*innen doch sowieso schon von besorgten Bürger*innen überzogene political correctness nachgesagt. Da kann man vielleicht bei einer nicht so relevanten Minderheit mal inkorrekt sein.
Sprache formt Bewusstsein
Sprache ist nicht nur Kommunikation, sondern immer auch ein Instrument der Herrschaft. In schlimmsten Fällen das einer Tyrannei über die Mehrheit, manchmal aber auch der Herrschaft der Mehrheit über die Minderheiten. In unserem Rechtsstaat sollte Sprache dazu dienen, möglichst weitgehende Gleichheit aller zu gewährleisten. Dazu gehört auch, dass sie Befindlichkeiten von Minderheiten berücksichtigt.
Oder haben wir uns inzwischen aus politischer Korrektheit schon von so vielen alten Begriffen (Fräulein, Neger, Zigeuner …) trennen müssen, dass wir die uns verbliebenen Stichwaffen gegen Minderheiten zwingend behalten müssen?
Ein abschließendes Argument rein pragmatischer Natur: Jede*r Textproduzent*in möchte inhaltlich wahrgenommen werden. Ein dummes oder falsches Wort (Geschlechtsumwandlung gehört in beide Kategorien) sorgt dafür, dass der sonstige Inhalt gar nicht mehr oder nur noch verzerrt wahrgenommen wird. Alle stürzen sich nur noch auf dieses Wort, um es anzugreifen oder zu verteidigen und der Rest der Botschaft geht im Gezeter unter. Ich glaube nicht, dass Journalist*innen bewusst ist, wieviel der Rezeption ihres Gesamttextes und seines Sinnes sie sich zerstören, nur weil sie meinen, dieses eine Wort benutzen zu müssen.
Das Wort ist überholt!
Fast lustig finde ich, dass die „Geschlechtsumwandlung“ als Dinosaurier nur noch durch die Spalten der Medien geistert. Medizin, Juristerei und alle anderen Wissenschaften, die sich mit Transpersonen beschäftigen, haben das Wort aus guten Gründen schon lange aus ihrem Wortschatz gestrichen. Nur die nach eigener Einschätzung viel näher am Zeitgeist und im Hier und Jetzt agierenden Medien verwenden es noch.
Hinzu kommt, dass gerade Journalist*innen die Wichtigkeit von Sprache und Begriffen bewusst sein sollte. Natürlich kann man im Druck der täglichen Aufgaben nicht jede DPA-Meldung auf jeden Begriff hin prüfen. Aber würde das Wort “Negeraufstand” in einer Unterüberschrift tatsächlich unkorrigiert bleiben?
Ergänzende Anmerkung: Ich ziehe mich hier an einem aktuellen Einzelfall hoch. Doch ich schreibe das, weil es eben kein Einzelfall ist, sondern ein Beispiel für gängige Praxis. Wer mir nicht glaubt, muss einfach das Wort „Geschlechtsumwandlung“ in die Suchmaschinen auf den Online-Portalen der SZ, der FAZ, des Spiegel und natürlich der Zeit eingeben. Teils kann man in den Kommentarbereichen sogar noch verfolgen, was dann passiert ist.
Appell:
Liebe Journalist*innen,
hört bitte endlich auf, den schrecklichen und verletzenden Begriff „Geschlechtsumwandlung“ zu verwenden.
Der Begriff ist falsch!
Er ist nicht verständlicher!
Er diskriminiert und beleidigt uns Transpersonen!
Vermutlich das beste Argument: Er beschädigt und diskreditiert eure Arbeit!
Schmeißt dieses blöde und ärgerliche Wort endlich dahin, wo es hin gehört: auf den Müll!
© Jula Böge 2016