Über die rechtliche Umsetzung der Gleichberechtigung in Deutschland habe ich bereits hier geschrieben.
Damit das überhaupt passieren konnte, mussten vorher schon Dinge geschehen sein. Tatsächlich ist die Idee, dass Gleichheit aller Menschen auch das Verhältnis von Frauen und Männern meint, nicht neu. Manches braucht jedoch eine Menge Zeit. Wie begann es?
Der Ausgangspunkt: Männer und Frauen sind ungleich!
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Was heute so selbstverständlich in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes formuliert ist, war über die längste Zeit der Menschheitsgeschichte schlicht undenkbar.
Die Gedankenwelt Europas war und ist immer noch geprägt von den Vorstellungen der ersten Zivilisationen auf unserem Kontinent, also den Griechen und den Römern, sowie von der christlichen Religion, die ihrerseits auf jüdischem Gedankengut aufbaut.
Weder das griechisch-römische Denken noch die christlich-jüdische Tradition kannten die Gleichheit der Geschlechter.
Mittelalter
Wohl das erste Mal, dass der Gedanke der Gleichberechtigung formuliert wurde, war im ausgehenden Mittelalter. Und es war kein Mann, sondern eine Frau: Christine de Pizan. Sie war die erste Feministin. Sie wurde 1365 in Venedig geboren und verstarb um 1430 in einem französischen Kloster.
Sie war im Gegensatz zur herrschenden Meinung ihrer Zeit der Überzeugung, dass Frauen nicht dümmer als Männer waren, sondern dass Unterschiede nur auf fehlender Bildung beruhten.
“Wenn es üblich wäre, die kleinen Mädchen eine Schule besuchen und sie im Anschluss daran die Wissenschaften erlernen zu lassen, genau wie die Söhne, dann würden sie genauso gut lernen und die letzten Feinheiten aller Künste und Wissenschaften ebenso mühelos begreifen wie jene.“
Pizan war ihrer Zeit weit voraus.
Doch bevor jenseits von Philosophie von Frauenrechten geredet werden konnte, mussten zunächst erst einmal die Menschenrechte erfunden werden.
“Habeas Corpus Act”(1679) und “Bill of Rights”(1689) waren ausgehend von England die ersten schriftlichen Garantien von Menschenrechten. Na gut, es ging zunächst nur um das Recht auf einen Haftrichter, auf Waffenbesitz und Petitionen. Doch der Anfang war gemacht.
Dann galt noch für lange Zeit, dass Menschenrechte im Kern Männerrechte waren und nicht vollständig den Frauen zustanden.
Die Frz. Revolution
Das nächste Mal (400 Jahre nach Pizan), als der Gedanke der Gleichheit aller Menschen auf Frauen ausgedehnt wurde, war während der Französischen Revolution. Olympe de Gouges Verfasserin der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin von 1791,
„Art. I: Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich …“
De Gouges argumentierte rechtlich. Dabei setzte sie an den staatsbürgerlichen Pflichten an und folgerte, dass Personen, die gleiche Pflichten haben, auch die gleichen Rechte haben müssen.
Im martialischen Ton der Revolution klang das so:
„ …die Frau hat das Recht auf das Schafott zu steigen; sie muss gleichermaßen das haben, ein Podium zu besteigen;…“
Olympe de Gouges Forderungen wurden nicht Gesetz. Stattdessen wurde sie u.a. wegen ihres Engagements für die Sache der Frauen 1793 mit der Guilottine hingerichtet.
Die Anfänge der Frauenrechtsbewegung
Parallel zur französischen Revolution gab es auch in England die ersten Vorläuferinnen der Emanzipation. Neben Catherine Macaulay die 1790 die „Letters on Education“ veröffentlichte, war es Mary Wollstonecraft mit ihrer Schrift „A Vindication of the Rights of Woman“ von 1792 die Bekanntheit erlangte. „Lehrt sie zu denken!“ lautete ihre Maxime, die deutlich machte, um was es primär ging: Frauen einen Zugang zu Bildung zu gewähren.
Getrieben wurden die Veränderungen im Denken von den ökonomischen Umwälzungen der industriellen Revolution. Vor kurzem noch undenkbare Dinge geschahen, wie z.B. ab der Mitte des 18. Jahrhunderts die Befreiung der Sklaven, deren vollständige Umsetzung noch über hundert Jahre dauerte.
Die erste Welle der Frauenrechtsbewegung begann Mitte des 19. Hier ging es um die grundsätzlichen politischen und bürgerlichen Rechte der Frauen wie z. B. das Frauenwahlrecht, das Recht auf Erwerbstätigkeit und das Recht auf Bildung. Nun wurden die Vorarbeiten aus dem 18 Jahrhundert weitergeführt.
Das Thema wurde auch in den Vereinigten Staaten aufgegriffen, wo die Frauen mit der Unabhängigkeitserklärung ein Modell hatten, wie man seine Rechte fordert. So kam es 1848 zu einer ersten Frauenrechtskonvention, die mit der wesentlich von Elizabeth Cady Stanton beeinflussten „Declaration of Sentiments“ endete.
„The history of mankind is a history of repeated injuries and usurpation on the part of man toward woman, having in direct object the establishment of an absolute tyranny over her.“
Declaration of Sentiments
Im 19. Jahrhundert war Wahlrecht für Frauen noch eine exotische Angelegenheit. Es begann 1838 mit der britischen Kronkolonie Pitcairn, einer Insel im Südpazifik. Danach kamen Kolumbien (1853), Wyoming (1869), Colorado (1893), Neuseeland (1893) und South Australia (1894).
Insgesamt ist es eine sehr übersichtliche Liste.
Harriett Taylor und John Stuart Mill
Mill war nicht nur einer der einflussreichsten Philosophen seiner Zeit, er war auch Feminist. In Zusammenarbeit mit und vermutlich auch wesentlich beeinflusst durch seine Lebensgefährtin Harriett Taylor schrieb er 1869 das Werk „Die Hörigkeit der Frau (The subjection of women)“.
„In den gebildeteren Staaten ist, …, die Ausschließung der Frauen von den meisten Ämtern und Berufszweigen noch der einzige Fall, in dem Gesetze und Institutionen Personen von der Geburt an unter einen gewissen Bann stellen und nicht gestatten, daß sie während ihres ganzen Lebens nach gewissen Dingen streben.“
Mill argumentierte rechtlich. Er sagte, dass grundsätzlich alle Menschen gleich seien und deshalb auch die gleichen Rechte haben müssten. Dieses Argument, das kurz zuvor zur Abschaffung der Sklaverei geführt hatte, verwendet er nun für die Bewertung der Situation der Frauen.
„So steht denn die Unterdrückung der Frauen als ein vereinsamtes Faktum inmitten der modernen sozialen Institutionen, als einzige Bresche in ihrem wohlgefügten Grundgesetz, als alleiniges Relikt einer vergangenen Zeit,…“
Hedwig Dohm
Eine frühe Vordenkerin des Feminismus in Deutschland war Hedwig Dohm. Mit dem Buch Der Frauen Natur und Recht setzte sie sich 1876 für die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung ein. Sie argumentierte vor allem im Hinblick auf die angeblichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Denn immer noch wurde den Frauen die rechtliche Gleichheit mit dem Argument verwehrt, sie seien den Männern intellektuell nicht gleichwertig.
„Wer der Denk-, Tat- und Willenskraft bis zu einem gewissen Grade entbehrt, wer nach Gottes Ratschluss als ein unselbständiges Geschöpf geschaffen ward, der bedarf der Leitung und Bevormundung – lebenslang.“
Die konsequente Folge daraus für die Frauen:
„Welches ist ihre soziale Stellung? Absolute, das ganze Leben währende Abhängigkeit.“
Eben diese Unfähigkeit der Frauen, als quasi natürliche Eigenschaft bestreitet sie vehement.
Insofern ist ihr Buch Die Antifeministen von 1902 immer noch aktuell. Sie setzt sich darin mit den Argumenten oder besser Vorurteilen der Männer auseinander, die die Forderungen der Frauen nach Gleichberechtigung ablehnen.
Die Forderung nach dem Frauenwahlrecht war für Dohm ein Kernpunkt für die Erlangung der Gleichberechtigung:
„Die Geschichte der Frauen ist nur eine Geschichte ihrer Verfolgung und ihrer Rechtlosigkeit und die Geschichte sagt: Die Männer haben von jeher die Frauen unterdrückt in unerhörter und beispielloser Weise, und die menschliche Vernunft fügt hinzu: Und sie werden sie unterdrücken bis das weibliche Geschlecht Teil hat an der Abfassung der Gesetze, von denen es regiert wird, denn jedes Recht, hinter dem nicht eine Macht steht, ist ein Traumbild und ein Phantom.“
Dohm hatte eine Utopie, deren Verwirklichung immer noch nicht auf der ganzen Welt geschafft ist:
„Aus der Zukunft aber, einer fernen vielleicht, wenn der freien Entwickelung des Weibes keine Schranke mehr gesetzt ist, wird ein Geschlecht emporblühen, dessen Herrlichkeit wir heut kaum ahnen, ein Geschlecht voll Schönheit und Grazie, voll Kraft und Intelligenz, denn schließlich bleibt die Natur immer Siegerin, weil sie eins ist mit der Wahrheit und unzerstörbar.“
Sufragetten: Emmeline Pankhurst und Christabel Pankhurst
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Frauenrechtsbewegung in Europa schon so groß, dass es für ihre Vertreterinnen einen eigenen Begriff gab: Sufragetten. Aus einer englischen Bewegung gegen Zwangsuntersuchungen von Prostituierten zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten wurde eine international beachtete Bewegung zur Durchsetzung des Frauenwahlrechts.
Diese Entwicklung ist insbesondere den Pankhursts zu verdanken, die eine bürgerliche Bewegung mit politischen Aktivitäten formten. 1898 gründete Emmeline Pankhurst in Manchester die Women’s Social and Political Union (WSPU). Das Besondere an dieser Gruppierung war, dass sie nicht nur Artikel schrieben und Plakate klebten. Aktionen, die durchaus auch gewalttätig waren, Demonstrationen, Verhaftungen, Hungerstreiks … die WSPU nutzte alles, was öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte. So zerschlugen im Jahr 1912 150 Aktivistinnen alle Schaufenster in einer Einkaufsstraße in London. Etwas später wurden auch Geschäfte angezündet und Bomben gelegt.
1918 bekamen die Frauen in England ein zunächst noch eingeschränktes Wahlrecht.
Der Durchbruch kam Anfang des 20 Jahrhunderts
Australien, Finnland, Norwegen, Dänemark, Russland … Der Damm war gebrochen und nach und nach führten alle Demokratien das Frauenwahlrecht ein.
Es macht schon nachdenklich, wenn man sieht, wie lange etwas, was uns Heutigen selbstverständlich ist, gebraucht hat, bis es von der Idee zur Realität wurde.
Noch nachdenklicher macht mich allerdings, dass die Argumente erst gehört wurden, als ihnen mit gewalttätigen Aktionen Nachdruck verliehen wurde.
Wie es mit der Gleichberechtigung der Frauen in Deutschland weiterging: Meilensteine der Gleichberechtigung
© Jula 2020