Dieser Text ist etwas, von dem ich dachte, dass es gar nicht existieren würde: Eine empirische Arbeit über Crossdressing bzw. Transvestiten!
Vernon Coleman hat über Zeitungen in Großbritannien Fragebögen kommuniziert und über 1000 Rückmeldungen von Betroffenen erhalten. Die Untersuchung ist eine wahre Fundgrube von Originaltönen, aber auch Quelle interessanter Schlussfolgerungen.
Der Text ist insgesamt so lang, dass er unangemessene Ladezeiten verursachen würde. Deshalb stelle ich nur die Einleitung, den Fragebogen und die generellen Schlussfolgerungen im HTM-Format bereit. Sozusagen als „Management-Summary“.
Die komplette Untersuchung kannst du als PDF lesen.
Men in Dresses – A European Medical Journal Special Monograph
„Der Transvestit ist ein Mann, der einen Weg gefunden hat, in Frieden mit ihr selbst zu leben. Transvestitismus ist ein Geschenk, kein Fluch. Wir sollten dankbar dafür sein.“
Anonymer Transvestit
Einführung
Die European Medical Journal Spezialmonographie über Transvestitismus/Crossdressing basiert auf Fragebögen, die von 414 britischen Männern zwischen Juli und August 1995 ausgefüllt wurden und auf schriftlichen Mitteilungen von über 600 anderen britischen Männern während des gleichen Zeitraums.
Es ist sehr deutlich, dass die meisten Crossdresser weder homosexuell sind, noch verkappte Transsexuelle. Crossdressing ist keine Krankheit und die meisten Transvestiten wollen nicht „geheilt“ werden. Transvestismus ist ein wertvolles Hilfsmittel zur Stressbewältigung.
Transvestitismus: ein soziales Phänomen des 20. Jahrhunderts
Es ist zweifelhaft, ob irgendjemand genau weiß, wie viele Männer Spaß, sexuelle Befriedigung oder Entspannung dabei empfinden, Frauenkleidung zu tragen. Einige Experten haben vermutet, dass 50% aller Männer von Zeit zu Zeit sich ganz oder teilweise mit Frauenkleidung kleiden. Konservativere Schätzungen gehen dahin, dass die Zahl der gelegentlichen oder regelmäßigen Transvestiten in entwickelten Ländern bei ca. 10% der männlichen Bevölkerung liegt. Die potentielle Peinlichkeit und das wahrgenommene soziale Stigma, das mit dem Transvestitismus verbunden ist, führt dazu, dass Männer sehr verschwiegen mit ihren Crossdressing-Gewohnheiten umgehen; folglich ist es einfach nicht möglich, eine genaue Zahl zu ermitteln. Trotzdem scheint es, als wäre Crossdressing eines der am schnellsten wachsenden sozialen Phänomene in der westlichen Welt.
Meine eigenen Studien, die auf den Reaktionen auf meine Telefonberatung beruhen (die von etwa 250.000 Menschen jährlich genutzt wird) weisen darauf hin, dass die Zahl von 1 je 10 wahrscheinlich korrekt ist.
Die Zahl der Anrufer, in denen es um Rat für Transvestiten geht, ist ungefähr die gleiche, wie die Zahl der Anrufer, in denen es um Rat wegen Bluthochdruck geht. Der wesentliche Unterschied ist, dass sowohl Männer als auch Frauen an Bluthochdruck leiden, während Transvestitismus ein rein männliches Phänomen ist. Von bis zu 20 % der Bevölkerung wird vermutet, dass sie von Bluthochdruck betroffen ist und nur die Hälfte davon weiß, dass sie daran leiden. Und davon ist wiederum nur die Hälfte wegen Bluthochdruck in ärztlicher Behandlung. Das lässt darauf schließen, dass etwa 5 % der Bevölkerung dafür in Frage kommen, bei einer Telefonberatung anzurufen, die Informationen über Bluthochdruck anbietet. Da Transvestitismus ein rein männliches Phänomen ist und die Gesamtzahl der Anrufer aus diesem Grund ebenso hoch ist wie die Zahl der Anrufer wegen Bluthochdruck, deutet dies darauf hin, dass 10 % der männlichen Bevölkerung Frauenkleidung trägt.
Terminologie
Die Worte „Transvestit und „Crossdresser“ werden in diesem Artikel durchgängig synonym gebraucht: sie beschreiben ein (üblicherweise und in dieser Studie exklusiv männliches) Individuum, das Kleidung trägt, die üblicherweise mit dem anderen Geschlecht in Verbindung gebracht wird. Das Wort „Crossdresser“ wird üblicherweise von denjenigen Heterosexuellen bevorzugt, die einen klare Abgrenzung zwischen sich selbst und anderen wie zB. „Dragqueens“ wünschen. Wie auch immer, ich behalte das Wort „Transvestit“ bei, weil es allgemein in Gebrauch ist.
Die Untersuchung
Transvestiten/Crossdresser (CD/TV) wurden gebeten, den folgenden Fragebogen auszufüllen.
1. Wie alt waren Sie, als sie begannen Frauenkleidung zu tragen?
2. Warum tun sie es? (mehrere Antworten sind möglich)
a) ich mag das Gefühl von weiblicher Kleidung
b) es gibt mir einen sexuellen Kick
c) Es hilft mir zu entspannen und mit Stress umzugehen
d) ich will wie eine Frau sein
e) keine Ahnung
3. Wenn Sie die Gelegenheit hätten, würden Sie einen operativen Geschlechtswechsel machen lassen? Ja/Nein
4. Kleiden Sie sich vollständig als Frau z.B. einschließlich Perücke und Makeup usw.)? Ja/Nein
5. Haben Sie, weil Sie Transvestit sind
a) einen Job verloren
b) eine Beziehung verloren?
6. Gehen Sie als Frau gekleidet aus dem Haus? Ja/Nein
7. Gehen Sie zu Parties oder Treffen mit anderen Transvestiten? Ja/Nein
8. Sind Sie schon mal als Frau gekleidet einkaufen gegangen? Ja/Nein
9. Wenn Sie als Frau gekleidet ausgehen, wie viele Leute, die sie sehen, sind ihrer Meinung nach überzeugt, dass sie eine Frau sind?
a) niemand
b) einige
c) die meisten
d) alle
10. Tragen sie weibliche Unterwäsche unter ihrer männlichen Kleidung?
a) nie
b) gelegentlich
c) immer
11. In was schlafen Sie?
a) nackt
b) Schlafanzug
c) Nachthemd
12. Hatten Sie jemals Sex mit einem anderen Mann? Ja/Nein
13. Haben Sie Angst davor, dass Menschen herausfinden könnten, dass Sie ein Transvestit sind? Ja/Nein
14. Hat Crossdressing Sie jemals in Konflikt mit dem Gesetz gebracht? Ja/Nein
15. Haben Sie jemals Sex mit einer Frau gehabt während sie als Frau gekleidet waren? Ja/Nein
16. Weiß ihre Partnerin über Ihren Transvestitismus Bescheid? Ja/Nein
17. Findet es ihre Akzeptanz?
a) überhaupt nicht
b) mit Zurückhaltung
c) mit Enthusiasmus
18. Hilft Ihnen Ihre Partnerin bei Kleidungsauswahl, Makeup usw.? Ja/Nein
19. Wie viele Stunden in der Woche verbringen sie als Frau gekleidet:
20. Wie viele Stunden in der Woche würden Sie gerne als Frau gekleidet verbringen:
über Sie: (freiwillig – aber geben Sie bitte so viele Informationen wie ihnen möglich ist)
Alter:
Alter der Partnerin:
Name:
Weiblicher Name:
Beruf:
Adresse: Die kompletten Untersuchungsergebnisse auf deutsch findest du hier als pdf
Generelle Schlussfolgerungen
Vor einigen Jahrzehnten hatten Männer und Frauen eine identische Lebenserwartung. Heutige Zahlen zeigen, dass Frauen sieben Jahre länger leben als Männer. Die Lebenserwartung der durchschnittlichen, weißen Frau beträgt fast 80 Jahre. Die Lebenserwartung des durchschnittlichen weißen Mannes liegt etwas über 70 Jahren. Heutzutage sterben Männer früher an allen üblichen Todesursachen: Herzinfarkt, Krebs, Unfälle, Gewalt und Selbstmord.
Es gibt keine tragfähige physiologische Erklärung für diesen massiven Unterschied in der Lebenserwartung. Natürlicherweise leben Frauen nicht länger als Männer. Noch zur Jahrhundertwende hatten Frauen und Männer eine identische Lebenserwartung. Der riesige Unterschied in der Lebenserwartung liegt also an etwas, das in diesem Jahrhundert geschehen ist. Und ich vermute, dass die Erklärung in sozialen Ursachen liegt.
In den vergangenen Jahren haben die Frauen vernünftigerweise das Recht gefordert, praktisch alle Dinge tun zu dürfen, die auch Männer tun – und sich auf verschiedene, traditionell männliche Weise zu verhalten. Frauen löschen Brände, fahren Lastwagen, sitzen auch dem Chefsessel und zeigen Verhaltensweisen, die traditionell als männlich angesehen werden – und die Frauen in der Vergangenheit üblicherweise unterdrücken mussten. Frauen können so hart und aggressiv wie Männer sein, ohne dass irgendjemand schlecht von ihnen denkt. Und sie können Männersachen tragen, ohne dass irgendjemand mit der Wimper zuckt.
Doch während Frauen das Recht gewonnen haben, Eigenschaften auszuleben, die als männlich eingeschätzt werden – ohne ihre weiblichen Qualitäten zu verlieren – fühlen sich die meisten Männer nicht in der Lage, traditionelle weibliche Eigenschaften zur Schau zu stellen.
Obwohl sie nun in einer Welt zurechtkommen müssen in der sich die Rechte und Erwartungen der Frauen geändert haben, verstecken die meisten Männer immer noch ihre Gefühle vor anderen und sich selbst .Es ist dieses vergraben der eigenen Emotionen, das zur Folge hat, dass Männer durch den Stress so geschädigt werden. Im Herzen sind die meisten Männer ebenso romantisch, mitfühlend und sensitiv wie die meisten Frauen. Tatsächlich scheinen Frauen sehr viel stärker zu sein und besser in der Lage mit Scheidung, Arbeitslosigkeit und Todesfällen umzugehen als Männer.
Die meisten Männer wagen nicht, sich selbst ihre Weiblichkeit einzugestehen – gar nicht davon zu reden, sie anderen zu zeigen. Sie verdrängen ihre Gefühle und erkranken an Bluthochdruck, Herzkrankheiten und einem schwachen Immunsystem. Weil der Druck zunehmend angreifend und unausweichlich wird, leiden Männer mehr und mehr an stressbedingten Krankheiten.
Es ist der gesellschaftliche Wandel, der die Männer tötet und unsere Hospitäler und Altenheime mit achtzigjährigen Witwen füllt. Während Frauen ihre Rolle in der Gesellschaft vergrößert haben (und im Ergebnis gesünder geworden sind) wurden die Männer weiter und weiter in ihre destruktive und krankmachende Maskulinität gestoßen. Den Männern wird immer noch beigebracht, dass sie Helden sein müssen. Sie müssen Leistung bringen und Erfolg haben um Liebe und Respekt zu gewinnen. Männer, die nicht mit Allem fertig werden, sind schwach.
Die Theorie, dass Männer Männer sind und Frauen Frauen und dass das zusätzlich zu den offensichtlichen körperlichen Unterschiedenzu fundamentalen physiologischen und psychologischen Unterschieden führt, die zur Folge haben, dass Männer und Frauen die Welt auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise sehen und in der Folge auf identische Stimuli komplett unterschiedlich reagieren, ist ein Blödsinn. In großem Umfang wird das für Frauen auch nicht mehr angenommen. Aber es gilt noch für Männer.
Die Gesellschaft hat versucht, Männer und Frauen in harten Schwarz-Weiß-Tönen zu definieren, doch in der Realität ist die Wahrheit eine breite Spanne von Grautönen. Aber die Regeln und Erwartungen der Gesellschaft haben zur Folge, dass Individuen, die nicht mit der Strikten Mann-Frau-Dichotomie konform gehen, Höllenqualen erleiden müssen, weil sie sich selbst, ihren Familien und der Gesellschaft gegenüber versagt haben.Viele unterdrücken was sie als „falsche“ oder „unakzeptable“ Gefühle einschätzen – mit schädigenden psychologischen Konsequenzen.
Transvestitismus ist eine gesunde Art Gefühle zu äußern, die wahrscheinlich weit universeller sind, als allgemein angenommen wird. Ich vermute, dass diejenigen, die Crossdressing am lautesten verbannen, vermutlich selbst damit kämpfen mit Gefühlen zurechtzukommen, die sie nicht verstehen und die sie als unakzeptabel empfinden.
Crossdressing wurde beschrieben als eine „symbolische Exkursion quer durch die Geschlechtergrenzen“. Es ist wahrscheinlich eine gesündere und natürlichere Exkursion als wir glauben, weil sie dem Mann ermöglicht seine „weichere Seite“ zu zeigen. Männliche Freiheiten sollten das Recht umfassen, die eigene Weiblichkeit auszudrücken, in der gleichen Weise wie Frauen dafür gekämpft haben ihre Männlichkeit ausdrücken zu dürfen. Alles andere ist sexistisch und unfair. Männer sollten sich nicht schämen, ihre weiblichen Eigenschaften zu zeigen, sie sollten sich nicht zurückhalten, ihre Emotionen zu zeigen, um Hilfe und Unterstützung zu bitten und die traditionelle männliche Härte mit den sanften, weichen Eigenschaften zu verbinden, die tief in ihrem Ineren verborgen sind.
Und Frauen sollten ihr Bestes geben, um ihre Männer darin zu bestärken, ihre Weiblichkeit zu zeigen. Heutzutage sind es nicht die Frauen, die befreit werden müssen, sondern die Männer.
Es gibt viele einfache Wege, wie Männer ihre weiche, feminine Natur an die Oberfläche lassen können. Sie können lernen, ihre ängste zu teilen und sich ihre Verletzlichkeit eingestehen; sie können lernen mehr auf ihre Gefühle zu hören und sie können diese mit ihren Freunden teilen.
Aber es ist nicht immer leicht all das zu tun, wenn du Jahrzehnte mit dem Gegenteil verbracht hast.
Und so findet eine zunehmende Anzahl von Männern eine Abkürzung. Indem sie sich weiblich kleiden können sie ihre feminine, sanfte Seite ausleben und (zumindest zeitweise) ihrem aggressiven, anspruchsvollen und fordernden männlichen Selbst entfliehen.
Letzten Endes kleiden sich Frauen männlich, wenn sie männliche Attribute übernehmen- der weibliche Lastwagenfahrer trägt Jeans und ein kariertes Hemd und die Geschäftsfrau trägt einen Businessanzug und eine Aktentasche.
Ich glaube, dass der Nutzen von Crossdressing groß ist. Meiner Meinung nach ist die entspannenden Wirkung, die Transvestiten durch ihr Crossdressing erfahren so positiv, dass ärzte darüber nachdenken sollten, einige ihrer gequälten männlichen Patienten zu ermutigen, ihren täglichen Sorgen dadurch zu entkommen, dass sie Frauenkleidung anziehen.
Viele Leute nehmen Crossdressing immer noch als einen Witz wahr. Es ist etwas, dass oft Hohn und Gelächter hervorruft. Doch wenn es mehr Transvestiten in unserer Gesellschaft gäbe, dann würden vielleicht weniger Männer an Herzinfarkten, Bluthochdruck und Krebs leiden. Und das ist nicht lächerlich.
Es ist traurig, dass viele von den Männern, die den Mut gefunden haben, dem Stress des zwanzigsten Jahrhunderts dadurch zu entfliehen., dass sie Strumpfhosen anziehen, einen BH und ein Kleid, sich immer noch dafür schuldig fühlen, dass sie das tun.
Es ist Zeit, dass der Spott aufhört und die Scham verbannt wird. Als Frauen für die Gleichberechtigung kämpften, verbrannten sie ihre BHs. Männer, die die für ihre Freiheit kämpfen, tragen sie nun.
Viele Transvestiten geben zu, dass ihre Furcht, dass sie entdeckt werden könnten, viel von der entspannenden Wirkung, die sie beim Crossdressing fühlen, neutralisiert. Als jemand, der große Entspannung durch das Tragen von Frauenkleidung erfahren hat und der das Glück hatte, uneingeschränkte Unterstützung von seiner Partnerin zu bekommen, war ich von vielen der Briefe sehr betroffen, die ich erhielt, während ich diesen Artikel vorbereitete. Es erscheint mir als wichtig, dass diejenigen Transvestiten, die die Möglichkeit dazu haben, offen damit umgehen was sie tun. Transvestismus wird nur dann akzeptiert werden, wenn es weniger Verschwiegenheit gibt. Es ist zu leicht für die, die spotten oder von oben herab Transvestiten angreifen. Wenn selbst diejenigen, die es tun, sich selbst dafür schämen und es in der öffentlichkeit leugnen, dann muss damit etwas falsch sein.
Da ist nichts falsch am Tragen von Frauenkleidung, aber da ist eine Menge falsch an der Gesellschaft.
© für die Übersetzung Jula 2007