Kurzfassung
Das deutsche Namensrecht ist viel zu restriktiv. Es muss geändert werden, damit wir die sein können, die wir sind: Mann, Frau oder beides oder viele!
Der Name ist ein Stück des Seins und der Seele.
Thomas Mann
Ein Individuum, viele Rollen
Jeder Mensch ist ein Individuum
In unserer Gesellschaft herrscht die Überzeugung, dass jedes Individuum immer und überall das Gleiche ist.
Gleichzeitig ist jeder von uns viele. Gesellschaftlich nimmt jedes Individuum unterschiedliche Rollen wahr. Private und professionelle. Jedes Individuum ist in diversen Kontexten eingebunden. Dort ist es zwar immer das gleiche Individuum, aber bei weitem nicht immer die gleiche Person. Es ist anerkannt, dass „Frank“ im Sportverein anders agiert, als der Geschäftsführer „Dr. Meier“. Obwohl es sich um dasselbe Individuum handelt.
Gesetzt ist jedoch, dass alle Rollen sich unter einem Namen zusammenfassen lassen. Von minimalen Ausnahmen (Künstler/innen) abgesehen, wird davon ausgegangen, dass all diese Rollen einer Person zugeordnet werden können, die mit einem Namen in allen Kontexten agiert.
Tatsache ist aber, dass wir mehr und mehr unter verschiedenen Namen agieren. Neben unseren „offiziellen“ Namen, haben wir Spitznamen und häufig auch Pseudonyme im Netz. Durch das Web sind Avatare und Pseudonyme üblich geworden. Viele Menschen agieren mit diversen Namen und Identitäten. Jeder Videospieler hat ein Pseudonym und sei es nur der Name der Figur, die er steuert.
Obwohl also jeder Mensch in größerem oder kleineren Maß verschiedene Personen „spielt“ ist gesellschaftlicher Konsens, dass diese unter einem Namen zusammengefasst werden müssen.
Früher war die verbindliche Zuordnung einer Person zu einem Namen ein Bedürfnis der aufkommenden Industriegesellschaft, um die Anonymität moderner Staaten handhabbar zu halten. Nun führt die Weiterentwicklung dazu, dass die Gewährleistung der Handlungsfähigkeit unter verschiedenen Personen und die Unterstützung der Verwirklichung von Personen in der Vielfalt die neue Herausforderung ist.
Problematisch wird es dann, wenn verschiedene, mehr oder weniger öffentliche Personen jeweils rechtsverbindlich handeln wollen oder müssen. Dann müssen die Handlungen auf ein konkretes Individuum mit einem Personalausweis zurückgeführt werden können.
Rechtliche Situation in Deutschland
Rechtlich betrachtet, prallen zwei wichtige Anliegen aufeinander: Anonymität und Persönlichkeitsschutz der Individuen versus die Interessen der Gesellschaft an Rechtssicherheit und Identifizierbarkeit. Damit entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Persönlichkeitsrecht (und damit auch dem Recht anonym zu bleiben oder mich so zu nennen, wie ich will) und staatlichem Interesse an Identitfizierbarkeit.
Eindeutige Identifizierbarkeit ist ein wichtiges Rechtsgut. Sowohl im zivilen Rechtsverkehr, wie auch im Kontakt zu Behörden und im Bereich des Strafrechts muss das Individuum eindeutig sein. Dabei geht es nicht um die Identität als individuelle Selbstdefinition, sondern um die Identifizierbarkeit eines Individuums.
Aus dem Personenstandsrecht ergeben sich zwei Themenfelder. Zunächst ist da die Frage, welchen Namen jemand hat und unter welchen Aspekten er diesen ändern lassen kann. Das zweite Thema ist die Frage nach der Zulässigkeit von Pseudonymen.
Namensrecht
Namen sind wichtig! Deshalb gehört zu den zehn Grundrechten in der UN-Kinderrechtskonvention auch das Recht auf einen Namen. Wir werden erst mit Namen zu richtigen Menschen. Umgekehrt vermuteten wie ein Stück unseres Menschseins, wenn man und unseren Namen nimmt und zur bloßen Nummer macht.
Deshalb ist das Namensrecht gem. §12 BGB ein „absolutes Recht“, also eines, das gegenüber allen geschützt wird.
Nichts gehört so sehr uns, wie unser Name. Zumindest theoretisch ist das so.
Der Familienname ordnet uns einer Familie zu, während der Vorname uns ganz speziell als Individuum kennzeichnen soll. Wir suchen ihn uns nicht aus, sondern bekommen ihn gleich nach der Geburt.
Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz (PStG-VwV) Ziffer 21.2.1:
“Das Recht zur Erteilung der Vornamen ergibt sich aus der Personensorge. Die Sorgeberechtigten sind grundsätzlich bei der Vornamenswahl frei, jedoch dürfen die gewählten Vornamen dem Kindeswohl nicht widersprechen. Mehrere Vornamen können zu einem Vornamen verbunden werden, eine solche Verbindung sollte nicht mehr als einen Bindestrich enthalten.”
Dies ist die detaillierteste Regelung auf Bundesebene zu diesem Thema. Das Gesetz regelt inhaltlich nichts näheres zu den Vornamen.
Geschlechtsoffenkundigkeit
Neben der Einschränkung, dass man Kindern keine anstößigen Vornamen geben darf, unter denen sie später vermutlich leiden werden, gilt in Deutschland das Prinzip der „Geschlechtsoffenkundigkeit“. Das bedeutet, dass der Vorname eindeutig männlich oder weiblich sein muss.
Die Regelung, dass der Name eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sein muss, ergibt sich vermutlich aus der Bindung der Namenswahl an das Kindeswohl.
Namenskontinuität
Das ist das zweite Prinzip, dass das Namensrecht in Deutschland prägt. Wenn man einen Namen hat, dann lässt sich der in Deutschland so gut wie nicht mehr ändern. Eine Änderung des Namens, egal ob Vorname oder Familienname ist nur aus wichtigem Grund möglich.
Angesichts der Tatsache, dass der Name so wichtig für die Person ist und sie schließlich damit zurechtkommen muss, ist das eine verblüffende Bevorzugung der staatlichen Interessen gegenüber den Interessen des Individuums. Andere Staaten in Europa sehen das viel entspannter. Auch Deutschland war nicht immer so rigide. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts konnte man fast in allen deutschen Landen seinen Namen frei ändern.
Recht auf Pseudonyme
Angesichts der vorherigen Prinzipien ist es etwas überraschend, dass das Recht auf Pseudonyme auch in Deutschland gilt. Da haben die Namens-Taliban offensichtlich geschlafen, als sie Art. 2 GG in die Welt kommen ließen!
Dank des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, darf ich mich in der Welt und natürlich auch im Internet unter beliebigen, verschiedenen Namen bewegen und auch anonym bleiben, wenn ich das möchte.
Zusammenfassend: obwohl unser Name so wichtig für und als Menschen ist, wie wohl nichts anderes, bekommen wir ihn von unseren Eltern zugewiesen. Und später, wenn wie selbst entscheiden können, lässt er sich nur sehr schwierig ändern.
Transgender haben den „falschen“ Personalausweis
Diese Situation führt für Transgender, die nacheinander oder auch parallel zwei Geschlechtsrollen leben, zu Schwierigkeiten. Das ist keine abstruse Gedankenspielerei. Es gab schon immer und gibt zunehmend mehr trans Personen, die für sich Genderfluidität als richtig Art zu Leben erkennen.
Wir haben zwar grundsätzlich das Recht, uns so zu nennen, wie wir möchten. Und können folglich auch ohne staatliche Erlaubnis mit einem Namen auftreten, der mit unserer gerade relevanten sozialen Geschlechtsrolle einhergeht. Doch das funktioniert nur so weit, wie man keine offizielle Bestätigung der Identität braucht. Überall, wo es um Rechtssicherheit geht, braucht man einen Personalausweis oder ein ähnliches Papier. Und die gestatten nur eine Identität. Das ist für viele ausreichend, aber nicht für Transgender.
So bekommt man inzwischen nicht mal mehr eine weibliche Kreditkarte (als Partnerkarte), obwohl für sie das männliche Konto haftet.
Die zunehmenden und berechtigten Versuche, die Vertrauenswürdigkeit der Kommunikation zu gewährleisten, haben Auswirkungen. Sie führen durch die Fokussierung auf den Personalausweis zu einer Persönlichkeitsverletzung von Transgendern. Ich bin gezwungen, meinen Vertragspartnern zu offenbaren, dass ich „offiziell“ einen anderen Namen habe, oder ich muss auf dass Rechtsgeschäft verzichten.
Die Fokussierung auf den mit immer weiteren Möglichkeiten versehenen Personalausweis macht für Transgender die Räume enger. In dem Moment, wo ein Ausweis verlangt wird, werden sie gezwungen, ihre Persönlichkeit mit Facetten offenzulegen, die Dritte nichts angehen.
Zudem ist die Annahme, alle Transgender würden es anstreben, einfach nur die offizielle Identität dauerhaft zu wechseln, schlicht falsch. Ja, dazu zwingt uns aktuell die Gesellschaft. Aber es ist z.B. nicht das, was ich für mich anstrebe. Für meine Frau, mein Kind und für meinen Arbeitgeber möchte ich aus ganz verschiedenen Gründen gerne sozial Mann bleiben. Andererseits möchte ich mich aber auch als Frau verwirklichen können. Dazu gehören soziale Kontakte als Frau ebenso wie geschäftliche Aktivitäten oder Reisen.
Das bringt es mit sich, dass ich ebenso in männlicher wie in weiblicher Rolle das Bedürfnis und die Notwendigkeit habe, Verträge abzuschließen und mich identifizieren zu können.
Ein besseres Namensrecht
Das Ziel, rechtsverbindliche Handlungen genau einem Individuum zuordnen zu können, kann mit den modernen Möglichkeiten anders gewährleistet werden als durch den Zwang, nur unter einem unveränderlichen Namen aufzutreten.
Deshalb wünsche ich mir zur Verbesserung der Lebenssituation von Transgendern, aber auch ganz allgemein zur Förderung der Selbstverwirklichung aller Menschen Änderungen im deutschen Namensrecht.
Freie Namenswahl
Die in vielen Ländern praktizierte freie Wahl des Namens sollte auch in Deutschland realisiert werden.
Ausgerechnet das wichtigste Merkmal, mit dem ich nach außen kommunizieren muss, darf ich mir nicht selbst aussuchen.
Identitätsmanagement
Das Bedürfnis nach eindeutiger Identitfizierbarkeit bedeutet nicht zwangsläufig, dass es immer bloß eine Identität sein muss. Auch unterschiedliche Namen und Identitäten kann man einem konkreten Individuum sicher zuordnen.
Das Problem wäre gelöst, wenn es einen Weg gäbe, differierende Identitäten sicher einem Individuum zuzuordnen. Welcher Schaden entsteht, wenn eine Person mehrere Identitäten hat? Es muss doch nur sichergestellt werden, dass das Individuum immer identifizierbar bleibt.
Wenn klar ist, welches Individuum sich dahinter verbirgt – warum darf ich dann nicht Ausweise auf verschiedene Namen haben?
Es ist meines Erachtens nicht sachgerecht, Künstlern und Ordensleuten das Recht auf einen echten, anderen Namen zu gewähren, es aber allen anderen Personen zu verweigern.
Warum werde ich gezwungen, meine Individualität und mein Recht auf anonyme Selbstverwirklichung auf dem Altar der Rechtssicherheit zu opfern?
Die sachgerechte Lösung ist ein garantiertes Identitätsmanagement, bei dem ich Künstlernamen, Aliase, Zweitidentitäten registrieren lassen kann, und das allen Menschen ohne Notwendigkeit einer Begründung offensteht. Niemand müsste einen zweiten Namen haben, aber die Möglichkeit dazu sollte allen offen stehen
Das ermöglicht, dass ich mit z.B. Identitätskarten als Frau agieren kann und die Rechtssicherheit, dass die dahinterstehende Person haftet, gewahrt bleibt.
Querverweise
© Jula Böge 2015