An einem Wochenende im November 2014 gab es die Themenwoche Toleranz der ARD unter dem Motto „anders als du denkst“.
Allerdings war auch das mediale Echo anders als gedacht, denn Aktivist*innen im Netz, Medien (beispielhaft hier in der ZEIT) und sogar der sonst eher betuliche DPWV regen sich über die Plakatmotive auf, die die ARD gewählt hat.
Tatsächlich erwecken die Bilder mit den Beschriftungen den Eindruck, als gehe es der ARD darum den deutschen Fernseh- und Hörfunkkonsumenten zu beweisen, dass Schwule, Behinderte oder Ausländer doch nicht so pervers, lebensunfähig oder arbeitsscheu sind, wie der brave Bürger sich so denkt. Warum genau stellt sich die Frage, ob eine Person eventuell eine Belastung für die Gesellschaft ist, ausgerechnet am Beispiel eines dunkelhäutigen Menschen? Ich stelle mir diese Frage eher, wenn ich ein Bild von einem katholischen Bischof sehe.
Wo ist das Problem?
Die Werbung für Toleranz bleibt weit hinter dem Anspruch derjenigen zurück, die heute in Deutschland gegen die Diskriminierung von Minderheiten kämpfen. Die ARD erweckt den Eindruck, es gehe nicht darum ein selbstverständliches Recht in unserer Gesellschaft einzufordern, sondern eher um eine großzügige Geste einer breiten Mehrheit gegenüber andersartigen Minderheiten.
Toleranz, das sei deutlich gesagt, ist in unserer Gesellschaft keine Tugend, sondern einfach eine Selbstverständlichkeit. Wenn Menschen, die anders sind, allein deshalb diskriminiert werden, dann ist das nicht nur übel, sondern schlicht ein Verstoß gegen Menschenrechte und Grundgesetz (s. Art. 3 GG). Schon, dass man darüber noch reden muss, ist unverschämt. Trotzdem scheint die Situation aber in Deutschland noch so zu sein.
Eine breite Sicht in der Gesellschaft scheint dahin zu gehen, dass es sich um Bringschulden der Minderheiten handelt. Die Mehrheit hat eine historisch entwickelte Vorurteilshaltung und nun müssen die Minderheiten beweisen, dass diese Vorurteile falsch sind.
Das ist schon deshalb eine fast unlösbare Aufgabe, weil Vorurteile bekanntlich realitätsfest sind. D.h. sie bleiben auch bei entgegenstehenden Fakten stabil, ja werden vielleicht sogar noch fester. Die Beispiele oder Fakten werden nicht dahingehend verstanden, dass diese die Regel negieren, sondern sie werden zu Einzelbeispielen umdefiniert, die als Ausnahmen die Regel letztlich sogar bestätigen.
Daraus folgt, dass die Förderung der Toleranz durch die Kommunikation von Beispielen, dass die jeweilige Minderheit „gar nicht so ist“, wenig oder gar nichts bringt. Es wird nicht die moralische Pflicht betont, Toleranz üben zu müssen, weil derjenige der diskriminiert sich für sein Handeln rechtfertigen muss und nicht derjenige, der diskriminiert wird.
Stattdessen sollte sich Förderung der Toleranz darauf fokussieren, die Grundlagen der Intoleranz sichtbar zu machen und einer Kritik zu unterziehen. Die richtige Frage wäre also beispielsweise: „Wieso glaubst du, dass Homosexuelle nicht normal sind?“ Und in der Pflicht, diese Frage zu beantworten sind diejenigen, die eine solche Haltung haben. Sie müssten sich auf Basis unserer Rechtsordnung dafür rechtfertigen, dass sie sich nicht an die Grundwerte unserer Gesellschaft halten.
Die Stufen
Toleranz ist nicht genug
Toleranz ist nicht der Endpunkt des Prozesses, den die Gesellschaft zu leisten hat. Das wusste schon Goethe:
„Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“
Ich jedenfalls will nicht bloß nicht toleriert werden! Ich bin nicht damit zufrieden, dass die Mehrheitsgesellschaft mich mich duldet. Ich will mehr.
Gerade für die Menschen, die noch damit ringen, ob sie Personen wie mich überhaupt tolerieren können und dürfen, mag dieses Anliegen unverschämt sein. Vielleicht ist es das vor allem deshalb, weil für sie noch nicht sichtbar ist, was es darüber hinaus noch geben könnte. Das gesellschaftliche Ziel stelle ich mir als Treppe vor.
Unkenntnis
Die Basis der Treppe bildet die Unkenntnis. Sie ist so etwas wie der Status der Unschuld. Weil außer von den Betroffenen selbst niemand etwas von Normabweichungen weiß, hat die Breite der Gesellschaft auch keine Meinung dazu. Es ist noch gar nicht so lange her, dass das Phänomen der Transidentität sich für unsere Gesellschaft auf dieser Ebene befand.
Gleichgültigkeit
Wohl die meisten Menschen bei uns stehen Phänomenen wie Transidentität oder Intersexualität gleichgültig gegenüber. Man weiß zwar, dass es Normabweichungen gibt, aber man ist immer noch so frei, keine Meinung haben zu müssen, weil man niemanden persönlich kennt. Es hat schlicht nichts mit dem eigenen Leben zu tun.
Auf dieser Ebene gibt es gleichwohl schon häufig Meinung. Diese ist häufig umso negativer, je weniger man direkt von dem Phänomen betroffen ist. So ist die Ablehnung von Ausländern in Deutschland faktisch dort am größten, wo es praktisch gar keine gibt. Das Gute daran ist, dass die Ablehnung von nicht vorhandenen Ausländern sich nur selten in konkreten Akten der Diskriminierung äußern kann.
Toleranz
Danach kommt die Stufe der Toleranz oder Duldung, die aber nicht die letzte sein darf. Man hat eine Meinung zu einer bestimmten Gruppe von Personen und diese Meinung ist mit einer in aller Regel negativen Bewertung verknüpft. Diese Personen sind anders als man selbst und auch anders als man selbst das gut findet. Aber man jagt sie nicht mit Knüppeln und Steinen, sondern lässt sie gewähren. Es ist nicht okay, aber man nimmt es hin, erträgt es.
Aus dieser Beschreibung wird deutlich, dass Toleranz immer etwas ist, das von der Mehrheit einer Minderheit gewährt wird. Schon das Wort „gewähren“ macht deutlich, dass es sich um einen freiwilligen Akt handelt, der ebenso gut unterbleiben könnte. Toleranz hat etwas von Großzügigkeit, von Gnade. Sie ist kommt gönnerhaft daher und ist so etwas wie ein Zugeständnis.
Doch das ist auf Basis unseres Wertesystems falsch. Unser Grundgesetz verlangt, dass man alles hinnimmt, was nicht in die Rechte anderer eingreift oder direkt verboten ist.
Für viele gesellschaftliche Phänomene ist damit das Ende der Treppe erreicht. Speziell für das weite Feld der Kleidungs- und Verhaltensmoden braucht es nicht mehr als das. Jemand der Tattoos oder Fetischmode in der Öffentlichkeit präsentiert, braucht zwar die Toleranz, aber nicht mehr. Transgender benötigen jedoch die Mitwirkung der Umwelt. Sie benötigen eine Reaktion, damit ihre Geschlechtskonstruktion funktioniert. Ich kann nicht Frau sein, wenn mich die anderen Menschen als verkleideten Mann behandeln und mir die soziale Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht verweigern. Wie der Soziologe Manfred Hirschauer richtig sagt: “Ein Geschlecht hat man nur, wenn man es für andere hat.“
Akzeptanz
Menschen mit anderem Aussehen, Behinderung, sexueller Identität, Geschlechtsidentität brauchen Anerkennung! Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Gesellschaft akzeptiert, dass es diese anderen Menschen gibt und dass sie keine Bedrohung für einen selbst sind. Akzeptanz ist, was sich die meisten Vertreter*innen von Minderheiten wünschen. Sie möchten so genommen werden, wie sie sind, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Dazu gehört Freundlichkeit und Respekt im Umgang ebenso wie die Gewährung gleicher bürgerlicher Rechte (Ehe u.a.m.).
Selbstverständlichkeit
Was, das war noch nicht alles? Nein! es gibt noch eine weitere, letzte Stufe. Denn dann, wenn Selbstverständlichkeit erreicht ist, gibt es nichts mehr zu akzeptieren oder tolerieren. Stattdessen hat sich die Norm so angepasst, dass die vorher außen Stehenden nun Teil der Normalität sind. Die Normalität ist dann vielfältiger geworden. Man denkt gar nicht mehr darüber nach, ob Homosexuelle normal sind. Und auch nicht ob Transgender nicht „eigentlich ein anderes Geschlecht“ haben.
Dies ist der Status, den ich erreichen möchte. Für die Minderheit der ich angehöre, aber auch für die anderen Minderheiten, die unter Diskriminierung leiden. Aktuell, dessen bin ich mir bewusst ist es noch ein weiter Weg.
Resümee
Als Angehörige einer besonders von Diskriminierung betroffenen Minderheit, bin ich selbstverständlich für alle Aktivitäten dankbar, die helfen, unsere Position in der Gesellschaft zu verbessern. Mir ist bewusst, dass ein besonderes Problem dabei ist, dass speziell das Anliegen von Transgendern sich gegen die „natürliche Ordnung“ zu wenden scheint. Während Homosexualität immerhin noch die als selbstverständlich empfundene Ordnung der zwei Geschlechter unberührt lässt, wird in diese durch Transgender aber auch durch DSD-Betroffene eingegriffen. Das bringt mit sich, dass bei uns die Grenzen der Toleranz schnell überschritten sind. Zudem ist auch der Wissensstand über die Thematik selbst und die Vielfalt in der scheinbar einfachen Welt der Geschlechter noch sehr schlecht.
Die Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft hat gerade erst das Phänomen zur Kenntnis genommen und ist noch weit davon entfernt es auch nur zu verstehen. Sie ringt damit ob sie das dulden/tolerieren kann.
Demgegenüber sind die Betroffenen ein ganzes Stück weiter. Sie haben für sich bzw. wir haben für uns bereits erkannt, dass unser Anliegen für die Gesellschaft nicht bedrohlich ist. Dementsprechend erwarten wir, dass wir damit akzeptiert werden.
Offensichtlich muss ich geduldig sein. Die Treppe muss vermutlich Stufe für Stufe gegangen werden und man muss erst eine Stufe bestiegen haben, bevor man die nächste in Angriff nehmen kann.
© Jula 2014