Zum Inhalt springen

Wen schützt das TSG?

  • von
Das TSG kann weg!

Ein Beitrag zur Diskussion um die Revision des TSG
Die TSG-Reform steht bevor. Das ist schon seit vielen Jahren so. Es gab mehrere Anläufe, die alle versandet sind. Expertenrunden tagen und vieles wird erwogen. Es ist offensichtlich kompliziert!
Doch warum tut sich die Politik eigentlich so schwer mit der Reform?

Die offizielle Position: Es geht um uns, die Betroffenen!

Uns soll Sicherheit gegeben werden und vor allem sollen wir vor Entscheidungen geschützt werden, die wir später vielleicht bereuen. Deshalb gibt es Überlegungen, ob und inwieweit Gutachten und Expertisen von Psychologen oder Ärzte notwendig sind.

Allerdings halte ich das für vorgeschoben. Die Probleme von Transgendern liegen tatsächlich zum geringeren Teil in uns selbst. Wir wissen in aller Regel schon, wer und wie wir sind. Unsere Probleme fangen so richtig erst da an, wo wir uns entscheiden, unser Inneres nach außen sichtbar werden zu lassen. Die enervierenden Verfahrensvorschriften und die hohen Kosten sind unser Problem.
Wenn es wirklich nach unseren Interessen ginge, wäre es ganz einfach! Siehe Weg mit dem TSG!

Die Wahrheit: Es geht um die Interessen der Gesellschaft!

Es geht nämlich nicht um die betroffenen Personen, sondern um den Umgang mit einem Faktum, das nicht in die tradierten Modelle und Normen passt. Die ganzen Restriktionen dienen dem Schutz der Gesellschaft und unseres vertrauten Modells von Gender in Form von zwei strikt getrennten Geschlechtern.

Geschlecht und Gender sind nämlich nicht bloß irgendwelche persönlichen Eigenschaften. Sie sind die Basis vieler Differenzierungen und Institutionen, die unsere Gesellschaft prägen.

Geschlecht ist unveränderlich

Genauer gesagt geht es um einen Aspekt unseres gesellschaftlichen Modells von Geschlecht und Gender, nämlich die Unveränderlichkeit. Das Modell geht ungeachtet der gesellschaftlichen Realität, in der es Gendervarianz und operative Angleichungen schon lange gibt, weiter davon aus, dass das Gender einer Person unveränderlich ist. Vieles mag sich bei ihr ändern (Name, Alter, Familienstand …) doch das rechtliche Geschlecht und die daraus folgende soziale Rolle werden als grundsätzlich  unveränderlich gesehen.

Der Wechsel des Gender ist in der Realität unserer Gesellschaft mit seiner ganzen Tragweite noch nicht angekommen. Er gilt als das individuelle Problem von einzelnen, sehr seltenen Personen. Im Bereich von Arbeitsverhältnissen, Bankkonten usw. ist die Realität eines geänderten Personenstandes oder Namens zwar schon bekannt. Staatliche Institutionen und auch Arbeitgeber konnten sich dem Thema wegen des AGG und anderem nicht entziehen. Sie mussten deshalb zur Kenntnis nehmen, dass Frauen nicht unbedingt immer Frauen bleiben bzw nicht immer Frauen waren. Aber insgesamt doch: Privatsache, irrelevante Einzelfälle.

Denken wir doch nur an die ganzen Vereine! Bei den Vereinen ist das anders. Da gibt es viele, die Mitgliedschaft am Personenstand (rechtliches Geschlecht) festmachen und nie einen Gedanken daran verschwendet haben, dass sich das ändern könnte.

Besonders betroffen sind die vielen Männerbünde! Es sind nicht nur Revanchisten, sondern auch Freimaurer, Serviceclubs (Rotary, Lion) etc die aus Tradition geschlechtllich differenzieren und bestenfalls separate Ableger für Frauen zulassen. Was machen die mit Mitgliedern, die plötzlich qua Satzung nie Mitglied geworden sein konnten, es nun aber immer noch sind? Rein statistisch kommt auf 1.000 Mitglieder mindestens eine Transperson! Bisher mussten Burschenschaften nur vereinzelt zur Kenntnis nehmen, dass einer ihrer „Alten Herren“ nun eine „Alte Dame“ ist. Es ist nicht so, dass ich z.B. dem Katholischen Männerverein direkt ein transsexuelles Mitglied wünsche. Aber ein wenig würde es mich schon freuen, wenn deren heile, traditionale Welt plötzlich mit einer nicht dazu passenden Realität konfrontiert würde.

Eine wirklich moderne und einfache Regelung zu Änderungen beim rechtlichen Geschlecht und Vornamen  würde das Denken unserer Gesellschaft über Gender verändern.

Je mehr Fälle es von geänderten Namen und geändertem Personenstand mit oder ohne operative Anpassungsmaßnahmen gäbe, umso größer wären die Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt. Je leichter der Wechsel des Gender (des rechtlichen Geschlechts oder auch nur des Vornamens) ist, desto häufiger wird er vermutlich vorkommen. Bestimmt nicht aus Jux und Dollerei, wie manche befürchten und deshalb den Untergang des Abendlandes halluzinieren, aber eben doch mehr. Und umso mehr es das gibt, umso mehr müssen sich Personen und Institutionen zu dem Thema verhalten, die bisher davon praktisch unbehelligt blieben. Viele – eigentlich nicht Betroffene – müssten sich der Erkenntnis stellen, dass Gender und das rechtliche Geschlecht sich ändern können. Es wäre ein Zwang zum Neu- und Umdenken.

Insofern haben Regelungen zum rechtlichen Umgang mit Transpersonen etwas von der Quadratur des Kreises: Einerseits gebieten die Menschenrechte, den betroffenen Personen eine Perspektive zu geben. Andererseits will man nicht so weit gehen, zuzugestehen, dass das Modell nicht stimmt, denn das würde bei der Mehrheit der Menschen nicht auf Verständnis stoßen.
Der inoffizielle Zweck des Gesetzes ist es folglich vorrangig, das Thema zum Verschwinden zu bringen, bzw., wenn das nicht geht, wenigstens die Fallzahlen zu minimieren. Damit wird die Relevanz des Themas zurückgedrängt. Wenn es nämlich viele Fälle gibt, dann hat das Auswirkungen bis hin zur Erosion des vertrauten Modells von Gender.

Noch mehr Probleme

Der Schutz des traditionalen Gendermodells ist zwar der offensichtlichste Aspekt, der eine menschenrechtskonforme und moderne Ausgestaltung des Rechts für Transgender schwierig macht, aber nicht der einzige.

Die gleichgeschlechtliche Ehe

Mit der gesetzlichen Einführung der Ehe für Alle ist inzwischen eines der Hindernisse für eine menschenrechtskonforme Neuregelung entfallen.

Namensrecht

In vielen Ländern ist es schnell und preiswert möglich, seinen Namen zu ändern. Es braucht weder einen wichtigen Grund noch ein kompliziertes Verfahren. In Deutschland ist das anders. Bei uns gilt der Grundsatz der Unabänderlichkeit des Namens. Er darf nicht eigenmächtig und vor allem nicht ohne wichtigen Grund geändert werden. Geschütztes Interesse ist hier das Ordnungsbedürfnis des Staates! Das wiegt höher, als der Wunsch von Einzelnen, einen Vornamen zu haben, der sie sozial richtig kennzeichnet. Warum in Deutschland die Ordnung nicht gestört wird, wenn jemand wegen einer Heirat den Nachnamen ändert, habe ich immer noch nicht verstanden.

Im Zeitalter von Datenbanken und IT sollte das mit dem Namen kein Problem mehr sein, aber was weiß ich schon.

Die aktuelle Situation

Für den Umgang mit Transgendern und Intersexuellen gilt in Deutschland immer noch: Nicht das Raster ist falsch, sondern die Personen. Also wird was nicht passt eben passend gemacht. Unsere Gesellschaft akzeptiert zwar die Notwendigkeit, menschenrechtskonforme Regelungen erlassen zu müssen. Aber der Schutz tradierter Modelle und Institutionen zählt letztlich doch mehr als das Individuum. Das Recht ist dabei nicht der letzte Grund, sondern nur das Mittel, mit dem die Gesellschaft ihre Vorstellungen von Gender und Familie umsetzt.

Wie geht es weiter?

Bis vor kurzem hätte ich noch gesagt: Das sind alles Abwehrgefechte! Die Menschenrechte, sind auf unserer Seite, es gibt die Yogyakarta-Prinzipien, den EUGH, das Grundgesetz und das BVerfG. Die Weiterentwicklung der Gesellschaft hin zu einer Akzeptanz von Diversität auch beim Gender ist nicht aufzuhalten. Alles wird gut.

Aktuell bin ich mir nicht mehr so sicher. Das Erstarken von Rechtspopulisten und das Aufkommen von „alternativen Fakten“, die nicht der Realität sondern nur der eigenen Meinung entsprechen, machen mich misstrauisch. Wird man künftig wirklich das Modell ändern, bloß weil es nicht der Realität entspricht? Oder doch lieber weiterhin die Realität den vertrauten Modellen mit klaren Kategorien anpassen?

Bei der bevorstehenden Reform des TSG wird man vermutlich den Spagat versuchen. So viele Rechte für die Transgender wie unbedingt sein müssen, damit das neue Gesetz nicht gleich wieder vom BVerfG kassiert wird. Und so wenig Zugeständnisse wie es nur irgend geht, damit die Gesellschaft nicht auf den Gedanken kommen muss, ihre Vorstellungen von Männern und Frauen seien eventuell falsch oder zumindest zu einfach.
Ich bin gespannt.

Kurzversion

Die Diskussion um das TSG ist nur deshalb so schwierig, weil die Gesellschaft davor geschützt werden soll, vertraute Institutionen an die Realität anpassen zu müssen.

Querverbindungen

© Jula Böge 2017, aktualisiert 2019

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.