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Wo sind die diversen Menschen?

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Statistik und Dritte Option

Seit einiger Zeit gibt es die Dritte Option beim Geschlechtseintrag. Das bedeutet, neben männlich und weiblich ist als Eintrag beim Personenstand auch „divers“ oder gar kein Eintrag möglich. Wie wirkt sich das auf unsere Gesellschaft aus? Wie viele Menschen sind das? Wie leben Sie? Darüber könnte man sich eventuell aus den offiziellen Statistiken informieren.

Auszug aus der Statistik der Studierenden

Aber halt. Da tauchen diese Optionen gar nicht auf. Egal, welche Fachstatistik man anschaut, es gibt nur Männer oder Frauen. Die Statistiken zur Bildung und zur Beschäftigung, die Kriminalstatistik etc . kennen keine Dritte Option. Sie berichten weiter ausschließlich über Männer und Frauen und die beiden Geschlechter bilden gemeinsam 100% der Gesamtheit.

Wo sind die Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Eintrag divers?

Die gute Nachricht ist: Die Werte werden erhoben bzw. erfasst.
Aber die veröffentlichten Statistiken berichten nicht darüber. Dort erscheinen weiterhin nur die Kategorien Mann oder Frau.

Ich zitiere aus einem (internen) Papier der Statistikbehörden:

„Die Leitungen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder haben im Mai 2019 hinsichtlich der Erfassung des Geschlechts einheitliche Vorgaben für die amtlichen Statistiken beschlossen. Danach ist in allen Statistiken (außer in der repräsentativen Wahlstatistik) das Geschlecht grundsätzlich in den vier laut Personenstandsgesetz (PStG) möglichen Ausprägungen zu erheben. Außer „männlich“ und „weiblich“ sind auch die Ausprägungen „divers“ und „ohne Angabe“ (im Geburtenregister) separat zu erfassen.

Für Fälle des Dritten Geschlechts, die zur Wahrung der Geheimhaltung nicht explizit veröffentlicht werden können, erfolgt künftig in den Veröffentlichungen der statistischen Ämter einheitlich eine Zuordnung der Merkmalsausprägungen „divers“ und „ohne Angabe“ zu den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ per Zufallsprinzip (ohne proportionale Quotierung, mit Erwartungswert von 0,5). Das Statistische Bundesamt hat die Anpassung des Fachverfahrens sowie der Begriffe und Erläuterungen veranlasst.“

Das ist, was mit den Personen passiert, die in keine der beiden Kategorien fallen! Sie werden einer der beiden nach dem Zufallsprinzip (Erwartungswert 0,5) zugeordnet.

Warum tun die Statistikämter das?

Offizielle Begründung ist das Retten der nach Geschlechtern getrennten Berichterstattung. Weil man kleine Fallzahlen für die Dritten Optionen erwartet, würden diese sehr weitgehend die genaue geschlechtergetrennte Berichterstattung stören, weil man wegen des Statistischen Datenschutzes (Rückrechnungsmöglichkeit!) dann auch nicht mehr über Frauen und Männer berichten könnte. Zumindest nicht für kleine regionale Einheiten oder Kategorien (z.B. Berufe).

Was sind die Folgen?

Was aus statistischer Sicht als sinnvoll erscheint, hat Nebenfolgen. Jede Person, die in die deutschen Statistiken schaut, gewinnt den Eindruck, dass es nur Männer oder Frauen gibt. Selbst, wenn korrekt in den Erläuterungen darauf hingewiesen wird, wie die Statistikämter vorgegangen sind, bleibt das Makulatur. Wer liest (und versteht) denn schon die Erläuterungen zu Datentabellen. Es bleibt der Eindruck, dass es gar keine diversen Personen und solche ohne Geschlechtseintrag gibt. Die vorhandene Minderheit wird unsichtbar gemacht. Es gibt in den Berichten diese Personengruppen einfach nicht.

Damit wird der falsche Glaube zementiert, dass jede Person eindeutig entweder Mann oder Frau ist. Menschen, die sich nicht zuordnen können, werden damit trotz der grundsätzlichen staatlichen Anerkennung in der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet.

Die Relevanz wird geleugnet

Der Verzicht auf eine separate Berichterstattung hat implizit die Wirkung, dass diese Gruppe von Personen keine gesellschaftliche Relevanz hat. Jedenfalls nicht genug, um sie und ihre spezielle Situation für berichtenswert zu halten.
Wie soll sich unsere Gesellschaft verändern, wenn eine Personengruppe, die mit spezifischen Benachteiligungen zu kämpfen hat, quasi offiziell für irrelevant erklärt wird?

Der Kampf um Anerkennung wird erschwert

Das finde ich problematisch. Queere, nicht-binäre und intersexuelle Personen kämpfen in unserer Gesellschaft immer noch um Anerkennung. Dafür ist es zunächst einmal nötig, dass unsere Gesellschaft akzeptiert, das es sie in relevanter Anzahl gibt. Immer wieder taucht in Diskussionen zur Dritten Option das Argument auf, es handele sich dabei nur um eine verschwindend kleine Minderheit. Das mit der Minderheit stimmt schon. Aber sie ist nicht „verschwindend klein“. Sie erscheint nur so marginal, weil sie zum Verschwinden gebracht wird. Auch dadurch, dass sie in offiziellen Statistiken nicht auftaucht.

Benachteiligungen bleiben unentdeckt

Statistiken sind in unserer Gesellschaft eine wesentliche Grundlage für staatliche Entscheidungen. Sie werden herangezogen, wenn Gesetze erlassen und Gelder verteilt werden. Speziell die nach Geschlecht getrennte Berichterstattung ist wichtig, um Benachteiligungen erkennen und ggf. Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Wenn aber über eine Gruppe gar nicht berichtet wird, dann gibt es auch keine Fakten, mit denen man argumentieren könnte.

So ist eine wesentliche Grundlage der Frauenförderung in unserer Gesellschaft, dass man nachweisen kann, wo und wie Frauen immer noch in unserer Gesellschaft benachteiligt werden.

Wie ist es aber mit Menschen, die weder Mann noch Frau sind? Wenn es z.B. laut Statistik keine nichtbinären bzw. diversen Studierenden gibt, dann weiß man auch nichts über deren Situation im Studium. Sind sie prozentual ebenso an Hochschulbildung beteiligt, wie Männer und Frauen? Man kann es nicht sagen.

Fazit

Mit der grundsätzlichen Anerkennung einer positiven „Dritten Option“ wurde rechtlich ein wichtiger Schritt getan. Aber der Weg bis zu wirklicher gesellschaftlicher Anerkennung und Gleichstellung ist noch weit.

Querverweise

© Jula 2019

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