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Zurück daheim

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Anmerkung: diesen Text habe ich vor mittlerweile fünf Jahren (2007) geschrieben und dann ist er in der Versenkung meiner Ordner verschwunden. Jetzt lese ich ihn wieder und ich mag ihn. Keine Ahnung, wieso ich vergessen habe, dass es ihn gibt.

Der Anlass war traurig.

Eigentlich hatte ich mir eine halbe Woche Urlaub genommen, um etwas Zeit für mich zu haben. Dazu sollte auch ein Tag gehören, an dem ich als Frau eine Freundin endlich persönlich kennenlernen wollte. Doch es kam anders. Meine Mutter war gestürzt und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Was genau ihr passiert war war unklar.

Also musste ich nach Hause. Den Termin mit der Freundin stornierte ich schweren Herzens und setzte mich in Auto.

Halt! Vorher packte ich noch meine Tasche. Was auch immer meiner Mutter zugestoßen war, mir standen auf jeden Fall ein oder zwei einsame Abende in der nordhessischen Pampa bevor. Also nahm ich zwei Taschen mit …

Eschwege

Am ersten Tag war ich natürlich mehrmals im Krankenhaus und kam erst am Abend ins Haus. Meiner Mutter ging es zwar den Umständen entsprechend recht gut, sie war nicht in Lebensgefahr, aber sie konnte halt nicht laufen.

Was tun mit dem Abend? Losziehen natürlich! Es war so gegen 20 Uhr 30 als ich berockt und gestiefelt einen scheuen Blick vor die Haustür riskierte. Ich wollte nicht gesehen werden, denn wer hier vorbeikam, der war ein Nachbar und wusste, wer außer meiner Mutter hier aus- und einging. Vor allem, wenn der Kombi mit Nürnberger Autonummer vor dem Haus stand. Nein, keiner zu sehen. Der Bewegungsmelder tauchte den Aufgang in helles Licht. Rein ins Auto und ab.

Eschwege – Fast 25.000 Einwohner große Metropole Nordosthessens. In dieser Stadt habe ich meine Jugend verbracht. Nun bin ich zum ersten Mal als Frau hier. Unfassbar! Ich gehe im Rock durch die Kleinstadtstraßen. Es ist so viel los wie immer nach Einbruch der Dunkelheit: so gut wie nichts. Mein Plan ist einfach. Ein wenig durch die abendlichen Straßen schlendern und dann in die einzige Kneipe, die ich aus meiner Jugend noch kenne. Auf dem Weg dorthin starrt mich aus einer anderen Kneipe ein Typ durchs Fenster an. Was der wohl sieht? Ich werde es nie erfahren, denn ich bin zu feige, in den Laden reinzugehen und mich ihm näher zu präsentieren.

Hm, die Kneipe, in die ich wollte, hat Sonntags zu. Und ansonsten gibt es nur Restaurants. Was nun? Vielleicht sollte ich es in Bad Sooden-Allendorf noch mal probieren? Das ist ein Kurort in der Nähe. Leider hatte ich nur noch wenig Sprit im Tank und fuhr eine Tankstelle an. Der komische Selbstbedienungs-Euroscheckkarten-Automat verwirrte mich so, dass ich beim Versuch die Zapfpistole in den Tankstutzen zu stecken Benzin verspritze … auf den Rock, auf meinen Arm, auf die Jacke. Iiiiigitt! Damit war der Abend beendet. Ich konnte nicht stinkend wie eine Raffinerie irgendwo hingehen.

Resumee: ich habe so lange gebraucht mich aufzuhübschen, wie ich letztendlich durch öde Straßen spazierengegangen bin!

Göttingen

Am nächsten Tag hatte ich unverhofft früh Zeit. Meine Mutter wurde am Nachmittag in den Tomographen geschoben und die häuslichen Arbeiten waren ruckzuck erledigt. Zeit ab Nachmittag! Wieder nach Eschwege? Nein, da wäre die viele schöne Zeit verschwendet gewesen. Göttingen! Das ist bloß eine knappe Stunde weit entfernt und ein weiterer Ort, an dem ich endlich mal Jula sein wollte, weil ich viel zu lange dort nur Mann war. Ich gebe zu, die vage Möglichkeit, dort auf Menschen zu treffen, die mich als Mann von früher kennen, trug ein wenig zum prickelnden Reiz der Idee bei.

Geschminkt war ich fix, aber was sollte ich bloß anziehen? Der Rock, den ich am Vortag anhatte, stank noch nach Benzin und mit den anderen Sachen hatte ich ein Problem: es war einfach zu warm! Es waren ungefähr 20 Grad und da mochte ich nicht mit einer dicken Strumpfhose durch die Gegend rennen. Also entschied ich mich für die schöne Cargohose, in der ich schon die ganze Zeit als Mann rumgelaufen bin. Ein schönes Top dazu und schicke Schuhe, fertig. Als ich um kurz vor 16 Uhr im hellen Sonnenschein das Haus verließ, sprang zwar der Bewegungsmelder nicht an, dafür waren in einiger Entfernung ein paar Leute auf der Straße. Egal, die sind weit genug weg. Ich stolzierte zum Auto und fuhr los.

Meine Bekleidungswahl hatte zwei Tücken. Eine, von der ich wusste, und eine von der ich noch nichts ahnte.

Die Tücke, die ich kannte, waren die Strümpfe. Ich hatte keine passenden Strümpfe zu der Hose und den Schuhen gefunden. Also hatte ich genommen was da war: Probierstrümpfe, die ich noch in einer Tasche liegen hatte. Ich glaube, ich werde zur Schlampe! Die Tatsache, dass der Hosensaum im Stehen gerade über die Sockenränder reichte, genügte mir, um mich in den Dingern auf die Straße zu trauen. Ich wollte sie möglichst noch vor der Göttinger Innenstadt durch passende Kniestrümpfe ersetzen, latschte dann aber doch mit den Dingern ungeniert in die Fußgängerzone. Immerhin tauschte ich sie aus, bevor ich mich mit einem Cappucino in ein Straßencafe setzte.

Die andere Bekleidungs-Tücke war noch peinlicher. Mir war schon vorher klar, dass die Silikonprothesen bei Wärme nicht gut halten. Was mir nicht klar war, dass es dafür schon warm genug war und vor allem nicht wie dehnbar Spaghettiträger sind.

Das mit den Spaghettiträgern muss ich erläutern. Aus Bequemlichkeitsgründen trage ich in letzter Zeit gerne Bustiers aus elastischem Baumwollstoff. Einen schönen weißen mit dünnen Trägern habe ich mit neulich gekauft und für den Göttingenausflug statt eines richtigen BH unter das weiße Shirt gezogen. Irgendwann in der Fußgängerzone bemerkte ich hintereinander zwei sehr beunruhigende Sachen.

Zunächst fiel mir auf, dass die Brüste nicht mehr so richtig haften und in dem Bustier anfangen zu wippen. Das sollen sie zwar auch, aber nicht so heftig. Kurz danach fühlten sich die Brüste irgendwie sehr tief an. Sind sie noch im Bustier? Ja, zum Glück. Aber an den richtigen Stellen waren sie aber definitiv nicht mehr. Ich schlang meinen rechten Arm wenig elegant um meinen Bauch und hoffte, dass ich nicht all zu derangiert ausschaute. Im Kaufhaus erstand ich einen richtigen BH, dessen Kennzeichnung „Control“ versprach und schlich in die Umkleidekabine. Ach, du meine Güte! Die Brüste waren zwar noch im Bustier, aber sie befanden sich mit ihm zusammen kurz über dem Bauchnabel! Heieieiei. Ich richtete mich neu her.

Mit neuem Selbstbewusstsein stellte ich mich wieder der Welt außerhalb der Umkleidekabine.

Es war wunderbar an diesem Tag in Göttingen. Ich hätte fastdaran geglaubt, unsichtbar zu sein, wenn nicht die Verkäuferinnen in den verschiedenen Geschäften so aktiv auf mich zugegangen wären. Nein, unsichtbar war ich nicht, aber interessant fand mich auch niemand. Ich war im für mich erfreulichen Sinne nicht bemerkenswert.

Einige Zeit saß ich in einem Straßencafe und ließ die Passanten an mir vorübertreiben. Es war anders als vor 15 Jahren. Damals hätte ich bestimmt irgendwann ein bekanntes Gesicht in der Menge entdeckt. Doch nun sah ich niemanden mehr, den ich kannte oder der mich hätte erkennen können.

Ich entschloss mich, zum Abendessen nach Eschwege zurück zu fahren. Von dort hatte ich es nicht mehr so weit nach Hause. Und außerdem war mein Punkt: als Frau in Eschwege unter Leuten sein, noch nicht abgehakt. Ein wenig war es eine Mutprobe. In Göttingen oder Berlin mag eine großgewachsene Trannie nichts besonderes sein. Aber in der Pampa? Sorry, liebe Dietemänner, aber so ist es nun mal. Wenn ich in der Kleinstadt unbehelligt bleibe, dann bleibe ich es überall. Und um das auszuprobieren, musste ich mich den Leuten stellen. Und wann war die Gelegenheit besser als jetzt, wo ich von einem ausgedehnten Bummel aus Göttingen kam, wo mich niemand bemerkenswert fand?

Zum Essen ging ich in ein spanisches Lokal. Viel los war nicht. Ich setzte mich an einen Tisch direkt neben zwei Frauen. Sie interessierten sich nicht für mich. Genau so wenig wie die Bedienungen und die anderen Gäste, die so nach und nach eintrudelten. Später ging ich noch ein wenig spazieren durch die leeren Straßen und endlich auch in die Kneipe, in die ich am Vortag schon wollte. Eine Apfelschorle lang bemerkte mich niemand und ich zog zufrieden ab.
Wun-der-bar!

Geschlossene Kreise

Und so haben sich in diesen Tagen des Krankenbesuches zwei Kreise geschlossen.

In Eschwege habe ich 15 Jahre gelebt und ebenso in Göttingen. In der einen Stadt habe ich versucht herauszufinden, was denn eigentlich mit mir anders ist und in der anderen habe ich versucht zu unterdrücken, was ich inzwischen über mich herausgefunden hatte. Zwei Stationen meines Lebens, an denen ich lange war und niemals so richtig ich selbst. Wie gerne wäre ich als Frau durch die Geschäfte in Göttingen gebummelt und hätte die vielen schönen Sachen anprobiert. Hätte gerne im Rock oder Kleid in einem Cafe in der Innenstadt gesessen. Doch ich habe es nie getan. Ich habe mich verleugnet und verzweifelt versucht, diesen Drang in mir zu überwinden. Meine schlimmste Angst war, dass irgendjemand „davon“ erfahren könnte.

In beiden Städten habe ich in der Überzeugung gelebt, mein Geheimnis würde nie offenbar werden.

Nun, zugegebenermaßen hat es etwas gedauert, bin ich als Frau in beiden Städten gewesen. Und beide Städte waren nett zu mir.

© Jula 2007-2012

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